Islam und Feminismus Muslimische Feministinnen: ,,Wir sind mutig, nicht unterdrückt“

Saarbrücken · Zum Weltfrauentag haben wir mit gläubigen Muslimas über Frauenrechte, das Kopftuch und den Islam gesprochen.

 Muslimische Feministinnen tragen selbstbewusst Kopftuch. Sie beklagen viele Formen von Diskriminierung.

Muslimische Feministinnen tragen selbstbewusst Kopftuch. Sie beklagen viele Formen von Diskriminierung.

Foto: picture alliance / dpa/Frank Rumpenhorst

Saarbrücken Es wird viel über muslimische Frauen mit Kopftuch gesprochen, aber selten mit den Frauen selbst. Heute kommen vier von ihnen hier zu Wort und erklären, was die Verhüllung ihnen bedeutet und welche Erfahrungen sie in Deutschland damit machen, wo laut einer repräsentativen Umfrage 31 Prozent das Kopftuch ablehnen. 61 Prozent der Befragten sehen im Kopftuchtragen ein Hindernis für die Gleichstellung von Mann und Frau.

 Welche Erfahrungen haben Sie als Kopftuchträgerinnen gemacht?

SAIDA Wer ein Kopftuch trägt, spricht kein Deutsch und ist dumm. Das sind gängige Vorurteile. Und manchmal wird man dann auch unfair behandelt, zum Beispiel in Geschäften. Ich wollte mal etwas in einem großen Elektromarkt umtauschen, doch der Verkäufer wollte mir weismachen, dass das nicht möglich sei. Er ging einfach davon aus, dass ich meine Rechte nicht kenne. Ich habe mich dann beim Geschäftsführer beschwert und mein Geld bekommen. Ich habe mich gewehrt, aber viele machen das nicht.

 HALIMA Insgesamt ist es in der Klinik in Homburg bisher sehr gut gelaufen. Ich bin Medizinstudentin und arbeite dort im Schlaflabor. Manchmal rede ich dort auch mit Patienten über den Islam und das Kopftuch, wenn sie fragen. Aber ich hatte auch schon schlechte Erfahrungen. Im Supermarkt hat mich jemand einmal angegriffen, als ich dort mit meinem Sohn war und mit ihm in meiner afrikanischen Muttersprache gesprochen habe. Erst warf er mir vor, dass ich kein Deutsch spreche, und dann sagte er, ich würde bestimmt von Sozialhilfe leben. Da bin ich ausgeflippt, habe ihm richtig die Meinung gesagt. Ich lebe seit zwölf Jahren in Deutschland und habe noch nie von Sozialhilfe profitiert.

 Viele Menschen empfinden das Kopftuch als Barriere. Verstehen Sie das? Warum tragen Sie es?

LAMIA Wir spüren das und verstehen es auch, weil wir ja auch in dieser Kultur leben und sie kennen. Worauf wir hoffen, ist dass man hier auf uns zukommt und Fragen stellt. Wir sind nicht unterdrückt. Ich trage das Kopftuch seit vielen Jahren als Zeichen meiner Religion und habe das selbst entschieden. Ich möchte nach meinen Leistungen beurteilt werden, das Kopftuch hat mit meiner Intelligenz nichts zu tun.

 Halima Ich trage mein Kopftuch schon lange, schon bevor ich geheiratet habe. Mein Mann kann mich also gar nicht dazu gezwungen haben. Es ist für mich wie eine gottesdienstliche Handlung.

 Frau Bakkali, Sie sind vor fast zehn Jahren zum Islam konvertiert, tragen aber kein Kopftuch. Warum nicht?

Petra Mir fehlt leider zurzeit das Selbstbewusstsein, das Tuch anzulegen. Es gibt so viel Unwissenheit über den Islam und Diskriminierung. Das merke ich auch in meinem deutschen Umfeld.

 Unser Thema ist der Feminismus, aus westlicher und aus muslimischer Perspektive. Seit den 60er Jahren kämpfen Feministinnen im so genannten Westen nicht nur um Gleichheit der Geschlechter, sondern auch um sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung. Wie passt das zum „Muslimischen Feminismus“, wenn man das überhaupt so nennen kann?

Lamia Die Frage, die sich hier stellt ist: Wer entscheidet, wieviel ich von meinem Körper zeige? Man kann es auch andersherum sehen: Eigentlich sind wir muslimischen Frauen mutig und alles andere als unterdrückt, weil wir uns trauen, mit Kopftuch auf die Straße zu gehen in einer Gesellschaft, wo das nicht gern gesehen wird und alle anderen es anders machen. Ich wurde schon so oft beschimpft und schräg angeguckt. Das ist in der deutschen Gesellschaft schlimmer geworden.

  Sie würden aber doch konzidieren, dass das Kopftuch nicht immer freiwillig angelegt wird, oder?

