Bettelfreie Zone Wird das Betteln jetzt verboten?

Saarbrücken · Die Stadt Saarbrücken plant eine bettelfreie Zone. Die Sozialverbände sehen das Vorhaben kritisch, und auch rechtlich ist es umstritten.

 Acht bis zehn Armutsbettler sind nach Schätzungen der Polizei in der Saarbrücker Innenstadt unterwegs.

Acht bis zehn Armutsbettler sind nach Schätzungen der Polizei in der Saarbrücker Innenstadt unterwegs.

Foto: BeckerBredel/WIB

In einem heruntergekommenen Trainingsanzug sitzt der alte Mann in der Saarbrücker Bahnhofstraße. Sein Blick geht ins Leere. Ein paar Münzen liegen in einem eingedellten Pappbecher vor ihm auf dem Boden. Die meisten Passanten hasten vorbei, selten bleibt einer stehen und kramt eine Münze hervor. Der alte Mann könnte bald aus der Fußgängerzone verschwinden. Denn die Stadt Saarbrücken plant eine bettelfreie Zone in der Innenstadt, ähnlich wie in München oder Stuttgart: von der Reichsstraße bis zum Obertor, in der Futterstraße, auf dem Rab­biner-Rülf-Platz und auf der Alten Brücke. Stimmt das Innenministerium zu, wäre die Sache in trockenen Tüchern. Der Stadtrat muss nicht einbezogen werden.

„Wir kriegen sehr viele Beschwerden von Bürgern, die sagen: An jeder Ecke sitzt ein Bettler, man kann gar nicht mehr in Ruhe einkaufen gehen“, sagt Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD). Sie ist überzeugt, dass etwas geschehen muss: „Unsere Stadt ist schön. Das soll auch so bleiben.“ Die Zahl der Bettler hat nach Angaben der Stadt zugenommen. Acht bis zehn Armutsbettler sind es nach Schätzungen der Polizei, und ein, zwei Gruppen Punks. Der Stadt zufolge fühlen sich Passanten, Gewerbetreibende und Anwohner belästigt. Auch mit Blick auf den Tourismus und das „steigende Sicherheitsbedürfnis“ vor allem älterer Menschen könne man dem nicht tatenlos zusehen.

Aber sind Bettler eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit? Das aggressive Betteln, also das Bedrängen von Passanten, ist ohnehin bereits verboten. Laut Udo Schneider, Leiter der Polizeiinspektion St. Johann, kommt es nur in Einzelfällen vor. 25 Beschwerden gingen bei der Polizei in diesem Jahr ein, meist weil Bettler in privaten Haus- oder Geschäftseingängen saßen oder auf Supermarkt-Parkplätzen Kunden ansprachen. In zwei Fällen lag Hausfriedensbruch vor, in einem hatte ein Mann Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes angegriffen. Die Stadt hält das Verbot von aggressivem Betteln für ein „stumpfes Schwert“. Nähere sich die Polizei oder der Ordnungsdienst, änderten die Bettler schnell ihr Verhalten, so ein Sprecher. Neun Ordnungswidrigkeiten hat die Stadt in diesem Jahr registriert, 30 im letzten Jahr.

Die Oberbürgermeisterin ist überzeugt, dass sich das Betteln verändert hat: „Es wird sehr organisiert durchgeführt.“ Immer wieder gibt es Berichte über kriminelle Bettlertrupps aus Osteuropa, die in deutschen Großstädten unterwegs sind. Beweise dafür gibt es kaum. „Aussagen aus dem Kreis der Betroffenen gibt es in der Regel nicht“, sagt Schneider. Er sagt aber auch, dass die Mehrheit der Bettler in Saarbrücken aus der Stadt und dem Umland kommen.

Die Sozialverbände sehen das Vorhaben der Stadt kritisch. Sie gehen davon aus, dass die Bettler einfach in andere Stadtteile verdrängt würden. Wolfgang Höfner, der das Bruder-Konrad-Haus für Wohnungslose leitet, sagt zwar: „Wenn jemand ein Schild mit der Aufschrift ,Ich habe Hunger’ oder ‚Ich habe kein Obdach’ hochhält, ist das einfach gelogen.“ In Deutschland müsse niemand auf der Straße schlafen oder hungern. Trotzdem gehöre das Betteln zu unserer Gesellschaft. „Es gibt einfach Menschen, die nicht viel haben.“ Für ein Verbot hätte er Verständnis, wenn die Zahl der Bettler überhand nähme. „Aber wenn es nur eine Handvoll ist, dann muss eine Stadt das aushalten können.“ Das sieht auch Jürgen Nieser, Sprecher der Arbeiterwohlfahrt Saarland, so: „Die Stadt ist für alle da. Betteln ist Ausdruck von Armut in einer reichen Gesellschaft.“

Selbst in einem Sozialstaat seien einige Menschen auf Almosen angewiesen, betont Martin Kunz, Sozialarbeiter in der Wohnungslosenhilfe beim Diakonischen Zentrum Saarbrücken. Manche könnten mit ihrer Sozialhilfe oder ihrem Arbeitslosengeld nicht gut haushalten, manche hätten Schulden. Für einige bedeute das Betteln auch, noch am Leben teilzunehmen, wie eine Art „Arbeit“. „Man darf auch nicht vergessen, dass es den Menschen ermöglicht, Geld für etwas auszugeben, das sie nicht unbedingt brauchen“, sagt Kunz, eine Cola in einer Kneipe etwa, statt die günstige aus dem Supermarkt. Auch die Gruppen aus Osteuropa sieht Kunz differenzierter: „Die Leute kommen ja nicht aus einer Laune heraus hierher, sondern weil sie in ihrer Heimat keine Lebensgrundlage haben.“ Dass sie sich für die Anreise zusammenschließen und das Benzingeld teilen, mache sie noch lange nicht zu einer Bande.

Saarbrücken wäre die erste Stadt im Saarland mit einer bettelfreien Zone. In anderen Städten, Saarlouis und Neunkirchen etwa, gibt es keine größeren Probleme mit Bettlern. Die Saarlouiser Stadtsprecherin äußert zudem Zweifel, ob ein Verbot rechtlich haltbar wäre. Auch Kunz hält das für fraglich. Tatsächlich ist das Ganze rechtlich umstritten. Seit 1974 ist das stille Betteln in Deutschland nicht mehr strafbar. Als Stuttgart in der gesamten Stadt ein Bettelverbot einführen wollte, wurde das 1998 vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gekippt. Das Gericht urteilte, dass das stille Betteln nicht generell eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sei. Für räumlich begrenzte Verbote gibt es jedoch bislang keine Gerichtsurteile.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort