Bosen Vollgas, Abflüge und ein wütender Landwirt

Bosen · 226 000 Zuschauer lockte die Deutschland-Rallye am Wochenende in die Region. Am Ende war ein Este der Beste: Ott Tänak wiederholte seinen Vorjahressieg. Doch auch ansonsten war viel los. Wir haben uns bei den Prüfungen am Samstag und Sonntag umgesehen.

 Überflieger: Ott Tänak an der Sprungkuppe der Wertungsprüfung Römerstraße. Im Vorjahr gewann der Este in einem Ford, jetzt in einem Toyota.

Überflieger: Ott Tänak an der Sprungkuppe der Wertungsprüfung Römerstraße. Im Vorjahr gewann der Este in einem Ford, jetzt in einem Toyota.

Foto: ADAC Motorsport/McKlein

Wer sagt eigentlich, dass es bei einer Rallye laut zugeht und nach Benzin und verbranntem Gummi stinkt? Im Servicepark am Bostalsee herrscht am Samstagmorgen gegen halb neun himmlische Ruhe. Die Piloten der Rallye-WM sind bereits beim Frühsport auf der Panzerplatte in Baumholder, die Mechaniker frühstücken. Und statt nach Gummi riecht es nach Rührei mit gebratenem Speck. 

Wertungsprüfungen 8 und 9, Panzerplatte Baumholder, 9.45 Uhr: An den ersten beiden Rallye-Tagen war WM-Spitzenreiter Thierry Neuville noch nicht richtig auf Touren gekommen. Startet der Publikumsliebling aus Belgien nun eine Aufholjagd? Nein! Auch auf den beiden Wertungsprüfungen (WP) auf der Panzerplatte verliert der Hyundai-Pilot wichtige Sekunden auf die Führenden. „Das Auto funktioniert nicht richtig, ich kann nicht hart bremsen. Irgendetwas mit dem Differential stimmt nicht“, hadert Neuville.

Wertungsprüfung 10, Freisen, 11.35 Uhr: Als die Zwischenzeiten der WP auf den Bildschirmen im Pressezentrum am Bostalsee aufflackern, herrscht kurz Konfusion. Kann das sein? Jeder weiß, dass die Prüfung bei Lokalmatador Marijan Griebel (Hahnweiler) quasi vor der Haustür vorbeiführt. Aber laut Zeitenmonitor verbläst der CitroënPrivatfahrer gerade die komplette Weltelite, ist fast 40 Sekunden schneller als Weltmeister Sébastien Ogier. Hat er eine Abkürzung gefunden? Kurze Zeit später stellt sich heraus: Es ist ein Fehler der Zeitnahme, die sich um genau eine Minute geirrt hat. Kurioserweise ausgerechnet bei Griebels Heim-WP! Egal: Zum Einrahmen und Aufhängen ist der Ausdruck auf jeden Fall gut. Toyota-Pilot Ott Tänak baut seine Führung in der Rallye weiter aus. Weltmeister Ogier kapituliert. „Ich habe wirklich alles auf dieser WP gegeben, das war eine perfekte Fahrt. Aber trotzdem steht auf der Zeitenliste immer ein Toyota oben.“

Wertungsprüfung 11, Römerstraße, 12.10 Uhr: Es ist richtig was los zwischen Marpingen und Urexweiler. Die WP gehört auch dieses Jahr zu den am besten besuchten. Der Andrang ist so heftig, dass an einer Kasse sogar kurzfristig die Parktickets ausgehen. „Wir haben die Kasse für eine halbe Stunde schließen müssen“, berichtet Marpingens Gemeindepressesprecher Florian Rech. Die Folge war ein Rückstau der Fahrzeuge mit den ankommenden Fans bis Oberlinxweiler. Insgesamt schauen sich mehr als 12 000 Zuschauer die beiden Durchgänge am Mittag und Abend an – und es wird ihnen einiges geboten. Spektakulär etwa die kleine Sprungkuppe am Ortsrand von Urexweiler. Bis dorthin kommt einer allerdings gar nicht mehr: Ford-Pilot Elfyn Evans fliegt schon früh in einer schnellen Rechtskurve in ein Feld – und zerstört sich die linke Radaufhängung. Die Rallye hat ihren ersten prominenten Ausfall.

Servicepark am Bostalsee, 13.10 Uhr: Der Kampf um jeden Sekundenbruchteil hat die Autos gezeichnet. Als die Piloten zur Reparaturpause in den Servicepark zurückkommen, fehlt an fast jedem Auto ein Rückspiegel. Mindestens. Applaus brandet auf, als Thierry Neuville aus seinem Hyundai klettert. Eine komplette Busladung an Fans, alle mit gelben Hüten, steht am Zaun und feiert den Fahrer. Dessen Laune ist aber im Drehzahlkeller, nachdem er auf Platz vier zurückgefallen ist. „Beide WM-Kontrahenten, Ogier und Tänak, sind vor mir, das ist schlecht. Ich kann das Tempo an der Spitze einfach nicht mitgehen. Ich hoffe, dass die Mechaniker im Service das Differenzial wechseln können.“ Sie können. In rund neun Minuten (!) bauen die Hyundai-Jungs unter den Augen von Dutzenden Fans das Teil aus und ein neues ein. Am Schluss der auf 30 Minuten begrenzten Arbeitszeit bleiben sogar noch ein paar Minuten, um das Auto zu polieren.

