Zahl der Verdachtsfälle auf über 1000 verdoppelt Virus bedroht die Amseln

Saarbrücken/Beckingen · Seit zwei Monaten häufen sich Meldungen über erkrankte Amseln. Der Naturschutzbund vermutet, dass das Usutu-Virus zurückgekehrt ist.

 Eine vermutlich am Usutu-Virus erkrankte Amsel hockt im Gras. Befallene Tiere wirken offensichtlich krank, werden apathisch und flüchten nicht mehr.

Eine vermutlich am Usutu-Virus erkrankte Amsel hockt im Gras. Befallene Tiere wirken offensichtlich krank, werden apathisch und flüchten nicht mehr.

Foto: dpa/Martin Gerten

Karl Rudi Reiter ist in Sorge um einen Allerweltsvogel: die Amsel. „Früher gab es so viele Amseln im Saarland, dass wir sie bei Zählungen schon fast ignorieren konnten“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Saarland. Das habe sich dramatisch geändert: Einige der typischen Amsel-Treffpunkte im Saarland seien nach Beobachtungen von Vogelkundlern derzeit regelrecht leergefegt. Zum Beispiel in Reiters Heimatort Beckingen-Düppenweiler und rund um den Dillinger Ökosee.

Der Grund, so die Vermutung des Nabu: das aus Afrika stammende Usutu-Virus. Stechmücken übertragen es und verursachen so eine Infektion bei Vögeln und Säugetieren. Für Vögel endet die Infektion meist tödlich. Fast immer, erklärt Reiter, seien es Amseln, die an Usutu erkranken, weshalb die Epidemie auch als „Amselsterben“ bekannt ist. Menschen können sich ebenfalls mit dem Usutu-Virus infizieren. Darum sollten sie tote Vögel immer nur mit Handschuhen anfassen. Es kann zu Symptomen wie Fieber, Gliederschmerzen oder Hautausschlägen kommen. Schwere Verläufe sind kaum bekannt.

Seit dem Jahr 2010 geht Usutu im Südwesten Deutschlands um, tritt jährlich in unterschiedlicher Intensität auf. 2017 offenbar wieder stärker. Wie der Nabu Deutschland meldet, häufen sich seit Anfang Juli Meldungen kranker und kurze Zeit später verstorbener Amseln. Bis Mitte August seien dem Nabu 550 Verdachtsfälle aus ganz Deutschland gemeldet worden, teilt der Nabu-Vogelschutzexperte Lars Lachmann auf SZ-Anfrage mit. Elf Fälle waren zu diesem Zeitpunkt im Labor bestätigt. „Erfahrungsgemäß sind etwa zwei Drittel der gemeldeten Verdachtsfälle nach genauerer Berücksichtigung der Umstände auch wahrscheinliche Usutu-Fälle“, sagt Lachmann. Sechs Meldungen kamen aus dem Saarland, davon fünf aus dem Regionalverband Saarbrücken und eine aus dem Saarpfalz-Kreis. „Inzwischen haben wir aber bereits 1013 Verdachtsmeldungen, also fast doppelt so viele wie vor knapp einem Monat“, sagt Lachmann.

Die meisten Meldungen kämen aus dem wärmeren Rheintal, dem Untermain und Niederrhein. Die Schwierigkeit beim genauen Erfassen der Krankheit liegt darin, dass kaum tote Tiere gefunden werden, sagt Karl Rudi Reiter: „Amseln ziehen sich nachts zum Schlafen oder wenn sie krank sind, gerne in Hecken zurück. Da fallen sie dann wahrscheinlich tot zu Boden und keiner findet sie. Außer vielleicht die Katze.“ Im Saarland sind laut Nabu bislang nur Verdachtsfälle gemeldet worden und noch keine vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin positiv getesteten Fälle. Die regionalen Schwankungen der Erkrankungsrate erklären sich laut Reiter neben dem unterschiedlich hohen Stechmückenaufkommen auch durch eine möglicherweise mittlerweile aufgebaute Immunität bei den Vögeln: „Wir vermuten, dass einige Tiere eine natürliche Widerstandskraft entwickelt haben.“ Das heißt, auch wenn das Virus saisonal Scharen von Amseln tötet, gehen Vogelkundler derzeit davon aus, dass Usutu auf die Dauer von Jahrzehnten gesehen dem Amsel-Bestand in Deutschland wenig anhaben wird.

Doch nicht nur das Usutu-Virus macht den heimischen Vögeln zu schaffen. Vögel wie der Kiebitz sind im Saarland schon ausgestorben, andere wie der Wiesenpieper oder das Braunkehlchen kämpfen um ihre Arterhaltung. „Wir entziehen durch unsere Bebauung und intensive Landwirtschaft mit hoher Stickstoffdüngung und dem Einsatz von Pestiziden den Vögeln mehr und mehr Lebensraum und Nahrungsgrundlage“, sagt Karl Rudi Reiter. „Wir haben die moralische Pflicht, Vögel zu füttern“, zitiert er den bekannten Ornithologen und Buchautor Peter Berthold. Will heißen: Ganzjährig und nicht mehr nur zur Notzeit im Winter wie vor Jahren noch üblich. Allerdings, schränkt Reiter ein, mit Augenmaß. „Ich kann mit kleinen Mengen schon im Frühjahr und Sommer die Vögel unterstützen, dann gewöhnen sie sich an die Futterstelle und wissen bei Kälteeinbruch im November, wo sie etwas finden.“

Um das Virus Usutu und seine Ausbreitung besser bestimmen zu können, bittet der Nabu um die Mithilfe der Bevölkerung. Denn die wichtigste Datengrundlage sind Meldungen toter und kranker Amseln sowie eingeschickte Proben toter Vögel, die auf das Virus untersucht werden können.

 Karl Rudi Reiter, stellvertretender Nabu-Landesvorsitzender

Karl Rudi Reiter, stellvertretender Nabu-Landesvorsitzender

Foto: SZ/Reiter
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