Personalnot bei der Polizei Warum der Polizei plötzlich 100 Beamte fehlen

Saarbrücken · Immer mehr Mitarbeiter nehmen Elternzeit oder arbeiten Teilzeit. Die Polizei-Führung sagt, dies sei nicht vorhersehbar gewesen.

 Die große Koalition will in den nächsten Jahren mehr Kommissaranwärter einstellen. Doch diese durchlaufen zunächst eine dreijährige Ausbildung. Unser Foto zeigt die Vereidigung von 110 Kommissaranwärtern 2017 in Illingen.

Die große Koalition will in den nächsten Jahren mehr Kommissaranwärter einstellen. Doch diese durchlaufen zunächst eine dreijährige Ausbildung. Unser Foto zeigt die Vereidigung von 110 Kommissaranwärtern 2017 in Illingen.

Foto: Andreas Engel

Vor vielen Jahren, als die Polizei noch ein reiner Männerverein war, mussten sich die Personalplaner über Erziehungszeiten und Teilzeit-Jobs keine Gedanken machen. Ein Polizist arbeitete bis zur Pension Vollzeit und wenn Nachwuchs kam, blieb seine Frau zu Hause. Seit Jahren erfasst der gesellschaftliche Wandel auch die saarländische Polizei. Der Frauenanteil hat sich seit sieben Jahren auf 22 Prozent verdoppelt, bis 2021 wird er nach einer Prognose des Landespolizeipräsidiums auf 30 Prozent steigen. Heute nehmen außerdem dank Elternzeit auch oft Männer eine monatelange Auszeit, um sich um den Nachwuchs zu kümmern.

Diese gesellschaftliche Entwicklung lässt sich in Stellen beziffern. Bei der Polizei fehlen derzeit nach Angaben von Sprecher Georg Himbert Mitarbeiter im Umfang von 96 Vollzeitstellen, weil Polizistinnen oder Polizisten Elternzeit nehmen (oder Polizistinnen in Mutterschutz sind) oder Teilzeit arbeiten. Bei der Zahl 96 handelt es sich um sogenannte Vollzeit-Äquivalente. Das heißt: Arbeiten zwei Beamte 50 Prozent Teilzeit, dann wird dies als eine fehlende Stelle gezählt.

Die Personalplaner erwarten, dass sich die Zahl von derzeit 96 vakanten Stellen in den kommenden Jahren weiter erhöhen wird, weil mit steigender Frauenquote auch die Inanspruchnahme von Elternzeit und Teilzeit steigen dürfte.

Das Problem der saarländischen Polizei ist, dass für diese 96 oder in Zukunft noch mehr fehlenden Stellen keine Vorsorge getroffen wurde. Weil diese Entwicklung 2010/11, als im Zuge einer Polizei-Reform auch der künftige Personalbedarf berechnet wurde, nicht vorhersehbar gewesen sei, sagt Polizeipräsident Norbert Rupp. Damals hätten viel weniger Beamte Eltern- oder Teilzeit in Anspruch genommen, auch wegen einer damals noch anderen Gesetzeslage. 2015 wurden das Elterngeld- und Elternzeitgesetz reformiert, mit zusätzlichen Anreizen, zu Hause zu bleiben und sich um den Nachwuchs zu kümmern. Die Polizeigewerkschaften bezweifeln, dass die Entwicklung nicht absehbar war.

Wie auch immer: Weil diese Vakanzen jetzt da sind, verschärft sich die Personalnot, die es wegen des Stellenabbaus infolge der Schuldenbremse ohnehin gibt, noch weiter. Seit 2011 wurden aus Spargründen bereits 170 Stellen gestrichen, 100 weitere werden noch folgen. Ab 2021 soll die Zahl der Polizisten dann konstant bleiben. Polizeipräsident Rupp räumt die Personalnot ein. Sein Gegenkonzept, einen Teil der Inspektionen zu Polizeirevieren herabzustufen (die SZ berichtete), ist politisch – auch innerhalb der großen Koalition – aber umstritten und noch nicht beschlossen.

Kritik kommt von den Gewerkschaften. Die Frauen in der Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußern ihr Unverständnis über die Diskussion. „Die öffentlich den Eindruck erweckende Darstellung, dass in der Behörde eine Inanspruchnahme der Elternzeit als negativ aufgefasst wird, hilft sicherlich nicht dabei, die Attraktivität des Polizeiberufes zu steigern“, teilte die Frauengruppe der GdP mit. Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf würden in Behörden und Betrieben mehr und mehr Mechanismen eingeführt, um einen solchen Fortschritt zu erreichen. „Eine moderne zukunftsfähige Polizei, die auch als Arbeitgeber attraktiv bleiben möchte, darf sich dieser Entwicklung nicht verschließen.“

Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) warnte vor dem Eindruck, junge Eltern, die ihr Recht auf Elternzeit nutzten, seien Schuld an der Personalmisere (die Polizei-Spitze weist diesen Eindruck zurück). „Vielmehr stellt sich die Frage, warum man jahrelang hier nur zugeschaut hat und dann erst 2017 die Reißleine gezogen hat“, sagte Sascha Alles, der DPolG-Landesvorsitzende. Einen immensen Anteil an der aktuellen Situation hätten die Sparpolitik und das wirtschaftliche Berechnen von Personalzahlen. Vor zehn Jahren habe das Saarland bezogen auf die Einwohnerzahl noch eine höhere Polizeidichte als andere Länder gehabt. „Nun sind wir beim Abwärtstrend, da mittlerweile alle anderen Länder und der Bund teilweise enorm Personal bei der Vollzugspolizei nach steuern.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort