Warum in Neunkirchen die Zeit stehen geblieben ist

Ein Zug reisender Fremdling, der Neunkirchen betritt, muss die Einheimischen völlig sorgenfrei wähnen: Wird ihm doch die Redensart "Dem Glücklichen schlägt keine Stunde" gleich am Bahnhof eindrucksvoll vor Augen geführt

Ein Zug reisender Fremdling, der Neunkirchen betritt, muss die Einheimischen völlig sorgenfrei wähnen: Wird ihm doch die Redensart "Dem Glücklichen schlägt keine Stunde" gleich am Bahnhof eindrucksvoll vor Augen geführt. Die Zeiger der monumentalen Uhr an der Fassade des Stationsgebäudes - über dessen übrigen Zustand wir in in diesem Zusammenhang mal nicht weiter lamentieren wollen - stehen seit (gefühlten) Äonen still. Und werden sich wohl auch nie mehr bewegen, wie ein maßgeblicher Bahnmensch vor einem knappen Vierteljahr dem Stadtrat unverblümt versichert hat.Wendet sich der Ankömmling dann zum Bahnhofsvorplatz, so wünscht ihm der Verkehrsverbund Saar auf einer elektronischen Anzeigetafel "Gute Fahrt!". Die Uhr darüber aber boykottiert diese Höflichkeitsfloskel und zeigt nur zwei Mal am Tag die richtige Zeit an - dann, wenn die stehen gebliebenen Zeiger mit der tatsächlichen Uhrzeit übereinstimmen. Davon abgesehen gibt es von Fahrplanhinweisen schon seit langem keine Spur. Ein wenig weiter bergauf, an der Bushaltestelle auf der Konrad-Adenauer-Brücke - wenn Sie's nicht wissen, ahnen Sie es sicher - wiederholt sich das Ganze - mit einer dritten Uhr im Dauerstreik.

Wendet sich der Besucher dann stadteinwärts, zettelt weiterhin weit und breit kein sichtbarer Chronometer eine zeitliche Hatz an - weder in der Bahnhofstraße, noch auf dem Lübbener Platz oder gar auf dem Stummplatz. Neunkirchens Einkaufsherz schlägt ohne öffentlichen Zeittakt.

Was nur Eingeweihte erkennen können: An der Kurt-Schumacher-Brücke gibt es immerhin noch Rudimente einer kommerziellen Zeitanzeige. Dort unterhielten zwei einheimische Geldinstitute bis vor wenigen Jahren offenbar gemeinsam eine Uhr - der Zeitmesser ist verschwunden, die einrahmenden Werbetafeln sind noch da.

Hat sich der stadtunkundige Passant schließlich ans Erklimmen des Hüttenbergs gemacht, und ist angesichts des entschleunigenden Aufstiegs zunehmend geneigter, die zeitlose Neunkircher Seligkeit zu akzeptieren, so wird er am Oberen Markt aufkeuchen: Entdeckt er doch am Synagogenplatz eine historisch verpackte Standuhr - und die zeigt tadellos korrekt die mitteleuropäische Zeit an.

In Sichtweite des Rathauses. Was dem Fremdling den Schluss nahe legt: In der städtischen Verwaltungsburg weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Ob man dort glücklich ist, ist eine andere Frage . . .

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