Saarstahl-Vorstand Harste geht"Wir müssen uns sehr schnell bewegen"

Völklingen. Die Pressemitteilung der Saarstahl AG war knapp gefasst. "Herr Dr. Klaus Harste, Vorstandsvorsitzender der Saarstahl AG, hat dem Aufsichtsrat seinen Wunsch mitgeteilt, aus dem Unternehmen auszuscheiden." Der Weggang von Saarstahl-Chef Klaus Harste von der Spitze des Stahlkonzerns erstaunt viele, war für Insider aber absehbar

Völklingen. Die Pressemitteilung der Saarstahl AG war knapp gefasst. "Herr Dr. Klaus Harste, Vorstandsvorsitzender der Saarstahl AG, hat dem Aufsichtsrat seinen Wunsch mitgeteilt, aus dem Unternehmen auszuscheiden." Der Weggang von Saarstahl-Chef Klaus Harste von der Spitze des Stahlkonzerns erstaunt viele, war für Insider aber absehbar. In der Aufsichtsratssitzung der Saarstahl AG am 27. März sollte über die Vertragsverlängerung des 56-Jährigen entschieden werden, der den Stahlkonzern seit April 2009 führte. Doch man gab ihm Ende der vergangenen Woche zu verstehen, dass sein Vertrag als Vorstandschef, der noch etwa ein Jahr gelaufen wäre, nicht mehr verlängert würde.Ihn hat wohl auch geärgert, so vermuten Beobachter, dass seine Kompetenzen als Konzernchef immer stärker beschnitten worden waren. Denn die Stahl-Holding-Saar (SHS), die inzwischen als Dachgesellschaft für die Dillinger Hütte und die Saarstahl AG sowie die Saarschmiede die Geschicke der saarländischen Stahlindustrie lenkt, war Harste gegenüber weisungsbefugt. "Ein Alpha-Tier wie Harste lässt sich das nicht gefallen", meint ein Insider. Wichtige Unternehmensbereiche wie Finanzen, Personal und Recht sind bereits zur Holding rübergewandert. "Ich bin hier nur noch der Frühstücksdirektor", habe Harste öfter geschimpft.

Dem promovierten Ingenieur war außerdem die Tür zum SHS-Holdingvorstand verschlossen. SHS-Chef ist der Saarbrücker Rechtsanwalt Michael Müller. In dem Spitzengremium sitzen auch Karlheinz Blessing, Vorstandsvorsitzender Dillinger Hütte (DH), und Fred Metzken, Finanzvorstand von Saarstahl und DH. Harste wollte mit Nachdruck ebenfalls in den SHS-Vorstand und dort für Technik zuständig sein. "Die Strategie der saarländischen Stahlindustrie kann nicht nur von Juristen, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern bestimmt werden", soll er geklagt haben. Zu allem Überfluss hatte er in seinem eigenen Saarstahl-Vorstand mit Finanzchef Metzken und Blessing zwei Mitglieder der SHS-Führung sitzen. Metzken war zugleich der Mann, der als SHS-Kassenwart dem Saarstahl-Chef den Geldhahn zudrehen konnte. "Das alles hat die Zusammenarbeit im Vorstand erheblich belastet", heißt es. Außerdem ist der Techniker Harste auch kein Freund der Diplomatie. "Der sagt gerade heraus, was er denkt", sagen Insider. Am Ende hatte er wohl keinen Rückhalt mehr.

Doch Harste hatte offensichtlich auch Probleme mit der neuen Strategie, die ein gemeinsames weltweites Auftreten aller drei Unternehmen - Dillinger Hütte, Saarstahl und Saarschmiede - vorsieht (siehe Artikel unten). Diese Strategie, die schnell umgesetzt werden soll, wird selbst von den Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten mitgetragen. Armin Schild, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der Dillinger Hütte und bei Saarstahl, sagt unserer Zeitung, es gebe heute keine Alternative mehr zu einer weltweit orientierten Strategie. "Wir wollen, dass die saarländischen Unternehmen dort gemeinsam auftreten, wo es Sinn macht. Ich erwarte, dass sie ihre Chancen nutzen. Dazu ist eine gemeinsame Strategie sinnvoll", erklärt Schild. Durchaus möglich, dass das geplante Tempo aus der Sicht von Harste zu offensiv angelegt ist, zumal auch schon der Vorgänger von Karlheinz Blessing als Vorstandschef der Dillinger Hütte, Paul Belche, zu einer eher gemäßigten Gangart riet. Das hat ihn am Ende nach Meinung vieler Beobachter seinen Posten gekostet.Dillingen/Völklingen. In der saarländischen Stahlindustrie beginnt ein neues Zeitalter. Unter Federführung der vor zwei Jahren gegründeten Stahl-Holding-Saar (SHS) als Dachgesellschaft werden jetzt die Dillinger Hütte und Saarstahl Völklingen inklusive der Schmiede strategisch neu aufgestellt. Das erklärt der Vorsitzende der SHS, Michael Müller, gegenüber unserer Zeitung. Müller ist auch Aufsichtsratschef der beiden Hütten.

