Wenn Saarländer den Duden holen

Auch nach acht Monaten in meiner neuen Heimat verwirren mich die Saarländer fast täglich: "Ich war gestern zum Blutholen", sagte neulich die Kollegin zu mir. Mein Gesicht erstarrte. Vor meinem inneren Auge erschien ein Bild, auf dem sie mit zwei Eimern voller Blut durch die Straßen marschiert

Auch nach acht Monaten in meiner neuen Heimat verwirren mich die Saarländer fast täglich: "Ich war gestern zum Blutholen", sagte neulich die Kollegin zu mir. Mein Gesicht erstarrte. Vor meinem inneren Auge erschien ein Bild, auf dem sie mit zwei Eimern voller Blut durch die Straßen marschiert. Mir drängten sich zwei Fragen auf: Wessen Blut hat meine Kollegin woher geholt? Und was in Gottes Namen will sie mit den Unmengen an Blut? Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus. Liegt Transsilvanien im Saarland?Doch dann fiel der Groschen: Die alles andere als blutrünstige Kollegin war schlicht beim Arzt, um sich Blut abnehmen zu lassen, wie man in Norddeutschland sagt. Ich entspannte mich und staunte wieder einmal über diese unglaubliche sprachliche Konsequenz des Saarländers: Rigoros vermeidet er das Wort "nehmen", das an der Saar auf der schwarzen Liste zu stehen scheint. Er holt Koffer mit in den Urlaub. Er macht eine Diät, um abzuholen. Er holt die Dinge in die Hand.Ich habe mir bei meinem alten Delmenhorster Deutschlehrer Rat geholt: Wer sich eine Cola aus dem Kühlschrank "holt", muss erst den Weg dorthin zurücklegen. Wer sich die Cola dagegen "nimmt", steht bereits vor dem Kühlschrank. Doch diese Regel ignoriert der Saarländer konsequent. Er holt den Duden einfach nicht ernst.Gerrit Dauelsberg stammt aus dem niedersächsischen Delmenhorst. Sein Volontariat bei der SZ hat ihn für drei Monate nach Merzig verschlagen. Als Zugereister schildert er Eindrücke aus seiner Wahlheimat.

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