Saida Jetzt geht es wieder um das Wissen um den Islam, um den Unterschied zwischen Religion und Tradition. In manchen muslimischen Kulturen wissen die Menschen nicht, warum sie etwas machen, gerade die Frauen. Das spielt den Islamkritikern in die Hände. Ihnen fehlt das Wissen. Wir diskutieren auch in dieser Runde, warum Mütter ihre Töchter drängen, ein Kopftuch anzulegen. Es ist wichtig, dass das Mädchen weiß, warum sie es tut und dass es freiwillig ist. Sie muss dahinter stehen, gerade in dieser Gesellschaft. Zwang darf es nicht geben. Wenn eine junge Frau selbstbewusst diese Entscheidung trifft, lässt sie sich auch nicht schnell in ihrem Glauben verbiegen.

 Ich möchte hier gerne das Thema Religiosität diskutieren.

Halima Der Koran sagt, es gibt keinen Zwang im Glauben. Entweder eine Frau verhüllt sich für ihren Gott, weil es so im Koran steht, oder sie tut es nicht.

 Da kollidieren die Ansichten von westlich geprägten Feministinnen und tiefgläubigen Muslima. Wie findet man da eine Basis?

Petra Als Frauen in den 70ern ihre BHs verbrannten, haben sie für Freiheiten gekämpft. Warum muss ich heute als Muslima um die Freiheit kämpfen, ein Kopftuch zu tragen?

 Viele Feministinnen sehen hart erkämpfte Freiheiten durch das Frauenbild, das der Islam speziell durch das Gebot der Verhüllung weiblicher Reize transportiert, bedroht…

Petra Wir haben doch alle unsere Vorstellungen. Ich kenne Mütter, die beschweren sich, dass ihre sehr freizügig gekleideten Töchter auf der Straße angemacht werden. Da sind die Mütter für ihre Töchter verantwortlich.

 Ein gutes Beispiel, denn damit kommen wir zum Männerbild im Islam. Der Mann erscheint da als weitgehend triebgesteuert. Eben fiel hier das Wort Schürzenjäger. Zementieren Sie denn nicht durch das Kopftuch die Ungleichheit von Mann und Frau, indem Sie den Männern durch ihre Verhüllung Verantwortung abnehmen, Frauen respektvoll zu behandeln?

Saida Was ideal auch nach dem Islam ist, ist leider nicht das, was Frauen tagtäglich erleben. Ich generalisiere nicht gerne, aber viele muslimische Männer verhalten sich falsch. Sie dürfen Frauen nicht belästigen, auch nicht, wenn sie unverschleiert sind. Sexuelle Belästigung hat aber nichts mit dem Islam zu tun, doch anders als im deutschen Rechtsstaat hat die Frau im arabischen Kulturkreis oft wenige Möglichkeiten, zu ihrem Recht zu kommen. Die Frau kann sich in einem islamischen Land kaum wehren. Dass das Kopftuch dort ein Schutz für die Frauen sein soll, ist ein falsches Bild, denn sogar mit Kopftuch wird sie dort belästigt, eben weil sie kaum Rechte hat. In Deutschland hingegen kann man Anzeige erstatten.

 Aber nochmal: Macht die Verhüllung weiblicher Attribute die Frau denn nicht genauso oder noch mehr zum begehrenswerten Sexobjekt wie freizügige Kleidung? Die meisten Männer im westlichen Kulturkreis würden ein solches Männerbild ohnehin zurückweisen.

Lamia Von wem reden wir hier? Von Männern, die den Islam richtig praktizieren, oder von denen, die die Religion für ihre Zwecke ausnutzen? Wer nach dem Islam lebt, geht respektvoll mit Frauen um. Männer sollen ihre Blicke senken, so steht es im Koran. Und Frauen sollten um ihre Rechte wissen. Deshalb studieren wir den Koran, damit wir nicht ausgenutzt werden von Männern. Wie Halima schon sagte, Männer müssen für den Unterhalt sorgen, egal wie reich die Frau ist.

 Aber das ist doch auch ungerecht. Nach deutschem Recht gibt es dann einen Ausgleich zwischen den Ehepartnern.

Saida (lacht) Aber dafür setzen wir doch die Babys in die Welt. Wir leben in einer Welt, in der die Männer die meiste Macht haben. Fühlen Sie sich denn hier immer gleichberechtigt?

 Ja, in den allermeisten Bereichen schon. Wir diskutieren in der Gleichstellungspolitik nicht mehr so sehr die fundamentalen Themen, sondern es geht um Nuancen, zum Beispiel beim Gender Mainstreaming oder in der Arbeitsmarktpolitik. Viele Feministinnen empfinden das Tragen eines Kopftuches als Rückzug der Frauen aus dem öffentlichen Leben und als Rückschritt. Ist die Verhüllung in Mitteleuropa zeitgemäß?

