Berlin „Wann, wenn nicht jetzt?“

Berlin · Nach der Häufung von Corona-Fällen in Fleischbetrieben hat die Bundesregierung schärfere Regeln für die Branche auf den Weg gebracht.

 Schon vor der Corona-Krise herrschten in der Fleischindustrie katastrophale Arbeitsbedingungen. Durch ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit soll sich das bessern.

Schon vor der Corona-Krise herrschten in der Fleischindustrie katastrophale Arbeitsbedingungen. Durch ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit soll sich das bessern.

Foto: picture alliance / dpa/dpa Picture-Alliance / Bernd Thissen

Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten – diese Kerntätigkeiten in der Fleischwirtschaft dürfen ab dem nächsten Jahr nicht mehr von betriebsfremden Beschäftigten ausgeführt werden. Die Bundesregierung hat am Mittwoch das geplante Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Branche auf den Weg gebracht. Mit dem Vorhaben sollen die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessert werden. Nach gehäuften Corona-Infektionen in Fleischbetrieben waren diese in den vergangenen Monaten wieder stärker in den Fokus gerückt.

In dem Gesetzespaket, das noch den Bundestag und den Bundesrat passieren muss, sind weitere Regelungen vorgesehen, die den Arbeitsschutz verbessern sollen. Die Fleischwirtschaft kritisierte die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch scharf und erneuerte ihre Warnung vor einem Anstieg der Fleischpreise in Deutschland. Heil wies das zurück und bekräftigte, man werde in der Fleischindustrie gründlich aufräumen.

Geplant ist, dass Werkverträge ab dem 1. Januar 2021 und Leiharbeit ab dem 1. April 2021 verboten sein sollen. Ausgenommen sind Fleischerhandwerksbetriebe mit bis zu 49 Mitarbeitern. Bei einem Werkvertrag vergeben Unternehmen bestimmte Aufträge und Tätigkeiten an andere Firmen, die sich um die komplette Ausführung kümmern.

Eingeführt werden sollen außerdem eine Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung, Mindestanforderungen für Gemeinschaftsunterkünfte und eine Mindestquote für Arbeitsschutzkontrollen, da nach Ansicht der Regierung Betriebe zu selten kontrolliert werden. Ab 2026 sollen jährlich mindestens fünf Prozent der Betriebe Besuch von den Behörden bekommen.

Über die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen vor allem osteuropäischer Beschäftigter in der Fleischbranche wird seit Jahren diskutiert. Heil nannte Sammelunterkünfte, in denen sich Menschen infizieren könnten, „weil sie dicht auf dicht in schimmligen Wohnungen“ lebten oder weil beim Transport oder am Arbeitsplatz Abstandsregeln nicht eingehalten worden seien.

Das Thema hatte zuvor der CDU-Wirtschaftsrat angesprochen. „Ansteckungen gab es durch Aerosole über eine Distanz von bis zu acht Metern. Dieses Problem wird durch ein Verbot von Werkverträgen und Zeitarbeit nicht gelöst“, kritisierte die Präsidentin Astrid Hamker die Pläne von Heil.

Der Minister wies das zurück. „Die Ausrede, dass Corona nichts zu tun hätte mit den Arbeitsbedingungen, ist aus meiner Sicht Unsinn.“ Es sei schlimm, dass es so einer Katastrophe bedurft habe, um die Mehrheiten zusammenzubekommen, um in der Branche grundlegend aufzuräumen. „Aber wann, wenn nicht jetzt?“

Von der betroffenen Fleischindustrie kam am Mittwoch scharfe Kritik. „Was da beschlossen wurde, darf wirklich nicht wahr sein“, sagte der Präsident des Zentralverbandes der Geflügelwirtschaft Friedrich-Otto Ripke. Die Regierung setze die Fleischproduktion in Deutschland aufs Spiel. Aussagen von Heil zu den Fleischpreisen bezeichnete er als „schlichtweg unsinnig“. Der Fleischpreis werde steigen.

Der Minister hatte Einschätzungen, wonach die Fleischpreise wegen der schärferen Regeln für die Fleischbranche um zehn bis 20 Prozent steigen könnten als „Ammenmärchen“ zurückgewiesen. In der Branche werde milliardenschwer verdient. Ripke appellierte an den Bundestag, das Gesetz so nicht passieren zu lassen. Man brauche zum Beispiel Leiharbeiter, um die hohe Nachfrage zur Grillsaison abzufedern. Die Fleischwirtschaft hält ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit allein in ihrer Branche für verfassungswidrig. Die Regierung sieht dagegen keine rechtlichen Probleme bei Sonderregelungen nur für eine bestimmte Branche. So etwas gebe es etwa auch in der Bauindustrie, hieß es.

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