Wie Migranten Deutsch lernen

Völklingen · Sie kommen aus der Türkei, aus Afghanistan oder Syrien und treffen sich jeden Morgen, um Deutsch zu lernen. Im sogenannten Alpha-Kurs des Diakonischen Werks lernen einige der Migranten zum ersten Mal überhaupt lesen und schreiben.

 Wie schreibt man einen Entschuldigungsbrief für die Schule? Dozentin Andrea Blumberg-Schmitz übt im Sonderintegrationskurs auch das mit ihren Schülerinnen. Foto: Becker & Bredel

Wie schreibt man einen Entschuldigungsbrief für die Schule? Dozentin Andrea Blumberg-Schmitz übt im Sonderintegrationskurs auch das mit ihren Schülerinnen. Foto: Becker & Bredel

Foto: Becker & Bredel

"Jetzt schreiben wir mal einen Brief an die Lehrerin unseres Kindes", sagt Dozentin Andrea Blumberg-Schmitz. Sie steht vorne an der Tafel und greift zur Kreide. "Was schreiben wir da?", fragt sie die neun Frauen im Klassensaal. "Sehr geehrte Frau . . .", ruft eine aus der Runde. Blumberg-Schmitz schreibt das Diktierte an die Tafel. Keine 20 Minuten später ist der Brief fertig - es ist ein Entschuldigungsschreiben geworden, wie es Eltern ausstellen, wenn das Kind wegen Krankheit nicht zur Schule kommen kann.

Mit lebensnahen Übungen wie dieser bringt Blumberg-Schmitz Migranten die deutsche Sprache bei. Ihr Kurs ist ein Alphabetisierungskurs, kurz Alpha-Kurs, angeboten vom Diakonischen Werk in Völklingen. Alpha-Kurse sind eine Sonderform der Integrationskurse. Die Teilnehmer lernen die deutsche Sprache und das lateinische Alphabet - manche üben sich zum ersten Mal im Lesen und Schreiben. Die Teilnehmer sind dabei entweder sogenannte Zweitschriftenlerner - sie haben einst als Schulkind ein anderes Alphabet gelernt - oder primäre Analphabeten, also solche, die bisher nie ausreichend lesen und schreiben konnten.

In Blumberg-Schmitz' Klasse sind beide Gruppen vertreten. Vorne links sitzt eine Bankkauffrau aus Kabul, sie ist ein Zweitschriftenlerner. Ganz hinten in der Reihe erzählt eine Dame aus der Türkei, dass sie nie zur Schule gegangen sei. Sie lernt zum ersten Mal lesen und schreiben. Auf der anderen Seite des Raumes sitzt Leyla Okal. Sie hatte als Kind gerade einmal zwei Jahre die Schule besucht. "Die Eltern haben mich eben nicht mehr geschickt", meint die 34-Jährige. Sie kommt nun auf Geheiß des Jobcenters hierher.

Mit ihrer Klasse arbeitet Lehrerin Blumberg-Schmitz in Völklingen in einem sogenannten Alpha-Raum, einer Art Muster-Klassenzimmer für Alpha-Kurse. An den Wänden hängen Buchstabenschilder und Erklärtafeln zu "Der menschliche Körper" oder "Essen und Trinken". Hinten steht ein Schrank voller Arbeitsmaterial. Die Teilnehmerinnen haben nur noch wenige Wochen vor sich, dann ist die maximale Zahl von 1200 Unterrichtsstunden Sprachkurs gehalten und die Abschlussprüfung steht an. Der Brief an die Lehrerin, den Blumberg-Schmitz mit ihren Schülerinnen übt, ist schon Teil der Vorbereitung auf den Test.

Wer sich hierzulande einbürgern lassen will, braucht dort ein Ergebnis, das ihm das Sprachniveau B1 bestätigt, was in etwa bedeutet, dass eine Person eine Fremdsprache so weit beherrscht, dass sie im Alltag gut zurechtkommt. Im Alpha-Kurs ist das aber kaum zu erreichen, da sind sich Experten weitgehend einig. Wenn nur die Hälfte der Alpha-Kurs-Teilnehmer das um eine Stufe niedrigere Niveau A2 schaffe, "dann sind wir schon froh", sagt Tatjana Brauer vom Diakonischen Werk. Das reicht dann zwar nicht für die Einbürgerung, wohl aber seien Absolventen mit A2 schon in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden.

Für Leyla Okal ist der Weg in den ersten Arbeitsmarkt eine denkbare Option. Ein Stück der Sprachbarriere hat sie hierfür schon abgebaut. "Ich gehe jetzt schon allein zum Arzt oder zum Elternsprechtag", erzählt die 34-Jährige, und unter ihrem türkisfarbenen Kopftuch blitzen ihre energischen Augen. Ihre Stimme ist laut, sie erzählt viel und gerne - nach zehn Monaten Alpha-Kurs nun auch auf Deutsch.

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HintergrundAuch Migranten, die nicht bei null mit dem Alphabet anfangen, tun sich schwer, im Deutschtest auf ein B1-Niveau zu kommen. Im ersten Halbjahr 2012 schafften das im Saarland gerade einmal 46,6 Prozent der Teilnehmer. Wie schon seit Jahren ist das Saarland mit dieser Quote mit Abstand auf dem letzten Platz aller 16 Bundesländer - und paradoxerweise "stolz" darauf, wie Armin Klinkner, der saarländische Regionalkoordinator Integration des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sagt. Als einziges Bundesland lässt das Saarland seine Integrationstests von unabhängigen Prüfern abnehmen. "Dadurch sind unsere Ergebnisse nicht manipulierbar", sagt Klinkner. Ein B1-Ergebnis sei zwar schwerer zu bekommen, die Zensuren aber "belastbarer und nachvollziehbarer". cau

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