Saida Ich trage Kopftuch und stehe trotzdem mitten im Leben. Mein Kopftuch ist ein religiöses Symbol, kein politisches. Ich bin öffentlich sehr aktiv, aber nicht alle muslimischen Frauen sind so. Viele wollen das, aber die Gesellschaft lässt es nicht zu und nimmt uns nicht auf.

 Lamia Wir lernen die Sprache, bringen unseren Kindern nicht nur Arabisch, sondern auch Deutsch bei. Wir nehmen an Schulungen teil, wir bringen uns ein – und sind trotzdem nicht anerkannt. Ich gelte beim Arbeitsamt mit meinem Hochschulabschluss als überqualifiziert. Aber trotzdem finde ich keine Arbeit, weil mein Aussehen – ich trage die Abaya – noch weniger Akzeptanz findet als das einer Frau, die „nur“ Kopftuch trägt. Wir sind zerrissen. Wir wissen nicht genau, was in dieser Gesellschaft akzeptiert wird. In den Medien kommen Kopftuchträgerinnen oft als dumm rüber.

Petra Auch ohne Kopftuch habe ich es schwer. Ich werde wegen meines Nachnamens immer für eine Italienerin gehalten. Wenn potenzielle Arbeitgeber dann hören, dass mein Mann Marokkaner ist und ich zum Islam konvertiert bin, ist es meistens vorbei. In der Arztpraxis in Völklingen, in der ich gearbeitet habe, habe ich oft erlebt, dass muslimische Frauen nicht für voll genommen wurden. Erst wenn man persönliche Kontakte knüpft, verlieren sich viele Vorurteile, die Angst geht weg.

 Halima Integration passiert nur beidseitig, die Menschen hier müssen auch offen sein dafür. Wo soll ich mich integrieren, wenn ich abgelehnt werde? Auch die Medien machen es uns nicht einfach. Meistens kommt der Islam negativ rüber. Wissen Sie, wie viele Muslime es hier gibt, die arbeiten und Steuern zahlen?

 Im normalen deutschen Alltag ist das Religiöse, das Ihnen allen hier ja sehr wichtig ist, sehr weit weg. Tiefe Religiosität ist hier heute eine Seltenheit. Das macht es schwierig, darüber zu diskutieren.

Petra Ja, das erfahre ich in Diskussionen mit meinem katholischen Vater, der nur ab und zu in die Kirche geht. Er versteht nicht, dass ich fünf Mal am Tag bete. Letztens sagte er aber anerkennend zu mir: Wenn du diese Disziplin zu beten aufbringst, dann kannst du ja eigentlich alles schaffen. Ganz genau: Wenn ich vor Gott knie, kann ich vor der Welt stehen. So empfinde ich das.

 Lamia Ja, bei der Diskussion über Religiosität gibt keine Basis. Ich bin von meiner Religion überzeugt. Sie fragen mich, warum tragen Sie ein Kopftuch. Ich müsste umgekehrt fragen, warum tragen Sie als Christin keines? Maria hat doch auch eines getragen…

 Moderne Christinnen würden jetzt dagegen halten und argumentieren: Wir haben uns eben emanzipiert! Es gab die Reformation und die Aufklärung. Das ist ja auch die Kritik am Islam, dass er sich nicht von innen heraus reformiert und verschiedene Interpretationen zulässt. Muss sich an Ihrer Religion denn nichts ändern?

Halima Unsere Religion ist vollkommen. Der Koran ist Allahs Wort. Gott macht keine Fehler und deshalb kann der Mensch daran nichts ändern.

  

 Das Gespräch führte Esther Brenner.

 Gesprächspartnerinnen aus vier Ländern

Saida Abadar-Azouagh (38), Niederländerin mit marokkanischen Wurzeln. Arbeitet in der Flüchtlingsarbeit der Stadt Saarbrücken, ist im Vorstand des Deutsch-ausländischen Jugendclubs in Saarbrücken, wo sie die Frauenarbeit leitet. Studiert Bildungswissenschaften. Verheiratet, fünf Kinder.

  

 Halima Bonkano (33) aus Niger. Seit 12 Jahren lebt sie in Deutschland. Sie studiert Medizin in Homburg. Verheiratet, ein Kind.

  

 Petra Bakkali (32). Arzthelferin. In Deutschland geboren und aufgewachsen, mit einem Marokkaner verheiratet, ein Kind. 2008 zum Islam konvertiert.

  

 Lamia Lidersa (39), Tunesierin, Journalistin. Studiert Interkulturelle Kommunikation in Saarbrücken. Seit elf Jahren in Deutschland. Verheiratet, drei Kinder.

  

 Alle Frauen wohnen in Saarbrücken beziehungsweise Dudweiler.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort