Wedekind als bissiger Liedermacher

Saarbrücken. Eigentlich hätte sich Sigi Becker bei der Premiere seines Frank Wedekind-Programms "Ich hab meine Tante geschlachtet" ein Schleifchen um den Hals binden müssen. Er war nämlich ein Geburtstagsgeschenk: Ein stadtbekannter Saarbrücker Lehrer, Journalist und Kulturflaneur hatte sich den Liedermacher und Chansonnier zum 65

 Becker verlieh dem Witz Wedekinds Ausdruck. Foto: Maurer

Becker verlieh dem Witz Wedekinds Ausdruck. Foto: Maurer

Saarbrücken. Eigentlich hätte sich Sigi Becker bei der Premiere seines Frank Wedekind-Programms "Ich hab meine Tante geschlachtet" ein Schleifchen um den Hals binden müssen. Er war nämlich ein Geburtstagsgeschenk: Ein stadtbekannter Saarbrücker Lehrer, Journalist und Kulturflaneur hatte sich den Liedermacher und Chansonnier zum 65. gegönnt und ein paar Freunde ins Theater im Viertel (tiv) eingeladen. Nach dem Schlussapplaus spendierte er dem Publikum Sekt und Pralinen - günstig für ihn, dass es nicht allzu viele waren; Sigi Becker hingegen hätte man mehr Zuhörer gegönnt. Die hätte er auch verdient, bringt er einem doch in seinem neuen Programm ganz neue Facetten Wedekinds nahe, den viele nur als Dramatiker kennen. Bei Becker jedoch begegnet man ihm als wortgewaltigem Lyriker und Liedermacher, der vor Witz, Poesie und Hintersinn nur so sprüht. Aus seinen Theaterstücken entlieh Becker die Überschriften der Kapitel, in die er den Abend unterteilte: In "Frühlings Erwachen" ging es um keimende Liebeslüste, "Die Büchse der Pandora" hatte in Bänkellied-Manier die weniger erfreulichen Seiten des Eros zum Thema, politisch wurde es bei "Mit allen Hunden gehetzt". So muss sich Wedekind oft gefühlt haben, dessen Lieder mehr als einmal von der Polizei verboten wurden und der wegen Majestätsbeleidigung zu Festungshaft verurteilt wurde.Derlei erfuhr man aus Beckers locker eingestreuten Erzählungen zu Leben und Werk Wedekinds (1864-1918), bei dem sich laut Zeugen sogar noch die Beerdigung zu einem skandalösen und pathetischen Künstler-Drama ausgewachsen haben soll. Daneben erläuterte Becker vom Aussterben bedrohte Wörter wie Marasmus (Altersschwäche) oder Klapphornvers (ein naher Verwandter des Limericks). Weil er sich die Original-Lieder erst aneignen musste, sei das heitere Programm "ein hartes Stück Arbeit" gewesen, seufzte Becker. Wedekind hätte wohl seine Freude dran gehabt. Nicht nur, weil Becker dem jeweiligen Sujet angemessen interpretierte und wie immer in guter alter Barden-Tradition durch seine angenehm uneitle Präsentation an Mikrofon und akustischer Gitarre gefiel. Sondern vor allem, weil er seine Empfehlung an Vortragskünstler eindringlich beherzigte: "Harangiere das Publikum nicht durch Weltschmerzgedichte!"

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort