Weihnachtsmann hat Nikolaus überflügelt

Herr Schmitt, was ist Ihre wissenschaftliche Weihnachtsbotschaft als vergleichender Literaturwissenschaftler?Schmitt: Der Weihnachtsmann ist eine Figur, die in der Literatur des 20. Jahrhunderts sehr präsent ist. Nicht nur in kitschiger Weihnachtsliteratur, sondern auch bei den ganz bekannten Autoren, wie zum Beispiel Paul Auster in den USA oder Siegfried Lenz in Deutschland

Herr Schmitt, was ist Ihre wissenschaftliche Weihnachtsbotschaft als vergleichender Literaturwissenschaftler?Schmitt: Der Weihnachtsmann ist eine Figur, die in der Literatur des 20. Jahrhunderts sehr präsent ist. Nicht nur in kitschiger Weihnachtsliteratur, sondern auch bei den ganz bekannten Autoren, wie zum Beispiel Paul Auster in den USA oder Siegfried Lenz in Deutschland. Das Interessante an der Figur ist, dass es ein neuer Mythos ist, der seine Bedeutung im 19. Jahrhundert bekommen hat. Er hat viel damit zu tun, dass sich das Bürgertum als soziale Schicht so richtig ausgebildet hat. Das Bürgertum hat im Weihnachtsmann eine Figur gefunden, die ganz zentral für seine Vorstellungen und Werte steht.

Haben Sie auch den Weihnachtsmann erforscht, der in unser aller Köpfe ist, den Coca-Cola-Weihnachtsmann?

Schmitt: Der amerikanische Weihnachtsmann hat vom bürgerlichen Weihnachtsmann vor allem die positiven Aspekte. Er ist jemand, der Geschenke bringt, der gütig ist, so eine Art idealer Großvater, den jeder gerne hätte. Der bürgerliche Weihnachtsmann hat das zwar auch, aber er hat auch eine gewisse Strafmacht. Es gibt regelrechte Inszenierungen: Er fragt, ob die Kinder brav waren, und wenn sie es waren, werden sie dafür belohnt. Diese Strenge hat der amerikanische Weihnachtsmann nicht. Er ist eine positive Figur. Deshalb ist er gut einsetzbar in der Werbung, oder als weihnachtliche Zierfigur. Denken wir an Weihnachtsmänner, die an Strickleitern die Hauswänden emporklettern oder Weihnachtsmannfiguren als Gartenzwerge.

Hat denn der Weihnachtsmann dem Nikolaus inzwischen den Rang abgelaufen?

Schmitt: Ja, weil er universeller ist. Der Nikolaus ist die Figur, aus der sich der Weihnachtsmann entwickelt hat. Wenn der Nikolaus auftrat, wurde ganz oft gefragt: Wart ihr brav? Könnt ihr ein Gedicht aufsagen? Könnt ihr ein Gebet aufsagen? Das war ganz stark mit dem christlichen Wertekanon verbunden. Der Weihnachtsmann hat diese Werte noch ein bisschen weiter geöffnet. Da ist es egal, ob der Hintergrund protestantisch oder katholisch ist. Es geht um generelle Werte: Leistungsfähgkeit, Fleiß, gutes Betragen. Übrigens haben die Holländer den Nikolaus ja nach USA importiert. In New York, das früher Neu Amsterdam hieß, gibt es heute noch einen Nikolausumzug. Später wurde aus dem heiligen Nikolaus der weltliche Weihnachtsmann im roten Anzug, und er wurde wieder zurückexportiert nach Europa.

Welche Geschichte oder welches Buch sollte man unbedingt lesen, wenn man sich für den Weihnachtsmann interessiert?

Schmitt: Ein ganz prominentes Beispiel, das auch verfilmt wurde, ist "Das Wunder von Manhattan", ein Text , der Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist. In diesem Film hält ein alter Mann sich für den Weihnachtsmann. Er bringt Einsame zusammen, er ist der Schutzpatron für Kinder. Das sind die Aspekte, die weltweit gelten. Der Weihnachtsmann ist als Figur so ein bisschen wie diese Schokoweihnachtsmänner. Außen ist eine schöne Verpackung, aber eigentlich ist er innen hohl. Dieses Ausgehöhlte wird ganz oft genutzt. Zur Kritik: am Kapitalismus, am Bürgertum, an der Familie, an der Scheinheiligkeit des Weihnachtsfestes. Auf der anderen Seite aber auch zur Bestätigung. Die Familie ist was Positives, Weihnachten ist etwas Positives, Leistungsethik ist etwas Positives. All das kann man auf die Figur des Weihnachtsmannes übertragen, und das macht sie so interessant.

Glauben denn Kinder heute überhaupt noch an den Weihnachtsmann?

Schmitt: Die Kinder, die wirklich an den Weihnachtsmann glauben, werden immer jünger. Dieser Glaube steht ja auch für kindliche Naivität. Und die Überwindung dieses Glaubens kann ja auch als Schritt in Richtung Erwachsenendasein gedeutet werden.

Sind Ihnen bei Ihrer Forschung, eigentlich auch Weihnachtsfrauen begegnet?

Schmitt: Außer in Bodo Kirchhoffs "Weihnachtsfrau" nirgends. Und auch dieser Text müsste statt die Weihnachtsfrau die Weihnachtsmanndarstellerin heißen. Die Frau spielt den Weihnachtsmann.

Haben Sie selbst schon einmal den Weihnachtsmann gespielt?

Schmitt: Nein, noch nie. Bei mir zuhause kam auch immer das Christkind. Foto: Becker&Bredel

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