Weniger Gedichte, mehr Berufs-Deutsch Erste Erfolge, ungewisse Zukunft

Saarbrücken. "Erste Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleitung zeigen, dass man mit diesem Ansatz auf dem richtigen Weg ist", erklärte das Bildungsministerium gestern auf Anfrage zum Modellprojekt "Reformklasse". Beim ersten Durchgang haben von saarlandweit 238 Schülerinnen und Schüler 236 den Hauptschulabschluss geschafft

 Norbert Heckmann, Ute Lessel (hinten) und Maria Hoeller in der 7 RF 1 der ERS Martin-Luther-King: Vorn am Tisch entsteht ein Stadtwappen, am Tisch links dahinter ein Gedicht über Saarlouis. Foto: Hartmann Jenal

Norbert Heckmann, Ute Lessel (hinten) und Maria Hoeller in der 7 RF 1 der ERS Martin-Luther-King: Vorn am Tisch entsteht ein Stadtwappen, am Tisch links dahinter ein Gedicht über Saarlouis. Foto: Hartmann Jenal

Saarbrücken. "Erste Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleitung zeigen, dass man mit diesem Ansatz auf dem richtigen Weg ist", erklärte das Bildungsministerium gestern auf Anfrage zum Modellprojekt "Reformklasse".Beim ersten Durchgang haben von saarlandweit 238 Schülerinnen und Schüler 236 den Hauptschulabschluss geschafft. Die Schüler der Reformklassen "zeigen generell Leistungsverbesserungen gegenüber den Vorjahren, so sind in einigen Schulen diese mehr als eine Notenstufe besser". Die Abbrecherquote "konnte deutlich gesenkt werden; die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler hat sich erheblich verbessert". Bildungs- und Ausbildungschancen hätten sich "erkennbar verbessert": Von den 236 Schülern mit Hauptschulabschluss gehen 110 auf eine weiterführende Schule und streben einen weiteren Schulabschluss an. 53 sind in Ausbildung und 73 bereiten sich im BGJ/BGS oder FSJ auf eine Ausbildung vor." we

Saarlouis. Die junge Museumsführerin erwischt es an diesem Tag gleich mehrfach. Wo steht denn das Original der Büste von Stadtbaumeister Vauban, dessen Kopie im Museum zu sehen ist? Ist das dieselbe Figur, die wir vorher im Rathaus gesehen haben, fragen Schüler der Klasse 7 RF 1 der Martin-Luther-King-Schule in Fraulautern. Nicht auf alle Fragen bekommen sie an diesem Morgen eine Antwort im städtischen Museum. Der Besuch ist Teil eines Projektes ihres Unterrichtes. Ein anderer Teil ist, was sie 14 Tage später in ihrem Klassenraum in einem "Gedicht über Saarlouis" reimen: "Im Städtischen Museum waren wir allein/deshalb verhielten wir uns auch ganz fein."

Der Klassenname RF steht für Reformklasse. Getestet wurden und werden sie an vier Erweiterten Realschulen und zwei Gesamtschulen im Saarland. Das Prinzip: Ein pädagogisches Team aus zwei gleichberechtigten Klassenlehrern, hier Maria Hoeller und Norbert Heckmann, sowie einem Sozialcoach, das ist hier Ute Lessel, Sozialpädagogin beim CJD, ändern ein bisschen, was üblicherweise auf dem Weg zum Hauptschulabschluss gelehrt wird, und sie kümmern sich intensiv um die Jungen und Mädchen.

Unterricht gibt es verstärkt in größeren Projekten wie dem zur Stadtgeschichte. Trainiert werden Fähigkeiten, die sonst in einzelnen Fächern zu finden sind: Informationen besorgen und verarbeiten, Schreiben, Malen und Gedichte, Präsentation von Ergebnissen, zum Beispiel. Dies mit zwei Zielrichtungen: Zum einen soll intensiver gelernt werden, was in Pojekten nach Erkenntnissen der Lernwissenschaften leichter falle als im Fächer-Unterricht, sagt Hoeller. Zum anderen werden die Fähigkeiten gezielt trainiert, die die Jugendlichen später in der Ausbildung und Beruf tatsächlich brauchen. Die Prüfung am Ende ist dieselbe, die jeder Hauptschüler ablegt.

In der Wahl der Schwerpunkte sind die einzelnen Lehrer im Rahmen des Modellversuchs Reformklassen ungewöhnlich frei. "Wir üben lieber etwas mehr Deutsch für Bewerbungsschreiben als Versmaße für Gedichte" , sagt Hoeller. Mathe ist natürlich auch ein Schwerpunkt, erklärt Heckmann.

Begleitet wird der Unterricht sozialpädagogisch. "Wir haben einen Klassenrat, in dem alles besprochen wird, was die Schüler bewegt", sagt Lessel. Schön geordnet mit Vorsitzendem, Protokollanten und Zeit-Wächter. "Die Jungen und Mädchen sollen ihre Anliegen später in Ausbildung und Beruf besser vertreten können."

Die 7 RF1 ist der vierte Durchgang der Reformklassen an der ERS in Fraulautern. "Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesem Konzept unseren Schülern gerechter werden können, dass wir damit jeden einzelnen individueller fördern können, damit so jeder seinen Platz im Berufsleben finden kann", lautet die Zwischenbilanz von Schulleiter Bernd Schmitz. "Ob und in welcher Form der Modellversuch Reformklassen fortgeführt wird, ist noch nicht entschieden", lautet die aktuelle Auskunft aus dem Bildunsgministerium.

Meinung

Das Bestmögliche ist möglich

Von SZ-RedakteurJohannes Werres

 Norbert Heckmann, Ute Lessel (hinten) und Maria Hoeller in der 7 RF 1 der ERS Martin-Luther-King: Vorn am Tisch entsteht ein Stadtwappen, am Tisch links dahinter ein Gedicht über Saarlouis. Foto: Hartmann Jenal

Norbert Heckmann, Ute Lessel (hinten) und Maria Hoeller in der 7 RF 1 der ERS Martin-Luther-King: Vorn am Tisch entsteht ein Stadtwappen, am Tisch links dahinter ein Gedicht über Saarlouis. Foto: Hartmann Jenal

Das Projekt Reformklasse hat Erfolg. Nicht irgendeinen. Sondern: Jungen Leuten wird eine Lebensweiche gestellt, wie es sonst auf dem Weg zum Hauptschulabschluss nicht möglich ist. Es geht also. Mehr Personal bringt eben doch was. Und siehe da: Lehrer, den man echten Freiraum anvertraut, kriegen das hin. Ein bisschen der gewohnten Starre von Schule lässt nach. Schüler bekommen, was sie wirklich brauchen. Der Mehraufwand zahlt sich auch volkswirtschaftlich ganz schnell aus. Denn die Fraulauterner Hauptschüler werden mal besser, effektiver, in den Beruf starten, als sie es ohne Reformklasse getan hätten. Das Drama: Warum darf das nicht Standard in der Schule sein? Warum leisten wir es uns, Jugendlichen nicht das Bestmögliche zu vermitteln - wo wir doch wissen, was gut ist?

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