Zur Zwangsarbeit verschleppt

Dudweiler. Die Betroffenheit ist den meisten deutlich anzusehen. Sie spiegelt sich in ihren Gesichtern wider. Immer wieder ungläubiges Staunen und Kopfschütteln. Es war eine etwas andere Geschichtsstunde, die die Schüler der neunten Klassen der Gesamtschule Dudweiler am Donnerstagmorgen erlebten

 Professorin Julijana Zarchi aus Kaunas in Litauen (rechts) erzählte den Schülern der neuten Klassen von ihrer schrecklichen Kindheit und Jugend. Foto: ll

Professorin Julijana Zarchi aus Kaunas in Litauen (rechts) erzählte den Schülern der neuten Klassen von ihrer schrecklichen Kindheit und Jugend. Foto: ll

Dudweiler. Die Betroffenheit ist den meisten deutlich anzusehen. Sie spiegelt sich in ihren Gesichtern wider. Immer wieder ungläubiges Staunen und Kopfschütteln.

Es war eine etwas andere Geschichtsstunde, die die Schüler der neunten Klassen der Gesamtschule Dudweiler am Donnerstagmorgen erlebten. Professorin Julijana Zarchi aus Kaunas in Litauen erzählte den Jugendlichen von ihrer Odyssee. Wie sie als dreijähriges Kind auf der Flucht vor den Nazis von ihrer Mutter getrennt, aus dem Schoß der Familiengeborgenheit herausgerissen und in einem Ghetto versteckt wurde. Und sie später dann mit ihrer Mutter von den Stalinisten zur Zwangsarbeit auf die Baumwollfelder in Tadschikistan, nahe der chinesischen Grenze, verschleppt wurde. Dort musste sie noch als Kind, später auch als Studentin hart arbeiten. Erst nach 17 Jahren kehrten Julijana und ihre Mutter in ihre Heimatstadt Kaunas zurück.

Eineinhalb Stunden hörten die Schüler aufmerksam den Erzählungen der heute 71-Jährigen zu. Bis vor zwei Jahren hatte sie an der Universität in Kaunas einen Lehrstuhl für Germanistik. Als die Odyssee 1941 begann, war Julijana drei Jahre alt. Ihr Vater war ein jüdischer Litauer, ihre Mutter eine Deutsche aus Düsseldorf. Zwischen 1941 und 1944 wurden in Litauen über 200 000 Juden von den Nationalsozialisten ermordet. Das waren 95 Prozent aller Juden dieses Landes. Nach der Befreiung Litauens vom Nationalsozialismus durch die Rote Armee folgte eine weitere lange Zeit der Unterdrückung und Verfolgung durch das stalinistische Regime. Julijana Zarchi hat diese Zeit hautnah miterlebt.

"Es war die Zeit zweier schrecklicher Diktaturen", betonte die Professorin und versuchte den Schülern klarzumachen, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann. Sie warnte: "In Diktaturen gibt es keine persönliche Freiheit. In Diktaturen ist ein Menschenleben nichts wert. Hier werden Menschen sinnlos ermordet wegen einer Idee."

"Nein", sie hasse weder Deutsche noch Russen, antwortete Julijana Zarchi auf die Frage einer Schülerin. Sie könne keine Menschen hassen. "Aber ich hasse Diktaturen und Gewalt", betonte die Professorin.

"Was würden Sie zu Neo-Nazis sagen, wenn Sie welche treffen?", wollte eine Schülerin wissen. "Ich weiß es nicht", sagte die 71-Jährige nachdenklich. Sie könne nicht verstehen, was in den Köpfen dieser Leute vorgeht. "Ich kann es nicht glauben, dass man gegen demokratische Rechte sein kann. Viele von denen wollen doch einfach nur ihre Aggressionen abbauen."

Eindringlich appellierte sie an die Schüler: "Befassen Sie sich mit diesem Thema. Lernen Sie aus der Geschichte, damit so etwas Schreckliches wie ich es erlebt habe, nie wieder passiert."

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