Schaben, Knacken, Kratzen - So klingt die Moderne (aber nicht nur) Hoch schlugen die Wogen

Saarbrücken. Etliches war nur mit Augenzwinkern zu verkraften - etwa Phill Niblocks halbstündiges ohrenbetäubendes Schaben auf einem Electric-Bass. Man muss solchen Jux nicht ernsthaft für Kunst halten. Denn auch die Kreissäge wäre, unter dem Gesichtspunkt der Beliebigkeit der Mittel, ein wunderbares Musikinstrument

Saarbrücken. Etliches war nur mit Augenzwinkern zu verkraften - etwa Phill Niblocks halbstündiges ohrenbetäubendes Schaben auf einem Electric-Bass. Man muss solchen Jux nicht ernsthaft für Kunst halten. Denn auch die Kreissäge wäre, unter dem Gesichtspunkt der Beliebigkeit der Mittel, ein wunderbares Musikinstrument. Man saß also in der Stadtgalerie und schmunzelte über Steve Reichs Pendel-Zufalls-Geknacke, das durch elektronische Übersteuerung lautlich noch verätzt wurde. Wie überhaupt akustische Radikalismen der Normalfall waren - Lois V. Vierks "Go Guitars" für fünf elektrische Gitarren konnte einem durchaus den letzten Nerv rauben.Anderes wieder zeigte, wie schmal der Grat zwischen Kunst und Artistik ist. Der Improvisations-Klangkünstler "ID M THEFT ABLE" könnte beispielsweise mit seinen Mundhöhlen-Hexereien gut und gern im Zirkus auftreten. Was aber hat er mit Musik zu tun? Man kann die Meinung vertreten, Geräusch sei naturgegeben Teil jeder musikalischen Äußerung. Doch das ist schlüpfriger Boden. Marina Rosenfeld machte es schlitzohriger: Sie legte Schellackplatten auf und verband Sprach- und Melodiefetzen mit Kratzgeräusch-Ornamenten.In vielen Konzerten ging es wesentlich gehaltvoller zu. Das Ensemble "L'art pour l'art", vom SR als solistische Gast-Gruppe verpflichtet, war für die meisten Interpretationen zuständig. Da hörte man deutsche Erstaufführungen wie Frederic Rzewskis "The Fall of the Empire" oder Uraufführungen von Kompositionsaufträgen der Deutschen Radio Philharmonie wie Marc Sabats "Garden Songs", in denen Alt-Flöte und Schlagzeug sehr schön miteinander plauderten.Der Schlagzeuger Matthias Kaul, ein flinker und auf allen "Pötten" virtuos wirbelnder Künstler, erwies sich in der Langen Nacht am Samstag auf dem Halberg als die Seele der Gruppe "L'art pour l'art". Seine Kolleginnen und Kollegen auf Cello, Violine, Bass, Gitarre und Flöte harmonierten prächtig und geizten in den mitunter ausgedehnten Stücken nicht mit langem Atem. Dan. J. Wolfs "Neglected Topiary" schillerte sanft in den Klangfarben von Flöte, Klarinette und Gitarre - Matthias Kauls "The Mellow Quark" und besonders Norbert Walter Peters' "beau son.ge" elektrisierten durch an Minimal-Musik geschulten Klang- und Rhythmus-Techniken.Da wurde denn endlich auch die Seele der Musik entdeckt. Das ließ Peters' fast einstündige Komposition und Christian Wolfs folgende "Edges" zu aussagekräftigen Kunstwerken wachsen, die mehr bieten als reinen Nervenkitzel. Der lange und mitunter anstrengende Abend wurde von Klanginstallationen aufgelockert, die man sich in den Pausen anschauen und anhören konnte.Saarbrücken. Die 8. Matinee gestern in der Saarbrücker Congresshalle war zugleich das Abschlusskonzert von "Mouvement" - mit großen symphonischen Werken von Morton Feldman und Elliott Carter. Der italienische Dirigent Emilio Pomarico, Fachmann für zeitgenössische Klänge, leitete die Deutsche Radio Philharmonie (DRP). Morton Feldmans 1985 entstandenes halbstündiges Orchesterstück "Coptic Light" eröffnete das Konzert. Ein stetig in milden, irisierenden Farben leuchtendes einsätziges Stück, das vom Dirigenten mit Bedacht auf kleiner Flamme gekocht wurde. Angenehm und beruhigend. Nach der Pause schlugen in Elliott Carters "Symphonia: sum fluxae pretium spei" die Wogen hoch. Drei emotionsgeladene Sätze in höchster technischer Vollendung, die die Musiker bis zum Letzten forderten. Der wirbelnde Werk-Charakter machte den stellenweise herben Klang wett. Frenetischer Beifall. pes

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