Wertungsprüfungen 12 und 13, Panzerplatte Baumholder, 16.08 Uhr: Der Moment, in dem sich die Rallye entscheidet. Beim Versuch, einen letzten, verzweifelten Angriff auf Platz eins zu wagen, touchiert der zweitplatzierte Ogier einen der berühmt-berüchtigten Hinkelsteine. Die Folgen: ein Plattfuß, Reifenwechsel, anderthalb Minuten Zeitverlust. Ogier rutscht auf Rang neun ab und hadert: „Wir haben eine starke Leistung gezeigt, werden dafür aber nicht belohnt. In solchen Momenten will man nur noch weinen.“

Wertungsprüfung 14, Freisen II, 17.40 Uhr: Ogier ist jetzt wie entfesselt. Mit Wut im Bauch knallt er seine zweite Bestzeit bei der Rallye auf den Asphalt. „Ich gehe jetzt absolut volles Risiko, weil ich ja eh nichts mehr zu verlieren habe.“ Später muss die Prüfung unterbrochen werden: Ein Landwirt blockiert die Strecke mit seinem Auto – er ist sauer und tobt, weil sein Zaun beschädigt wurde. Die Polizei muss kommen.

Wertungsprüfung 15, Römerstraße II: Völkerball in Urexweiler. Auch am Nachmittag sind wieder viele Fans an die Strecke gekommen. Ein Blick auf die Kennzeichen verrät – sie kommen aus ganz Europa: Belgier, Holländer, Spanier, Franzosen, aber auch Esten, Polen und Ungarn. An einem der Zuschauerpunkte wartet ein Trupp Norweger, es sind Fans von Mads Östberg (Citroën) und Andreas Mikkelsen (Hyundai). Oben ohne sitzen die Männer in der Sonne und warten auf den Start. „Das ist unser Sommer-Urlaub. Die Frauen sind am Mittelmeer – mal gespannt, wer am Ende brauner ist“, grinst Morten. Auch der Este Anar Tuuksam verfolgt die Rallye – gemeinsam mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Eltern. Er lebt in Düsseldorf, die Eltern haben extra wegen der Rallye eine Anreise über zwei Tage aus der lettischen Hauptstadt Riga auf sich genommen. Alles wegen Ott Tänak. „Wir haben ihn an der Panzerplatte gesehen. Er fährt gut, aber Ogier hat auch Pech gehabt“, meint Tuuksam. Mittlerweile habe Tänak mehr an Selbstbewusstsein gewonnen, sei lockerer geworden und nicht mehr so introvertiert wie früher. „Er kann den Vorjahressieg wiederholen“, glaubt der Este. Er soll recht behalten.

Wertungsprüfungen 16, und 17 Grafschaft Veldenz, Sonntag, 8 Uhr: Der letzte Tag – und die Ereignisse überschlagen sich. Der bislang zweitplatzierte Spanier Dani Sordo pflügt mit seinem Hyundai durch einen Weinberg. Er verliert viel Zeit und seine Windschutzscheibe – am Ende der Prüfung gibt er ganz auf. Der bislang drittplatzierte Jari-Matti Latvala (Toyota) muss seinen Toyota mit technischen Problemen abstellen, nur zwei Minuten später erwischt es Östberg, der mit seinem Auto ebenfalls in einen Weinberg fliegt. Damit sind auf der ersten WP des Tages innerhalb von zehn Minuten gleich drei Fahrer aus den Top 10 raus.

 Wiederholungstäter: Ott Tänak feiert auf dem St. Wendeler Schlossplatz seinen Sieg bei der Deutschland-Rallye.

Wiederholungstäter: Ott Tänak feiert auf dem St. Wendeler Schlossplatz seinen Sieg bei der Deutschland-Rallye.

Foto: ADAC
 Richtig was los: Knapp 12 000 Zuschauer verfolgten die beiden Wertungsprüfungen Römerstraße. Die Fans kamen aus halb Europa.

Richtig was los: Knapp 12 000 Zuschauer verfolgten die beiden Wertungsprüfungen Römerstraße. Die Fans kamen aus halb Europa.

Foto: Mike Biehl
 Roman Schwedt fuhr auf einen starken 21. Gesamtrang.

Roman Schwedt fuhr auf einen starken 21. Gesamtrang.

Foto: Mike Biehl
 Daumen hoch: Anar Tuuksam feuerte mit der Familie Ott Tänak an.

Daumen hoch: Anar Tuuksam feuerte mit der Familie Ott Tänak an.

Foto: Frank Faber
 Im Servicepark konnten die Fans den Mechanikern (hier bei Hyundai) auf die Finger schauen und staunen: Differential-Wechsel in knapp neun Minuten.

Im Servicepark konnten die Fans den Mechanikern (hier bei Hyundai) auf die Finger schauen und staunen: Differential-Wechsel in knapp neun Minuten.

Foto: ADAC

Wertungsprüfung 18, Bosenberg, 12.20 Uhr: Ford-Pilot Evans sorgt noch einmal für Spektakel. Nach nur drei Kurven fliegt er von der Piste, dreht sich, kann das Auto aber gerade noch vor einem Baum abfangen. Weltmeister Ogier sorgt für ein letztes Glanzlicht. Obwohl er einen Heuballen streift, sichert er sich die Bestzeit auf der Schlussprüfung – und damit wichtige Zusatzpunkte im Kampf um den WM-Titel. Der Sieg geht an Tänak vor Neuville und Tänaks Teamkollegen Esapekka Lappi. Marijan Griebel wird Achter. Als bester Saarländer und drittbester Deutscher belegt Roman Schwedt (Heusweiler) den starken 21. Platz. > Seite D 5

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