Schöne Fotos von verbeulten Autos

Was passiert, wenn eine mobile Gesellschaft abrupt zum Stillstand gezwungen wird? Die Antwort geben Fotos von Arnold Odermatt. War seine Arbeit am Unfallort beendet, drückte der Polizist auf den Auslöser.

 1966 in Wolfenschiessen, im Herzen der Schweiz: Die Ruhe nach dem Unfall offenbart bizarre Schönheit. Foto: Urs Odermatt

1966 in Wolfenschiessen, im Herzen der Schweiz: Die Ruhe nach dem Unfall offenbart bizarre Schönheit. Foto: Urs Odermatt

Foto: Urs Odermatt

Welch ein Dachbodenfund! Was der Sohn Urs Odermatt da von seinem Vater, einem passionierten Fotografen, entdeckte, hatte es in sich; denn Arnold Odermatt war nicht nur Fotograf, er war in erster Linie Polizist im Schweizer Kanton Nidwalden und hat über einen Zeitraum von 40 Jahren die spektakulärsten Verkehrsunfälle des Kantons in Schwarzweiß-Fotografien festgehalten. Die Verkehrsteilnehmer sind fort, die Opfer abtransportiert.

Zurück bleiben zerbeulte Autos, Tatorte und Sachschäden. Man kann den Knall noch hören, zugleich spürt man beim Betrachten der Bilder die aberwitzige Stille danach, die Ruhe nach dem Sturm. Umgekippte LKWs, das zerbeulte Mercedes-Coupé im Stacheldraht, der auf dem Rücken liegende, hilflose Käfer; sie alle zeugen von überhöhter Geschwindigkeit und Trunkenheit am Steuer, von Missachtung der Vorfahrtsregeln und dem entscheidenden Moment, in dem der Leichtsinn seinen großen Auftritt hatte.

Darüber hinaus erzählen die Bilder allesamt dieselbe Geschichte: die des plötzlichen Stillstandes unserer mobilen Gesellschaft. Auf manchen hat das verformte Blech gar eine plastische Qualität; vielleicht ist der an der modernen Kunstgeschichte geschulte Blick daran nicht ganz unschuldig, schließlich kennt man die "Car-Crash-Paintings" von Andy Warhol oder die Skulpturen aus zusammengepresstem Autoblech von John Chamberlain, die ebenfalls in den 50er, 60er, 70er Jahren ihre Blütezeit hatten und heute Kunstgeschichte sind.

Jedenfalls ist Nostalgie und Karambolage eine seltsame Kombination, das wird einem beim Durchblättern hunderter Verkehrsunfallbilder bewusst. Die Nostalgie gibt den verbrämten Glorienschein der "guten alten Zeit" bei, die Karambolage die Geschichte einer furchtbaren Dramatik. Jedes Bild ist für sich genommen ein Rätsel. Was genau ist passiert? Zwei Dinge werden deutlich. Zum einen der nicht selten bizarre Moment, den Unfälle mit sich bringen: sprudelnde Hydrantenfontänen, Boote auf den Straßen, ein riesiger Heuballen auf der Autobahn, abstruse Situationen am Geländer(die Vorderreifen in der Luft über dem Abgrund) - das Ende der Hoffnung ist unvorstellbar. Zum anderen bringt einen die Absenz der Menschen auf den Bildern zum Nachdenken. Wie ist es ihnen wohl ergangen? Gab es bloß ein paar Schrammen oder Schlimmeres? Ganz am Ende steht die Zerbrechlichkeit des menschlichen Schicksals: Viel zu plötzlich kann das Unvorhergesehene in unseren wohlgeordneten Alltag einbrechen.

Urs Odermatt: Karambolage. Steidl Verlag, 408 S., 58 Euro.

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