Die Standorte sollen künftig gemeinsam auf den Weltmärkten agieren und Aufträge holen: als Komplettanbieter oder Teillieferant von Speziallösungen innerhalb von Großaufträgen. Die Produktion soll deutlich steigen. "Wir müssen unser Tempo erhöhen und uns bewegen - sehr schnell", sagt Müller. Ein deutlich erhöhtes weltweites Engagement sichere am ehesten die Hauptaufgabe der SHS sowie der Hüttenstandorte, die saarländische Stahlindustrie zu sichern und ihre Entwicklungsperspektiven auszubauen. In Europa stoße man an Grenzen, während der Stahlbedarf weltweit rasant wachse. Gemessen an Mitbewerbern sei man immer noch ein kleiner Anbieter.

Dillingen produziert jährlich 2,5 Millionen Tonnen Grobblech, Völklingen 2,5 Millionen Tonnen Draht und Stahl, während weltweit pro Jahr 600 Millionen Tonnen Stahl anfallen. Die Saarländer sollen dort aktiv werden, wo sie Alleinstellungsmerkmale aufweisen. Saarstahl soll seinen Exportanteil von heute zehn auf 20 Prozent steigern. "Das können wir schaffen", ist Müller sicher. Dillingen liegt bei 30 Prozent Exportanteil. Beide Unternehmen rechnen für 2012 mit einer stabilen Entwicklung. Da die Saarstahl-Kunden zu rund 60 Prozent aus der Autoindustrie kommen, wird erwogen, eine Weiterverarbeitung im Ausland zu errichten, voraussichtlich in China. Die gesamte Stahl-Produktion soll auch künftig vom Saarland aus erfolgen. Erste Ergebnisse der Strategie sollen Ende 2012 zu sehen sein: mit Projekten in Asien, Lateinamerika und den USA.

Mehr Repräsentanzen vor Ort sollen Kundennähe erreichen. Hier sind zunächst China und Malaysia im Gespräch. Gerade im Bereich erneuerbarer Energien sieht Müller riesige Chancen. "Da müssen wir von Anfang an in den Entwicklungsprozessen dabei sein." Hier habe sich Dillingen enormes Know-how erworben. Auch die Schmiede werde 2012 maßgeblich zur neuen Strategie beitragen. Zwar blieb diese 2011 um 30 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Die Schmiede schreibe aber schwarze Zahlen und bleibe eine Erfolgsstory.

Für die SHS als Holding der Stahlaktivitäten arbeiten schon 200 Beschäftigte. Mittelfristig sollen es bis zu 300 werden. Die SHS formuliert die Ziele, definiert neue Geschäftsfelder und trägt zur Kostensenkung bei, indem sie Aufgaben für beide Hüttenstandorte übernimmt: von der Logistik bis zur Lohnabrechnung. Angesichts der ehrgeizigen Wachstums- und Investitionserwartungen könne es, so Müller, auch im Interesse der saarländischen Stahlindustrie sein, wieder einen Partner mit ins Boot zu nehmen. Wobei dieser ausschließlich eine Finanzbeteiligung einbringen soll. Strategische Entscheidungen würden auch künftig allein in saarländischen Händen liegen und sich nur an den Interessen der saarländischen Stahlindustrie ausrichten. Dafür stehe die SHS.

Wenn die neue Strategie aufgeht, werde man in zwei, drei Jahren mit dem gleichen Selbstbewusstsein auftreten können wie Thyssen und Salzgitter, prognostiziert Müller. ts

Foto: Udo Rau

Meinung

Gewagte

Strategie

Von SZ-RedakteurThomas Sponticcia

Der Machtkampf hinter den Kulissen ist entschieden. Und die Frage, ob man eher in Europa wachsen will oder die kleine saarländische Stahlindustrie jetzt den großen Sprung auf die Weltmärkte wagen soll, ist ebenfalls beantwortet. Klaus Harste zieht für sich die Notbremse, steigt aus. Ob sich die saarländische Stahlindustrie jedoch wirklich weltweit behaupten kann, ist noch völlig offen. Wichtig auf diesem Weg ist dagegen der strategische Schritt, die gesamte Stahlproduktion auch künftig vom Saarland aus zu stemmen. Wie schnell man mit Milliardenverlusten da steht, hat das Beispiel Thyssen mit dem Bau seines Stahlwerkes in Brasilien gezeigt.

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