Sommerinterview „Viele Leute sehen jetzt: Die Grünen fehlen“

Saarbrücken · Die Grünen-Chefs halten die Situation im Landtag für fatal und haben Zweifel, ob 2020 wirklich das „Jahrzehnt der Investitionen“ anbricht.

 Die Landeschefs der Grünen, Markus Tressel und Tina Schöpfer, im Garten des Saarbrücker Schlosses.

Die Landeschefs der Grünen, Markus Tressel und Tina Schöpfer, im Garten des Saarbrücker Schlosses.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Landtagswahlen im März waren eine herbe Niederlage für die Grünen: Mit vier Prozent flogen sie das erste Mal seit 2004 aus dem Landtag. Inzwischen scheinen sie den Tiefschlag verwunden zu haben. Im Mai wurde Markus Tressel zum neuen Landeschef gewählt, nachdem Hubert Ulrich nach 26 Jahren an der Spitze zurückgetreten war. Er und seine Co-Vorsitzende Tina Schöpfer wirken beim Treffen im Café am Schloss in Saarbrücken gelöst – aber auch fest entschlossen, bei den nächsten Wahlen besser abzuschneiden.

Die Grünen stehen in den Umfragen auf Bundesebene nicht besonders gut da. Herr Tressel, machen Sie sich Sorgen um Ihren Wiedereinzug in den Bundestag?

TRESSEL Wenn ich sagen würde, dass ich mir keine Sorgen mache, müsste ich lügen. In einem Bundesland mit weniger als einer Million Einwohnern ist es schon allein eine mathematische Frage, ob es wie bei den letzten beiden Malen wieder für ein grünes Mandat reicht. Aber ich bin niemand, der sich von Umfragewerten nervös machen lässt. Wenn man sich die aktuellen Entwicklungen anschaut – die Kartellabsprachen der Automobilhersteller, der Dieselskandal – glaube ich, dass wir jetzt einen gewissen Drive kriegen könnten. Es wäre aber auch für das Saarland problematisch, wenn das Mandat verloren ginge. Dann könnte die große Koalition im Saarland noch uneingeschränkter schalten und walten, und es würde jemand fehlen, der SPD und CDU von Berlin aus auf die Finger schaut.

Bei der Landtagswahl im Saarland hat es nicht gereicht. Woran ist es im Rückblick gescheitert?

SCHÖPFER Da hat es unter anderem das Einstimmenwahlrecht für uns schwierig gemacht. Für viele Menschen stand wohl die Frage Rot-Rot oder Große Koalition im Vordergrund. Deshalb hatten wir es schwer, mit unseren Themen durchzudringen. Aber jetzt richten wir den Blick auf die Bundestagswahl und die Kommunalwahlen.

Die Bundesvorsitzende Simone Peter hatte nach der Wahl gefordert, die Saar-Grünen sollten eine Reformkommission einsetzen, um einen Neuanfang einzuleiten. Warum haben Sie sich dagegen entschieden?

SCHÖPFER Wir haben das Wahlergebnis auf einem Parteirat und einem Parteitag intensiv diskutiert. Demnächst gibt es ein gemeinsames Klausurwochenende. Das hat den Vorteil, dass alle dabei sein können,die sich gerne einbringen möchten. Wir starten neu durch, alte Konfliktlinien verschwinden.

Eine Konfliktlinie gibt es aber doch eindeutig noch: Nach der Wahl hatte eine Gruppe Grüner gefordert, das „System Ulrich“ zu beenden und die Partei zu erneuern.

SCHÖPFER Inzwischen erlebe ich die Partei geeinter als zu vielen anderen Zeiten. Wir führen viele Gespräche und erleben eine Aufbruchstimmung. Die meisten Mitglieder – darunter auch viele neue – haben keine Lust mehr auf die alten Auseinandersetzungen. Unser Ziel ist es, alle mitzunehmen und die Partei wieder schlagkräftiger zu machen.

Herr Tressel, Sie haben Hubert Ulrich als Parteichef abgelöst. Was werden Sie anders machen als er?

TRESSEL Ich habe andere thematische Schwerpunkte und andere Herangehensweisen. Ich bin eher jemand, der im Team arbeitet als für sich alleine. Hubert Ulrich ist einfach ein anderer Typ Politiker. Wenn jemand so lange ein Amt innehatte, gibt es auch eingefahrene Wege und Strukturen. Das ist vollkommen normal, und trotzdem ist es gut, wenn dann – in einer schwierigen Situation – neue Konstellationen kommen.

Wie macht sich das Fehlen der Grünen im Landtag bemerkbar?

