Schlingmann steht vor dem Absprung Eine 15 Millionen-Theater-Investition

Saarbrücken. Mag sein, dass der Jamaika-Sturm alle Aufmerksamkeit absorbiert. Ansonsten wäre die politische Stille rund um Dagmar Schlingmann, die sich mit der Stadt Bonn in Endverhandlungen über einen Wechsel befindet, eine grobe Beleidigung. Am 30

 Blick nach Bonn? Auf einem Plakat nahm die Saarbrücker Intendantin bereits zu Beginn der Spielzeit die Ferne ins Visier. Foto: SST

Blick nach Bonn? Auf einem Plakat nahm die Saarbrücker Intendantin bereits zu Beginn der Spielzeit die Ferne ins Visier. Foto: SST

Saarbrücken. Mag sein, dass der Jamaika-Sturm alle Aufmerksamkeit absorbiert. Ansonsten wäre die politische Stille rund um Dagmar Schlingmann, die sich mit der Stadt Bonn in Endverhandlungen über einen Wechsel befindet, eine grobe Beleidigung. Am 30. Dezember wurde der Fakt bekannt: Schlingmann, deren Saarbrücker Vertrag bis 2016 läuft, könnte dem Land womöglich schon im Sommer 2013, nach sieben Jahren Intendanz, verlustig gehen. Zwischenzeitlich ist klar, dass Schlingmann die Bonner Wunschkandidatin ist. Gestern verdichtete sich zudem die Nachricht, dass die Stadt Bonn der Saarbrücker Theaterchefin in ihren Forderungen weitestgehend entgegen kommen will. Dem Vernehmen nach möchte Schlingmann eine Streckung, wenn nicht gar Streichung der Sparvorgabe von 3,5 Millionen Euro erreichen. Klappt das, wird in Bonn am 18. Januar ihr Name offiziell bekannt gegeben. Der Rest ist Formsache, ein Stadtratsbeschluss am 2. Februar.Hat das Saarland überhaupt noch eine Chance? Kaum. Denn Schlingmann pokert um nichts. Dies bestätigt Kulturminister Stephan Toscani (CDU) der SZ: "Frau Schlingmann hat mich frühzeitig über den Abwerbungsversuch informiert. Sie handelt nicht aus einer Unzufriedenheit heraus, sondern weil Bonn die attraktivere Wirkungsstätte ist. Sie ringt mit sich. Sie wollte nicht über Bedingungen sprechen." Also kann Toscani nur abwarten? . Nicht nur er, keine Partei, reagierte bis dato mit Bleibe-Appellen an die Theater-Chefin. Auf SZ-Nachfrage äußerte sich der kulturpolitische Sprecher Thomas Schmitt (CDU): "Dass eine Stadt wie Bonn die Saarbrücker Intendantin ruft, ist ein Kompliment und zeigt, dass das SST bestens dasteht. Wir würden Schlingmanns Weggang sehr bedauern, sie hat gute Arbeit geleistet.. Aber Wechsel gehören zur Theater-Routine."

Herrscht da zu viel Gelassenheit, ja Fatalismus? Die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Isolde Ries, sieht es so. Sie sagt, ebenfalls auf Nachfrage: "Wir fordern, dass die Regierung endlich etwas tut. Menschen wie Frau Schlingmann müssen öffentlich erfahren, dass sie wert geschätzt werden." Ries zeigt sich verärgert: Während man dem fragwürdigen Museums-Vorstand Ralph Melcher den roten Teppich ausgelegt und ihn bundesweit in Gremien befördert habe, lasse man Schlingmann hängen. Das sieht Schlingmann anders: "Ich habe keinen Grund, mich zu beklagen. Ich fühle mich hier gut behandelt", wiederholte sie gestern gegenüber der SZ. Bis 2014 gebe es durch den Haustarif-Vertrag eine Bestandssicherheit für das SST. Freilich: Die neue kommunale Beteiligung an der Finanzierung sieht Schlingmann als Wackelpartie.

Gibt es nicht noch andere Eintrübungen? So läuft beispielsweise das Gerücht, die Chemie zwischen Schlingmann und Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka stimme genauso wenig wie die mit Ballettchefin Marguerite Donlon. Letztere steckt seit über einem Jahr in einem strapaziösen Vertrags-Verlängerungs-Ringkampf mit ihrer Chefin. Ein Abflug ist nicht auszuschließen. Kamioka soll ebenfalls womöglich nur bis zu seinem Vertragsende 2014 bleiben wollen. Diese labile Personal-Situation wird verschärft durch den Umstand, dass Operndirektor Berthold Schneider, erfolgreicher Kapitän im Musiktheater-Bereich, im Sommer das SST verlässt. Seine Nachfolgerin Brigitte Heusinger dürfte bis Sommer 2013, sollte Schlingmann gehen, wohl kaum schon vollständig etabliert sein.

