Stadtplanung Wieviel Luxusbauten verträgt die Stadt?

Saarbrücken · Heute Abend debattieren Stadtforscher in Saarbrücken über Veränderungen des sozialen Gleichgewichts.

 Zehn Jahre stand das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Siemens-Gebäude in Saarbrücken leer. Heute beherbergt es unterschiedlich große Lofts.

Zehn Jahre stand das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Siemens-Gebäude in Saarbrücken leer. Heute beherbergt es unterschiedlich große Lofts.

Foto: Iris Maria Maurer

Welche Folgen hat exklusives Bauen in Innenstädten? Diese Frage beantworten heute um 18 Uhr die beiden Stadtforscher Norma Brecht und Rico Rokitte in der Saarbrücker Galerie Nauwieser Neunzehn auf Einladung der Rosa Luxemburg Stiftung/Peter Imandt Gesellschaft. Wir sprachen vorab mit dem Soziologen Rico Rokitte von der Uni Weimar.

Der Titel der Veranstaltung beinhaltet eine provokante Frage. Hinter „Wem gehört die Stadt?“ steht die Vermutung, dass es bestimmte Gesellschaftsgruppen gibt, die städtischen Wohnraum für sich beanspruchen. Wer ist denn das?

ROKITTE Ich würde die Frage der Veranstalter als eine nach der Teilhabe an der derzeitigen Stadt verstehen, die derzeitige Tendenzen aufgreift innerstädtischen Wohnraum allein ökonomisch gut ausgestatteten Gruppen zuzuerkennen und sozial und/oder kulturell schwächer ausgestatteten Randlagen zuweist. Dieser Punkt berührt damit stark die Frage nach der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik, das heißt einer nach Daseinsfürsorge und einem Recht auf Wohnen für alle.

Von Sozialverbänden wird heftig kritisiert, dass Wohnungen mit auch von Rentnern oder Alleinerziehenden bezahlbaren Mieten in den Städten verschwinden. Sozialer Wohnungsbau hat im Saarland in den vergangenen zehn Jahren fast nicht stattgefunden. Wo können die sozial schwächer Gestellten noch Wohnraum finden?

ROKITTE Ich würde grundsätzlich hier nicht allein den Blick auf die sogenannten sozial Schwächeren richten, selbst in Mittelstädten wie Gießen, Landshut oder Böblingen (alle unter 100 000 Einwohner) zeigen die Steigerungen der Kaufpreise für Immobilien und Grundstücke allein in den letzten zwei Jahren Steigerungen von knapp zehn Prozent auf. Diese Tendenz, die auch Saarbrücken betrifft, weist auf eine Spekulationszunahme hin, die inzwischen Mietwohnungen und auch Eigentumsbildung von mittleren Einkommen betrifft und kaum noch bezahlbar macht. Der Markt für Mietwohnungen in Saarbrücken ist dabei noch speziell. Es sind im Verhältnis zu Stadtgröße derzeit nur sehr wenige Wohnungen überhaupt verfügbar in allen Preisklassen. Das schränkt schon jetzt die Mobilität in der Wohnungssuche deutlich ein. Es braucht auch hier also staatlichen Wohnungsbau oder Förderung für kommunale und genossenschaftliche Wohnraumversorger, um die jetzt schon bestehenden Probleme nicht noch zu verstärken. Leider ist das aber in der derzeitigen politischen Diskussion nicht wirklich zu erkennen. Die wenigen neu aufgelegten Förderprogramme in einigen Bundesländern verfehlen durch ihre Förderbedingungen und auch angedachte Summe der Neubauwohnungen jeden positiven Effekt.

Vor 100 Jahren, als die Wohnungsnot in den Städten groß war, gründeten sich überall Wohnungsbaugenossenschaften, die vor allem für Arbeiter teils moderne Siedlungen schufen. Ist dieses Thema heute tot?

ROKITTE Sie sagen es, derzeit ist das nicht zu erkennen. Wenn ich mir die Antworten auf die Wohnungsnot der Arbeiter und Angestellten aus den 1920er Jahren und später anschaue, besonders die dann auch gebauten Projekte etwa von Ernst May, die auch einen Wohnwert hatten, ist so etwas heute sehr weit weg. Einige Kollegen mögen mir widersprechen, aber bei derzeitigen Diskussionen von Architekten um preiswerten Wohnraum dominieren aus meiner Sicht Schlafboxen und Mikro-Wohnungen, die keinerlei Komfort beinhalten. Also erneut ein Ansatz, wer nicht viel hat, soll auch nicht gut und zentral wohnen. Sozialer Wohnungsbau, der wirklich Wohnungsnot mindert, ist aus meiner Sicht nur über die angesprochenen Wohnungsbaugenossenschaften und kommunalen Bauträger zu haben. Der Stadtforscher Andrej Holm hat hier kürzlich in einer Statistik aufgezeigt, dass nur wenn dies gefördert wurde, wirklich bezahlbare Wohnungen entstanden sind. Private Bauträger sind dazu eher nicht in der Lage. Solange einfachere und gehobene Mietwohnungen in den Baukosten kaum Unterschiede aufweisen, überwiegt der Luxusneubau mit einer deutlich höheren Ertragserwartung.

Auch in Saarbrücken hatten unbekannte Aktivisten im Frühjahr „Stadt für alle“ in rosa auf eine Mauer vor dem ehemaligen, lange leer stehenden Siemens-Verwaltungsgebäude gesprüht, das nun schicke Eigentumswohnungen in Top-Lage in sich birgt. Offenbar ein zarter Versuch des Protests, der längst übertüncht ist. Aber was ist daran auszusetzen, wenn ein Investor ein lange leerstehendes Gebäude in der Innenstadt wieder mit Leben füllt?

ROKITTE Keine Frage, jede Leerstandvermeidung ist sicherlich zu begrüßen, auch wenn besonders bei Investitionsobjekten überhaupt nicht klar ist, ob die Wohnung nach Sanierung und Verkauf überhaupt genutzt wird oder nur eine Geldanlage darstellt. Ich würde die Kritik daran vor allem so verstehen, dass eben nichts anderes mehr gebaut wird und trotz vieler Neubauten ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum bestehen bleibt.

Dieses Siemens-Gebäude, das jetzt Unique heißt, ist nicht das einzige, das eine betuchtere Käuferschicht in Saarbrücken anspricht. In jüngster Zeit sind mehrere Projekte bekannt geworden, die mit einem gewissen Luxus werben. Die Oberen der Stadt sehen das positiv, da mehr kaufkräftiges Publikum angezogen wird. Wie sollte die Balance zwischen den Bewohnern der Städte denn idealerweise aussehen?

ROKITTE Wenn ich einen Blick auf Portale wie Immoscout werfe, ist schon zu erkennen, dass in Saarbrücken, zumindest bei Mietwohnungen, sehr wenige Wohnungen in besserer Ausstattung verfügbar sind. Vielleicht gibt es da einen Bedarf. Die Frage aus einer städtischen Perspektive sollte aber die Sicherung der Daseinsfürsorge aller Bürger sein.

Was macht denn Städte überhaupt attraktiv?

ROKITTE Ich glaube, dass urbanes Leben ein Zusammenwirken aller Beteiligten darstellt und niemanden ausschließt. Wer also Lebendigkeit und Attraktivität will, muss sich auch bemühen, dies sicherzustellen. Die gern gesuchten kreativen Studierenden und Gründer werden kaum in unbewegliche und privatisierte Stadtteile ziehen.

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