Wer hat bei der Kontrolle versagt?

St. Wendel. Seit Monaten kein Geld bekommen, in kaum zu bewohnenden Unterkünften auf engstem Raum zusammengepfercht, unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt: Die Vorwürfe der Industriegewerkschaft Bau, Agrar und Umwelt (IG BAU) wiegen schwer. Es ist sogar vom Verdacht des Menschenhandels die Rede

 Die betroffenen Arbeiter auf ihrem Weg zur Baustelle am Bostalsee: Sie fordern ihren ausstehenden Arbeitslohn. Foto: hgn

Die betroffenen Arbeiter auf ihrem Weg zur Baustelle am Bostalsee: Sie fordern ihren ausstehenden Arbeitslohn. Foto: hgn

St. Wendel. Seit Monaten kein Geld bekommen, in kaum zu bewohnenden Unterkünften auf engstem Raum zusammengepfercht, unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt: Die Vorwürfe der Industriegewerkschaft Bau, Agrar und Umwelt (IG BAU) wiegen schwer. Es ist sogar vom Verdacht des Menschenhandels die Rede. Darum hat der Skandal um den unwürdigen Umgang mit rumänischen Gastarbeitern auf der Ferienpark-Baustelle am Bostalsee jede Menge Reaktionen ausgelöst. Die Saarbrücker Zeitung dokumentiert sie. - St. Wendels Landrat Udo Recktenwald (CDU): Er zeigte sich empört. Konsequenz: Er beraumte als Vorsitzender eine kurzfristige Sitzung des Aufsichtsrates der Projektgeselschaft Bostalsee (PGB) für diesen Donnerstag an. Zwar ist die PGB für den betreffenden Bereich nicht zuständig, in dem es zu den Zwischenfällen gekommen sein soll. Dennoch soll sie sich mit dem Thema befassen. Recktenwald: "Gegebenenfalls muss man sich von dem betroffenen Unternehmen trennen." Verantwortlich für den Bau der 500 Ferienhäuser am Bostalsee ist die Firma IETC aus Fresenburg. Hier waren bislang die 50 Rumänen mit dem Innenausbau beschäftigt. Recktenwald hofft "auf eine rasche Lösung, damit der zeitliche Rahmen des Gesamtprojekts nicht gefährdet wird". Im Juli will der französische Betreiber Center-Parcs den Ferienpark eröffnen. - Andreas Veit (CDU), Nohfeldens Bürgermeister: Er will sich in dieser Woche mit einem Vertreter des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen (EVW) im Rathaus treffen. Mit ihm will er beratschlagen, wie ausländische Gewerbe-Antragsteller besser und in ihrer Muttersprache beraten werden können. Seit Baubeginn im März 2011 hatten sich allein weit über 200 Rumänen als Selbstständige in der Gemeindeverwaltung angemeldet. Gewerkschafter gehen von Scheinselbstständigkeit aus. - Torsten Lang, tourismuspolitischer Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion: "Dass bei diesem touristischen Vorzeigeprojekt in unserem Landkreis der Verdacht auf Menschenhandel im Raum steht, zudem missbräuchliche Scheinselbstständigkeit und erhebliche Lohnrückstände zu Lasten der dort Beschäftigten an der Tagesordnung sein sollen, darf von der Kreispolitik nicht hingenommen werden." Er forderte daher "schnelle und konsequente Aufklärung." Es dürfe nicht länger weggeschaut werden. Da der Landkreis "im Zuge der Projektfinanzierung die Übernahme "einer nicht unerheblichen Zahl dieser Fereinhäuser garantiert", sei er "in besonderer Weise im Boot - und in der Verantwortung." Recktenwald soll unverzüglich rechtliche Konsequenzen prüfen. - Werner Wilhelm, tourismuspolitischer Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion: Er sprach bei Langs Äußerungen von "armseliger Polemik" auf dem Rücken der betroffenen Bauarbeiter. Schließlich stehe die Geschäftsführung der Projektgesellschaft in Verantwortung von SPD-Wirtschaftsminister Heiko Maas. Die Geschäftsführung habe dem Aufsichtsrat "glaubhaft dargelegt", dass im Bereich der öffentlichen Zuständigkeit alles ordnungsgemäß ablaufe. Das gelte auch für die Privatunternehmer. Das habe der Aufsichtsrat, dem Kreis-SPD-Chef Magnus Jung angehört, "auch so zur Kenntnis genommen". Nun solle Maas dafür sorgen, "dass IETC aufklärt und die Missstände behebt". - Kreis-SPD-Chef Magnus Jung: Er sagte, bereits zu Jahresbeginn in einer regulären PGB-Aufsichtsratssitzung "auf diese Problematik hingewiesen" zu haben: "Doch den Fällen wurde nicht nachgegangen." - Armin Fuchs; Kreisvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) innerhalb der SPD: Schon vor Wochen habe es Hinweise auf "Verstöße, was die Bezahlung und Unterbringung der Beschäftigten betrifft", gegeben. Doch weder Recktenwald noch Veit hätten dies "hinreichend ernst genommen". Er nehme ihnen ihre Fassungslosigkeit nicht ab. "Wenn es tatsächlich stimmt, dass im Rathaus von Nohfelden 200 Gewerbeanmeldungen rumänischer Staatsbürger erfolgt sind, dann muss man sich wirklich fragen: Wie massiv hat man dort weggesehen?" - Lars Schlaup, Bündnisgrüne im Kreistag: "Sollte sich auch nur einer der Punkte als richtig herausstellen, muss dem Unternehmen sofort gekündigt werden." Eine Nachzahlung aller unterbliebenen Zahlungen sowie Schadenersatz müsse dem Betrieb auferlegt werden. Auch die Gemeinde Nohfelden "muss sich mit Sicherheit einige unangenehme Fragen stellen lassen". - Sandra Henkel, Vorsitzende der Jungsozialisten (Jusos) im Landkreis: Für die Chefin der SPD-Nachwuchsorganisation stehe fest: "Das ist pure Ausbeutung und menschenunwürdig." Nohfeldens Bürgermeister kaufe sie die "tiefe Betroffenheit nicht ab". Seit Wochen "sind Gerüchte bekannt, dass die rumänischen Arbeiter ausgenutzt werden". Wegen derer massenhaften Anmeldungen in der Gemeinde, "hätte den Behörden etwas auffallen müssen". Doch keiner sei der Sache auf den Grund gegangen. - Albert Ottenbreit von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) im Saarland: "Hier scheint ein besonders schlimmer Fall von Ausbeutung menschlicher Arbeit vorzuliegen, der alle Standards von guter Arbeit mit Füßen tritt." Ottenbreit verlangte daher einen gesellschaftlichen Protest gegen Menschenhandel und ausbeuterischen Umgang mit Menschen am Arbeitsplatz. Er forderte unter anderem "die Herstellung ordnungsgemäßer arbeitsvertraglicher Bedingungen". > Seite B 1: Weiterer Bericht

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