Generell werden nach Schlingmanns Weggang Kontinuitäts-Garanten fehlen. Denn sie wird, wie man es bereits von ihrem Wechsel aus Konstanz nach Saarbrücken kennt, mit "Tross" abziehen. Der Leiter der Sparte 4 Christoph Diem - ihr Lebensgefährte - wird sie sicherlich nach Bonn begleiten, ebenso die Chefdramaturgin Ursula Thinnes und auch einige Schauspieler.

Wanderzirkus Theater. So herrscht denn auch im Staatstheater kein Alarm, sondern gespannte Ruhe. Erstaunlich ob eines womöglich recht abrupten Intendanz-Endes ohne "gleitenden" Übergang. Üblicherweise nehmen sich neue Intendanten zwei Jahre Vorbereitungszeit. Für Saarbrücken müsste bis Sommer eine Ausschreibung und eine Findungskommisssion stehen, damit Schlingmanns Nachfolger zumindest eine Minimal-Frist von zwölf Monaten hätte. Das ist alles andere als eine Routine-Situation. Ob die Politik das erkannt hat, darf bezweifelt werden. Saarbrücken. Man könnte meinen, es sei ein "Geschenk", um Dagmar Schlingmann zu halten: die Zusage der Landesregierung für eine neue Bühnentechnik. Zwischen zwölf und 15 Millionen Euro wird sie kosten. Letzteres ist laut Theater die mit der Landesregierung vereinbarte Obergrenze. Das Renovierungs-Groß-Vorhaben gilt allerdings bereits seit zwei Jahren als akut, und die Finanzierungs- und Realisierungs-Bemühungen datieren noch aus der Amtszeit von Kulturminister Karl Rauber (CDU). Jedoch ist es erst seit gestern amtlich, dass das SST, das als Bauherr fungiert, mit der Maßnahme starten kann. Baubeginn: April 2013, Dauer: sieben Monate. Das Weihnachtsgeschäft soll wieder im Großen Haus laufen. Das wird in der Bauphase geschlossen. Fünf Premieren müssen andernorts stattfinden, unter anderem auch die Eröffnungspremiere der Spielzeit 2013/2014. Vermutlich ist Schlingmann dann schon nicht mehr in Saarbrücken. Doch sie will vorplanen: "Wir suchen Ausweich-Spielstätten, Industriehallen, etwa die Gebläsehalle in Völklingen oder die Alte Schmelz, auch Kirchen", sagt sie. Die Komplettsanierung sei kein Luxus, sondern eine Notmaßnahme. Laut Schlingmann standen in der Vergangenheit 25 Vorstellungen auf der Kippe. Mal hätten die Hubpodien für den Chor gestreikt, mal die gesamte Licht-Steuerungstechnik. Schlingmann: "Schaffen Sie mal am 23. Dezember nachmittags Experten bei. Das Publikum merkte nicht, wie wir hier geschwitzt haben. Die Bühne war für alle ein ständiger Stressfaktor."

Der Kaufmännische Direktor Matthias Almstedt wählt folgenden Vergleich: "Es ist wie bei einem alten Golf, an dem man Jahre lang rumbosselt, damit er's packt. Irgendwann kauft man einen neuen. Dann ist 20 Jahre Ruhe." ce

"Es gibt überhaupt kein Signal der Landesregierung, dass sie Schlingmann halten will."

Isolde Ries, SPD-Fraktion

Meinung

Die neue Kultur-Baustelle

Von SZ-RedakteurinCathrin Elss-Seringhaus

Geht Dagmar Schlingmann, bedeutet dies mehr als einen Führungswechsel am Staatstheater, nämlich eine Theaterkrise. Denn sie wird ihr Team mitnehmen, und weder der Generalmusikdirektor noch die Ballettchefin kommen als Interims-Chefs in Frage. Schlingmann hinterlässt ein Haus ohne Hüter. Zu einer überhasteten Nachfolger-Suche dürfte es kaum eine Alternative geben. Wo andere Städte souverän sondieren und sortieren, müsste Saarbrücken wohl aus Not zugreifen. Denn welcher Top-Theatermann fände eine Einarbeitungs-Hatz wohl attraktiv? Es droht also eine zweite Kultur-Groß-Baustelle.

Für die SPD steht der Schuldige schon fest: der Kulturminister, der angeblich nicht um Schlingmann kämpft. Tatsächlich gibt Toscani in dieser Angelegenheit nicht eben Prinz Löwenherz. Man hätte es Schlingmann gewünscht, die in Saarbrücken einen exzellenten Job macht. Doch wenn zutrifft, dass sie nicht pokert und also auch nichts als "Bleibe-Prämie" fordert, dann ist Toscani, dann ist das Land, zum Abwarten verurteilt.

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