Wenn die Rübe zum Schreckgespenst wird

Niedaltdorf/Rubenheim. "Das ist ganz viel Arbeit", meint die fünfjährige Jasmin. "Hmm, das schmeckt ja süß", sagt neben ihr der gleichaltrige Jan schmatzend. Zusammen mit 50 anderen Kindern sitzen die beiden an einem von sechs großen Tischen und schnitzen an einer Rübe, kräftigt unterstützt von ihren Eltern

 Marian (5), Maxine (11) und Marlen (7) Ullrich aus Niedaltdorf mit ihren selbstgebastelten, fürchterlichen Rummelbooze. Foto: Florian Rech

Marian (5), Maxine (11) und Marlen (7) Ullrich aus Niedaltdorf mit ihren selbstgebastelten, fürchterlichen Rummelbooze. Foto: Florian Rech

Niedaltdorf/Rubenheim. "Das ist ganz viel Arbeit", meint die fünfjährige Jasmin. "Hmm, das schmeckt ja süß", sagt neben ihr der gleichaltrige Jan schmatzend. Zusammen mit 50 anderen Kindern sitzen die beiden an einem von sechs großen Tischen und schnitzen an einer Rübe, kräftigt unterstützt von ihren Eltern. Mit Messern und Löffeln höhlen die Kinder die dicken Futterrüben aus. "Willst du runde oder dreieckige Augen haben", fragt Papa Christian seinen vierjährigen Sohn Paul. "Ein Rundes und ein Eckiges", entgegnet Paul. "Damit er richtig gruselig wird."Die Kinder, die im Dorfgemeinschaftshaus von Niedaltdorf werkeln, basteln Rummelbooze - mit düsteren Mienen verzierte, ausgehöhlte Runkelrüben, die innen durch eine Kerze erleuchtet werden. "Damit möchten wir eine alte Tradition wieder aufleben lassen, damit der Brauch nicht verloren geht", erzählt Elisabeth Schütz, Vorsitzende der Niederaltdorfer Landfrauen. Bereits zum 13. Mal richtet der Verein ein Rummelbooze-Fest aus.

Früher war der Rummelbooz-Brauch im ganzen Saarland bekannt, heutzutage verschwindet er immer mehr. Über seine Ursprünge weiß heute kaum noch jemand Bescheid. Ein Experte in Sachen Rummelbooz-Brauch ist Gunter Altenkirch. Der Volkskundler lebt 80 Kilometer von Niedaltdorf entfernt, in Rubenheim im Mandelbachtal. Dort führt er mit seiner Familie das Museum für dörfliche Alltagskultur. "Der Rummelbooz geht auf einen älteren Brauch zurück, die Habergeiß. Dieser Brauch ist seit dem 17. Jahrhundert in unserer Region bekannt", erklärt der 70-Jährige.

Das Wörterbuch der Gebrüder Grimm beschreibt die Habergeiß als einen Dämon in Ziegen- oder Vogelgestalt. Vor allem im Alpenraum verkleideten sich junge Männer in der Zeit zwischen November und dem Drei-Königs-Fest (6. Januar) als Habergeiß und erschreckten in der Dämmerung und auf Festen die Bevölkerung. Nach dem verheerenden 30-jährigen Krieg, nach Hungersnöten und Seuchen, siedelten viele Bewohner der Alpenregion ins nur noch schwach bevölkerte Saargebiet über und brachten ihre alten Bräuche mit. "In unserer Region verkleideten sich vor allem junge Burschen, die gerade mit der Schule fertig waren und mit einer Lehre begannen, als Habergeiß", erzählt Altenkirch. Als Verkleidung nutzten die jungen Männer meist ein altes Leinentuch, das den ganzen Körper bedeckte, erklärt der Volkskundler. Auf einer langen Stange wurde eine knorrige Wurzel montiert. "So verkleidet zogen die Burschen dann in der Dämmerung durchs Dorf und jagten den Leuten Angst ein", sagt Altenkirch.

Aber das Suchen nach der passenden Wurzel war mühsam und in der Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte in der Region eine Feldfrucht auf, die den Brauch veränderte: Die Futter- oder Runkelrübe. Diese Pflanze wurde auch im Saarland sehr häufig angebaut und diente hauptsächlich als Viehfutter, aber auch als Material für den Rummelbooz. "Der Rummelbooz hat gegenüber der Habergeiß viele Vorteile, die die Burschen schnell erkannten", meint Altenkirch. "Sie waren leichter zu beschaffen, und weil sie leuchteten, wirkten sie viel stärker und man konnte noch zu später Stunde Leute erschrecken." Ursprünglich trugen die Rummelbooze auch noch ein altes Leinentuch um den Körper, erzählt der Volkskundler (boozen heißt in saarländischer Mundart verkleiden). Die Rübe mit ihrer schrecklichen Fratze und der Kerze steckte auf einem Stab, den die Verkleideten vor dem Körper über dem Kopf hielten.

Genau wie der Habergeiß-Brauch, war das Rummelbooze ein Neckbrauch. Im Gegensatz zum ursprünglichen Halloween-Brauch sollten keine bösen Geister vertrieben, sondern im Gegenteil, auf diese Geister und die Sagenwelt hingewiesen und die Mitbürger erschreckt werden, meint Altenkirch. Junge Frauen durften bis ins 20. Jahrhundert nicht teilnehmen. "Die Blütezeit der Rummelbooze waren die 1920er bis 1950er Jahre", erzählt Gunter Altenkirch. "Danach ging der Brauch immer mehr zurück." Zu dieser Zeit führten lediglich Kinder das Rummelboozen fort - nun aber ohne Verkleidung. Auch Mädchen durften nun endlich ihre Zeitgenossen ängstigen. Ein großer Einschnitt war die Umstellung der Landwirtschaft von Rüben- auf Maisanbau in den 1970er Jahren. "Heute bauen nur noch wenige saarländische Bauern Rüben an", sagt Altenkirch.

Die Niedaltdorfer hatten Glück: Ein Bauer aus dem Dorf hatte die Rüben für die Kinder extra angebaut. Mit tollem Ergebnis: 160 Rummelbooze sind an einem Tag auf dem Niedaltdorfer Fest entstanden.Foto: Florian Rech

"Die Blütezeit der Rummelbooze waren die 1920er bis 1950er Jahre."

Gunter Altenkirch, Volkskundler

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