TRESSEL Die letzte Plenarsitzung hat anderthalb Stunden gedauert. Das halte ich demokratietheoretisch für fatal und es sagt viel aus. Offenbar sind vier Parteien im Landtag, die keine Themen auf die Tagesordnung setzen können oder wollen. Vieles geht jetzt unter, was vorher einen Platz im Parlament hatte. Deswegen glaube ich, dass viele Leute jetzt sehen: Die Grünen fehlen.

Was halten Sie vom Regierungsprogramm von CDU und SPD im Saarland?

TRESSEL Der Koalitionsvertrag ist kein Fortschritt für das Land, er hat keine Perspektive, keine Innovationsstrategien. Wir haben einen großen Anteil Industrie im Saarland, den muss man erhalten. Das gelingt aber nicht, wenn die Landesregierung die Strategie ausgibt, wir machen einfach weiter wie bisher. Wir sehen das jetzt beim Verbrennungsmotor. Die Briten wollen 2040 aus den Verbrennungsmotoren aussteigen. Das wird Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Saarland haben. Was sagt die Wirtschaftsministerin? „Wir müssen am Verbrennungsmotor festhalten.“ Dabei wäre es Aufgabe der Landesregierung, den Standort darauf vorzubereiten, zum Beispiel, indem sie das Saarland zum Vorreiter bei der Elektromobilität macht.

Das Land hat beim Thema Bauen bislang nicht gerade geglänzt, zum Beispiel beim HTW-Hochhaus. Jetzt wurden die Zuständigkeiten für den Hochbau bei Innenminister Bouillon gebündelt. Stimmt Sie das optimistisch?

SCHÖPFER Sein Vorschlag eine so wichtige Fakultät wie die Geisteswissenschaften fünf Jahre lang in einem Zelt unterzubringen, ist ziemlich fragwürdig und stimmt wenig hoffnungsvoll. Das wird dem Land und der Uni immens schaden, da hilft dann auch keine teure Imagekampagne. Mich wundert, dass die Ministerpräsidentin, in deren Ressort der Bereich Wissenschaft angesiedelt ist, nichts zu dieser hochschulpolitischen Bankrotterklärung sagt. Insgesamt fehlt im Baubereich eine langfristige Strategie. Der Bereich Ökologie wird komplett vernachlässigt. Das hat unter anderem die Diskussion um die Ansiedlung eines riesigen Warenhauses im Naturschutzgroßprojekt LIK.Nord bei Neunkirchen gezeigt. Es bedarf eines guten Landesentwicklungsplans, der Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammendenkt und sicherstellt, dass bei den Bauplänen die Umwelt nicht unter die Räder kommt und die Ortskerne und Innenstädte nicht veröden.

Den Vorwurf, dass es an Plänen für Bauvorhaben fehlt, hat Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD) auch der Jamaika-Koalition gemacht, im Zusammenhang mit dem Straßenbau.

TRESSEL Dieser Vorwurf ist vollkommen ungerechtfertigt. Simone Peter (grüne Verkehrsministerin in der Jamaika-Koalition, Anm. d. Red.) war zwei Jahre im Amt, die letzte Große Koalition fünf Jahre. Und in dieser Zeit hat sie wenig bis nichts auf die Reihe bekommen. Es gibt einen fertigen Radverkehrsplan, der 2011 von der Jamaika-Koalition verabschiedet wurde – so viel zu „Simone Peter hat keine Pläne gemacht“. Die Große Koalition hat es geschafft, in fünf Jahren von 500 Kilometern Radwegen elf Kilometer zu bauen. Das ist lächerlich. Die Große Koalition ist der eigentliche Totalversager im Verkehrsbereich.

Die Regierung verspricht ab 2020 ein „Jahrzehnt der Investitionen“. Vorher muss noch zwei Jahre lang hart gespart werden. Wird das reichen, um das Land zukunftsfähig zu machen?

TRESSEL Ich glaube, das kommt viel zu spät. Bis 2020 wird nur noch auf Verschleiß gefahren. Und die Frage ist ja, ob 2020 das notwendige Geld da ist. Von den 400 Millionen Euro, die vom Bund als Entlastung kommen, ist ein großer Teil für die Schuldentilgung gebunden. Dann hat man für Investitionen noch 100 Millionen aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich. Die kommen aber nur zustande, wenn die Steuereinnahmen auf dem Niveau bleiben, auf dem sie heute sind. Wenn die Steuerreform kommt, die die Union in ihrem Bundestags-Wahlprogramm stehen hat, habe ich große Zweifel, ob wir 2020 überhaupt Spielräume haben werden. Im Prinzip müsste die Landesregierung jetzt schauen, wo sie Dinge umschichten, wo sie Prioritäten setzen kann und sie müsste mit dem Bund nochmal über zusätzliche Hilfen verhandeln.

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