"Wir sind von Erfolg zu Erfolg geeilt"

Saarbrücken/Kreis Neunkirchen. "Die Leute standen dicht gedrängt die Treppen hoch - es war beängstigend." Wenn Inge Veit vom Berlin-Gastspiel des Seniorentheaters Die Herbst-Zeitlosen vor ein paar Jahren erzählt, bekommt sie heute noch Gänsehaut. "Wenn das die Feuerpolizei gesehen hätte

Saarbrücken/Kreis Neunkirchen. "Die Leute standen dicht gedrängt die Treppen hoch - es war beängstigend." Wenn Inge Veit vom Berlin-Gastspiel des Seniorentheaters Die Herbst-Zeitlosen vor ein paar Jahren erzählt, bekommt sie heute noch Gänsehaut. "Wenn das die Feuerpolizei gesehen hätte." Dabei hatten sie und ihre Frauen vorher ganz schön Bammel, immerhin wollten sie Brecht-Texte spielen - in Berlin! Und dann kamen über 600 begeisterte Leute. Ähnlich ging es bei einem Gastspiel in Nantes zu. "Der Raum fasste 1000 Leute - und meine Frauen haben ohne Mikrofon gespielt. Die Halle stand Kopf." Am nächsten Morgen beim Bürgermeister-Empfang gab es stehende Ovationen. "Man muss sich das mal vorstellen", sagt Inge Veit und ist immer noch gerührt, "da stehen ältere Frauen, und die werden gefeiert wie Superstars". Es gibt viele solcher Erfolgsgeschichten, wenn man die über 17 Jahre Revue passieren lässt, die die Herbst-Zeitlosen nun bestehen. Aber es werden keine neuen dazu kommen. Denn die Frauen hören auf. Es wird doch immer beschwerlicher, die Fahrerei, das wöchentliche harte Training, das Schreiben der Texte. Dazu war Inge Veit längere Zeit krank. Da wollen sie und "ihre" Damen lieber mit Grandezza abgehen von der Bühne - auch wenn es mit Wehmut geschieht. "Es war eine aufregende, eine schöne Zeit", sagt Inge Veit und ergänzt lächelnd: "Und es war eine lange Zeit - so viele alte Weiber zusammenzuhalten." Ein "normales" Amateurtheater waren die Herbst-Zeitlosen nie. Als die ehemalige Staatstheater-Schauspielerin Inge Veit vor bald 18 Jahren gefragt wurde, ob sie die Theatergruppe der Akademie für Ältere übernehmen wolle, war einer ihrer ersten Sätze: "Ich sage Ihnen gleich: Ein Häkelkursus werden wir nicht." Inge Veit, die viele Jahre auch eine gut gehende Jugendtheatergruppe leitete, bimste unerbittlich Sprecherziehung mit den Frauen. "Sie haben mit Korken im Mund geübt, bis das Gebiss rausgeflogen ist", schmunzelt sie. "Ich habe immer gesagt, ich will es so professionell wie möglich machen." Maske, Beleuchter, Pianisten - alle drumrum mussten Profis sein. Und auch die Frauen, die zuvor meist höchstens mal bei der Fastnacht auf der Bühne gestanden hatten, mussten an ihre Grenzen gehen. Am Anfang verließen viele die Gruppe. Aber die Frauen, die dabeiblieben, sagen bis heute: "Wir haben unglaublich viel gelernt". Die Qualität sprach sich rum. "Sonst hätten wir uns nicht so lange gehalten. Wir sind ja von Erfolg zu Erfolg gegangen", sagt Inge Veit nicht ohne Stolz. Wer je bei einer Vorstellung der "Herbst-Zeitlosen" war, erinnert sich dann auch vor allem an das wirklich verblüffte Staunen darüber, mit welcher Intensität und Professionalität die Frauen zwischen 50 und 80 ihre Texte und Lieder über die Rampe brachten. Kein Wunder, dass die meisten Vorstellungen schon ausverkauft waren, kaum, dass sie angekündigt wurden. Neben dem Talent und der Energie der Amateur-Schauspielerinnen wären die Herbst-Zeitlosen aber sicher nicht das, was sie wurden, ohne Inge Veit. Die ausgebildete Schauspielerin zeigte eine erstaunliche Begabung zu Regie und Menschenführung. Und hielt sich dabei - eher schauspielerunüblich - konsequent im Hintergrund. In all den Jahren gelang es kaum, sie mal auf ein Foto zu bannen. Die Bühne betrat sie kaum noch - und dann höchstens zum Verbeugen. "Ihre" Frauen sollten in den Vordergrund. "Ich wollte nie selbst mitspielen, das hätte ich den Frauen gegenüber als unfair empfunden." Inge Veit hat ein Händchen für den richtigen Moment des Abschieds. Ihren eigenen Bühnen-Abgang entschied sie mitten im Verbeugen: Ihr Schauspiel-Kollege Jürgen Haug und sie waren auf Bitten des früheren Staatstheater-Intendanten Jürgen Trautmann kurzfristig mit ihrem Duo-Stück "Love Letters" eingesprungen, als eine komplett ausverkaufte Premiere im Karlsruher Theater wegen einer Erkrankung im Ensemble nicht stattfinden konnte. "Es war eine Riesenbühne im großen Haus, und wir haben wahrhaftig um unser Leben gespielt." Der Applaus war riesig, stehende Ovationen. Das pure Schauspieler-Glück. "Beim Verbeugen habe ich mir plötzlich gesagt: So, das wirst du nie wieder erreichen, jetzt hörst du auf." Und das tat sie auch. Und weil Inge Veit will, dass die Herbst-Zeitlosen ebenfalls als Erfolgsmodell in den Köpfen bleiben, soll eben auch hier jetzt Schluss sein - mitten im Erfolg. Denn, ganz klar, die letzte Vorstellung am Freitag, 10. September, im Schlosskeller in Saarbrücken ist natürlich längst ausverkauft. "Ältere Frauen wurden gefeiert wie Superstars." Inge Veit

StichwortEine Lieblings-Anekdote von Inge Veit: Die fast schon legendäre Herbst-Zeitlose Ruth Faust, seinerzeit schon zu alt, um selbst noch zu spielen, saß beim Berlin-Gastspiel in der ersten Reihe. Rechts und links von ihr saßen zwei Herren, die ständig miteinander flüsterten. Da platzte der resoluten alten Dame der Kragen: "Meine Herren, sind Sie das erste Mal im Theater? Das gehört sich nicht!" Die damalige Leiterin der Berliner Vertretung, Monika Beck, engagierte Förderin der Herbst-Zeitlosen, wird sich das Lachen nur mit Mühe verkniffen haben. Nach dem Ende der Vorstellung ging sie jedenfalls hin zu Ruth Faust und meinte trocken: "Darf ich vorstellen: Staatssekretär X und Staatssekretär Y." Die Namen der Herren wollen wir hier diskret verschweigen. Die beiden werden sicher nie wieder während einer Theater-Vorstellung geredet haben - zumindest nicht, wenn eine ältere Dame neben ihnen saß . . . breZur PersonInge Veit wurde 1936 in Wittenberg geboren. In Halle nahm sie Schauspiel-Unterricht und stand 1954 erstmals auf der Bühne. Noch vor dem Mauerbau setzte sie sich in den Westen ab, spielte zunächst drei Jahre auf der Bonner Bühne. 1963 kam sie zum Saarländischen Landestheater, später zum Staatstheater. red

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