Was scheren uns die Kriege der anderen?Er spielt mit dem Who is Who des Jazz und komponiert Zeitgenössisches

Saarbrücken. Was haben deutsche Soldaten am Hindukusch verloren? Diese Frage wird nicht nur an Stammtischen diskutiert, sondern sollte jeden (politisch interessierten) Bürger umtreiben. Klar, das ist eine Sache auch für "Die Redner". Wie zu erwarten, bindet das hochkarätige Saarbrücker Experimentalensemble dieses Thema freilich in einen größeren Zusammenhang

Saarbrücken. Was haben deutsche Soldaten am Hindukusch verloren? Diese Frage wird nicht nur an Stammtischen diskutiert, sondern sollte jeden (politisch interessierten) Bürger umtreiben. Klar, das ist eine Sache auch für "Die Redner". Wie zu erwarten, bindet das hochkarätige Saarbrücker Experimentalensemble dieses Thema freilich in einen größeren Zusammenhang. So stellt das neue "Redner"-Projekt "response.UN.ability" Fragen nach Verantwortung und Möglichkeiten des Staates, einer Gesellschaft und des Individuums im Angesicht einer realen inneren und äußeren (Terror-)Bedrohung. Premiere ist am morgigen Samstag, um 19.30, Uhr im Rahmen des Ballettabends "Krieg und Frieden" im Staatstheater. "Die Redner" sind die Musiker, Elektronik- und Videokünstler Oliver Strauch, Claas Willeke, Florian Penner und Bernhard Wittmann. Sie schlossen sich vor drei Jahren zusammen, um Reden bedeutender Persönlichkeiten zu Fragen des Friedens in moderne audiovisuelle Kunst zu verwandeln. Hinzu kommen Youn Hui Jeon, Meritxell Molinero (Choreografie), Fred Pommerehn (Licht) und Markus Maas (Kostüme). "response.UN.ability" ist nun das dritte Kind nach den auch überregional erfolgreichen Produktionen "JFK-Show" und "EuroVision: Brandt de Gaulle". Claas Willeke über die Geburtswehen: "Unsere langen Diskussionen über aktuelle Ereignisse um das Thema Frieden führten immer wieder zu den gleichen Fragen: Sind wir verantwortlich für die Krise oder deren Lösung im Land soundso? Wenn ja, was machen wir für oder gegen dieses Land? Wer entscheidet, ob und was 'wir' tun?" In Vergangenheit und Gegenwart, so Willeke, "sind es Politiker, die für uns verantworten und entscheiden, wie auf Krisen reagiert wird. Heute stehen wir u.a. in Afghanistan in einem 'bewaffneten, kriegsähnlichen Konflikt', und es sind Menschen, die ausführen: Polizei, Bundeswehr, Aufbauhelfer." Zwei O-Töne bilden nun den Mittelpunkt der Performance: Einer stammt von der ehemaligen Bundeswehr-Ärztin Heike Gross, die 2003 bei einem Selbstmordanschlag auf einen deutschen Bus vor Ort war und nun exklusiv im Interview "Den Rednern" antwortete. Der andere - historische - O-Ton kommt von Altbundeskanzler Helmut Schmidt. In seiner berühmten Rede nach der Ermordung Hanns Martin Schleyers im "Deutschen Herbst" 1977 äußerte sich Schmidt staatsmännisch, politisch-philosophisch und menschlich bewegend zu Entscheidung und Verantwortung. In die mehrspartige Performance verwoben und "Redner"-typisch auf Leinwand gebannt sind Choreografien von Tänzern der Donlon Dance Company (DDC). "response.UN.ability" läuft im Rahmen der "Strukturwandel"-Reihe des Netzwerks Musik Saar und ist in den vierteiligen Tanzabend "Krieg und Frieden" der DDC eingebunden. Samstag, 30. Januar, Saarländisches Staatstheater, 19.30 Uhr: Ballettabend "Krieg und Frieden" mit Werken u.a. von Marguerite Donlon und "Die Redner". Die Premiere ist ausverkauft. Nächste Vorstellungen am 6., 10. und 14. Februar. Karten: Tel. (06 81) 30 92-4 86. Saarbrücken. "After the rain" sei sehr, sehr schwierig zu spielen, sagt Barry Guy über seine Komposition für Streichorchester, die Ballettdirektorin Marguerite Donlon sich für ihren neuen Ballettabend ausgesucht hat. Weshalb es sich der ebenso vielseitige wie -beschäftigte britische Musiker und Komponist nicht nehmen ließ, zu einer Orchesterprobe im Vorfeld der Premiere höchstpersönlich nach Saarbrücken zu reisen. Denn das Staatsorchester wird das 25-minütige Musikstück, zum dem Donlon das Ballett "Footprints" kreierte, unter dem Dirigat von Christophe Hellmann live spielen. Geschrieben hat Guy die Komposition 1992 für die City of London Sinfonia unter Leitung von Richard Hickox. Für 14 Stimmen, denn in diesem Klangkörper seien alle Musiker Solisten. "Ich musste keine Rücksicht nehmen, ich wusste, sie können alles", sagt er über seine Kollegen. Guy selbst, spielte als brillanter Kontrabassist, der er ist, damals bei der Premiere mit. International gilt der gebürtige Londoner als Ausnahmeerscheinung, einer der sich souverän in den verschiedensten musikalischen Gattungen bewegt. Zuerst profilierte er sich als Freejazz-Improvisator, danach machte er sich als Interpret Alter Musik einen Namen, bevor er sich schließlich auch als Komponist zeitgenössischer Musik hervortat. Guy, der heute in der Schweiz lebt, begründete und leitete etwa das legendäre London Jazz Composers Orchestra, gehörte Christopher Hogwoods Academy of Ancient Music an. Evan Parker, Paul Lytton, Conny Bauer, Mats Gustafsson - wie ein Who is Who des Jazz liest sich, mit wem er alles zusammenspielt(e), in zwölf Formationen gleichzeitig heute. Mit einer übrigens trat er im vorigen November in der Saarbrücker Stadtgalerie auf. Wenn er komponiere - da wiederum reicht das Spektrum von Instrumental-, Kammer- und Orchestermusik bis zu Vokalstücken und Chormusik für Theater - vermeide er es aber, alles zu vermischen, Zeitgenössisches mit einer Prise Mozart zu würzen, betont Guy. Auch wenn er in der Satzfolge von "After the rain" auf Formen der Renaissance zurückgegriffen hat. Dazu habe ihn, wie immer beim Komponieren, ein Bild inspiriert, erzählt der Kunstfreund und -sammler Guy: Max Ernsts surrealistisches Gemälde "Europa nach dem Regen" von 1933, das eine Landschaft "nach der Katastrophe" zeigt. "Die Frage ist: Versinken die Menschen in der Katastrophe oder steigen sie heraus?", meint Guy. Auch habe er sich damals, 1992, gefragt: Lernen wir etwas aus dem Bosnienkrieg? Dass, nach Christopher Bruce 1993, nun auch Marguerite Donlon das Stück für eine Arbeit zum Thema Krieg passend erschien, überrascht Guy daher nicht. "Maggie scheint geradezu in die Musik hineinzutauchen, sie hat die musikalische Aussage wirklich verstärkt". Auch bei Donlon gebe es kein Tutti, sondern lauter Solisten, zeigt sich der Komponist nach einem Probenbesuch von der Choreografie beeindruckt.

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