Wer säuft, fegt den Zoo

Kreis Neunkirchen. Tina (14) findet es "ungerecht". Nadja (14) findet es "in Ordnung". Vereinfacht geht es um die Frage: Läuft in einer Gruppe was falsch, haften alle oder nur der Handelnde und die Mitläufer sind fein raus? Tina und Nadja (Namen geändert) hingen mit ihrer Clique außerhalb des Unterrichts auf dem Schulgelände ab (Schulname ist der Redaktion bekannt)

Kreis Neunkirchen. Tina (14) findet es "ungerecht". Nadja (14) findet es "in Ordnung". Vereinfacht geht es um die Frage: Läuft in einer Gruppe was falsch, haften alle oder nur der Handelnde und die Mitläufer sind fein raus? Tina und Nadja (Namen geändert) hingen mit ihrer Clique außerhalb des Unterrichts auf dem Schulgelände ab (Schulname ist der Redaktion bekannt). An die 30 Teenies ließen die Flasche kreisen - Bier und Mixery. Tina und Nadja tranken "nur", Ältere holten den Stoff. "Wir haben gechillt. Dann kam ein Wagen, Leute sind ausgestiegen, haben ihre Ausweise gezeigt", schildern Tina und Nadja. Die Polizei im Einsatz. "Die meisten sind abgehauen, einige haben's auch geschafft", erzählen die Mädchen weiter. Tina und Nadja nicht. Für die beiden Freundinnen und die anderen "Erwischten" griff dann, was der Verein Prokids Neunkirchen in diesem Jahr initiiert hat. Der 1. Vorsitzender Gernot Müller erklärt den Hintergrund im SZ-Gespräch: "Alkoholmissbrauch bis hin zu Koma-Saufen greift immer mehr um sich. Eine Gruppe trifft sich, sammelt Geld. Wer schon 16 ist wird einkaufen geschickt. Bier, Mixery. Der 16-Jährige kauft also den Alkohol und versorgt die Jüngeren." Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz. Ordnungswidrigkeit. Geldbuße.Prokids sagt nun: "Bei geringen Ordnungsverstößen, die einer begangen hat, sind alle mit im Boot, weil sie für sich einkaufen ließen. Und deshalb sollen auch alle als erzieherische Maßnahme gemeinsam Sozialstunden leisten." Pädagogik statt Strafe. In diesem Jahr, so Gernot Müller weiter, waren bereits 53 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren in Gruppen im Zoo zum Fegen, Säubern, Streichen. 30 Jungs und 23 Mädchen, alle aus dem Raum Neunkirchen, Spiesen-Elversberg und Ottweiler. Sechs Sozialstunden hat jeder zu absolvieren - drei Mal zwei Stunden. Im Neunkircher Zoo. Heinz Walter (62), im Vorstand von Prokids, trockener Alkoholiker und Suchtkrankenhelfer, hat die Teenager unter seinen Fittichen. Anwesenheit wird kontrolliert. So auch am Tag unseres Besuchs. Acht Mädchen und sechs Jungs saßen am Tisch in der Zooschule, die Jüngsten 13. "Wer trinkt Alkohol? Wer raucht? Wer hat schon gekifft?" fragt Walter ab. Immer geht die Mehrheit der Hände geht nach oben. "Und wer schafft am schnellsten am meisten?" Hier ein Grinsen, dort ein Ellbogenknuff gegen den Nachbarn, da Stille. Ehrenamtler Walter hat noch ehrenamtliche Helfer an seiner Seite. An diesem Tag Gerhard Müller (49) und Markus Augustin (41). Beide Väter, die Freizeit mit "Sinnvollem" füllen wollen.Der Weg zu Sozialstunden ist für die Jugendlichen, die alkoholauffällig waren, geregelt. Gernot Müller: "Zunächst führe ich Gespräche mit der gesamten Gruppe, mit Eltern und vielleicht auch Lehrern. Die Eltern müssen eine Einverständnis-Erklärung abgeben." Und ihre Töchter und Söhne sollen freiwillig Ja sagen. "Alle sind mit im Boot, weil sie für sich einkaufen ließen."Gernot MüllerMeinung

Neue Wege sind notwendig

Von SZ-RedakteurinClaudia Emmerich Die Zigarette wandert im Kreis. Bei wem die Asche fällt, landet die Pulle. 20 Schluck sind Pflicht. Nächste Runde. Gernot Müller, Polizeihauptkommissar und Initiator des Präventionsnetzwerks Prokids, erlebt beim Alkoholmissbrauch Jugendlicher neue Qualitäten: öffentlich, zielgerichtet, bis zum Umfallen. Da sucht Prokids in Vorbeugen und Bekämpfen neue Wege. Bier kann ein 16-Jähriger besorgen. Nicht nur der Käufer soll dran sein, sondern auch die Mittrinker. Finden nicht alle gut, wie wir von Jugendlichen hören. Wir finden es gut. Und Sozialstunden für alkoholauffällige Jugendliche unter 18 mag man auch erst mal gut heißen. Auch erfolgversprechend? Teilnahme freiwillig, heißt es. Einen ganz freiwilligen Eindruck haben die Teenager, die wir gesprochen haben, nicht gemacht. Eher zur Freiwilligkeit "gedrückt". Um Schlimmerem auszuweichen. Drohendem Schulverweis beispielsweise. Die Treffen im Zoo sind auch als Chance gedacht, ins Gespräch und ins Nachdenken zu kommen. Und auch wenn manche(r) nur daran denkt, die drei Mal zwei Stunden hinter sich zu bringen: Es ist richtig, neue Wege zu gehen.

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