„Cube World“ Hacker-Attacken, Depression, Isolation – der folgenschwere Hype um ein Kult-Videospiel aus dem Saarland
Vor zehn Jahren veröffentlichte ein saarländisches Ehepaar eine erste Version des Videospiels „Cube World“ und wurde überwältigt von der internationalen Aufmerksamkeit – und den Erwartungen, die damit einher gingen. Eine Erfolgsgeschichte, die in Hacker-Angriffen, Depressionen und einem Rückzug aus der Öffentlichkeit endet – doch seit kurzem gibt es neue Lebenszeichen vom totgeglaubten Kultspiel.
Lange bevor international erfolgreiche Computerspiele wie „CrossCode“ oder „Lacuna“, Game-Design-Studiengänge an den Saarbrücker Hochschulen und Fördergelder der Landesregierung eine kleine, aber feine saarländische Spieleindustrie etablierten, sorgte das Herzensprojekt eines Ehepaars aus Saarlouis für Schlagzeilen: Weit über die deutschen Grenzen hinaus erregte „Cube World“ Aufmerksamkeit in der Spiele-Community. Doch der Erfolg hatte auch seine Schattenseiten, die dazu führen sollten, dass die Entwickler sich nahezu vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückzogen.
Kultspiel „Cube World“ aus dem Saarland: eine tragische Erfolgsgeschichte
Die tragische Erfolgsgeschichte beginnt im Jahr 2010: Wolfram von Funck, online bekannt unter dem Spitznamen Wollay, und seine Frau Sarah gründen zusammen das Spielestudio Picroma und beginnen mit der Arbeit an „Cube World“. 2011 veröffentlicht von Funck Videos mit ersten Eindrücken seiner Vision auf seinem Youtube-Kanal. Das älteste noch abrufbare Video (vom 9. Juni 2011) zeigt zwei identische blockige Spielfiguren, die sich durch eine rudimentäre, unbelebte Spielwelt bewegen, die aus zerstörbaren Würfeln zusammengesetzt ist – ähnlich wie im ungefähr zur selben Zeit entstehenden „Minecraft“, das später ein Welthit werden sollte.
Noch ist im Video nicht zu erkennen, wo die Reise hingehen soll. Doch von Funck veröffentlicht in diesem ersten Jahr der Entwicklung regelmäßig neue Videos, in denen der rasante Fortschritt nachzuverfolgen ist, den Picroma bei der Entwicklung macht. Plötzlich gibt es abwechslungsreiche Flora und Fauna sowie immer ausgeklügeltere Spielsysteme in der Würfelwelt zu bestaunen. Die Videos verzeichnen bald hunderttausende Aufrufe. Dass von Funck diese und sonstige Informationen zu „Cube World“ auf Englisch veröffentlicht, stellt sich als gute Idee heraus. Denn nun wird die Welt aufmerksam: „Cube World“ ist nur wenige Wochen in Entwicklung und macht bereits Schlagzeilen in der internationalen Fachpresse. Das Spiel aus dem Saarland ist jetzt ein kultiger Geheimtipp; die wachsende Fangemeinde wartet voller Spannung auf die Veröffentlichung.
Alpha-Version wird ab Sommer 2013 verkauft
Die von Funcks scheinen von der Aufmerksamkeit und dem positiven Feedback motiviert, geradezu beflügelt: Fast wöchentlich liefert Wolfram von Funck per Youtube, Twitter und auf einem eigens eingerichteten Blog Updates zum Fortschritt, zeigt Screenshots, erklärt neue Spielmechaniken, gibt Einblicke in Tücken der Programmierung, beantwortet Fragen von Fans.
Dann ist es endlich soweit: Im Sommer 2013 stellt das Entwicklerduo eine Alpha-Version zum Verkauf bereit. Für 15 Euro können Fans das noch nicht fertige Spiel herunterladen und testen und sollen dafür auch Zugriff auf alle kommenden Updates und Versionen erhalten.
„Cube World“-Entwickler nach Hacker-Attacken und Stress mit Fans traumatisiert
Innerhalb kürzester Zeit gehen die Download-Server vor dem gewaltigen Andrang in die Knie, und der Shop auf der Picroma-Homepage muss fürs erste abgeschaltet werden – zumindest scheint das zunächst der Grund für die technischen Schwierigkeiten zu sein. Doch die Wahrheit ist weitaus weniger erfreulich: Die Picroma-Server sind Opfer sogenannter DDoS-Attacken. DDos steht für „Distributed Denial of Service“. Vereinfacht ausgedrückt: Hacker überlasten absichtlich mit einer gewaltigen Menge automatisierter Anfragen die Picroma-Server, bis diese nicht mehr funktionieren.
Warum? Das wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Häufig dienen DDoS-Attacken dazu, die Server großer Unternehmen sozusagen als Geisel zu nehmen und erst gegen Bezahlung wieder freizugeben. Doch bei einem winzigen Entwicklerstudio, das gerade sein erstes Spiel veröffentlicht, dürfte das wohl kaum der Fall sein – eher: ganz banaler Online-Vandalismus. In einem Interview mit Spielemagazin „Kotaku“ sagt Wolfram von Funck damals (aus dem Englischen übersetzt): „Jemand scheint zu versuchen, unserem Unternehmen systematisch zu schaden. Die Angreifer wollen uns offensichtlich daran hindern, unser Spiel zu verkaufen.“
Unerwartet großes Interesse
Doch die von Funcks sind nicht nur damit beschäftigt, technische Probleme zu beseitigen und Sicherheitslücken zu schließen. Das unerwartet große Interesse an „Cube World“ bedeutet auch, dass das Zwei-Personen-Team gleichzeitig Kundenservice sein und eine Vielzahl Fragen beantworten muss, wie aus damaligen Tweets hervorgeht. In den Kommentaren: weitere Fragen – und gelegentliche Antworten wie: „Geh ins Bett, Mann! Tech-Support kann warten, das ist es nicht wert, darüber krank zu werden.“
Erst Jahre später offenbart von Funck, wie sehr dieser Stress tatsächlich an seinen Nerven und seiner geistigen Gesundheit zehrte: 2019 schreibt er in einem Blog-Post, dass ihn die Erfahrung „traumatisiert“ habe. Seitdem leide er unter Angstzuständen und Depressionen.
Updates werden immer sporadischer
So erklärt er auch, dass nach Erscheinen der Alpha-Version Updates mit neuen Spieleinhalten und Kommunikation mit den Fans immer sporadischer werden. Zwischen Tweets oder Blog-Posts liegen teilweise Wochen und Monate, zwischen Videos sogar Jahre.
„Cube World“ ist jahrelang lediglich eine Alpha-Version des angekündigten Spiels. Diese Alpha-Version erfreut sich weiter großer Beliebtheit, doch immer mehr Fans beginnen daran zu zweifeln, dass sie überhaupt jemals ein fertiges „Cube World“ sehen werden. Manche werfen den von Funcks sogar vor, dass sie mit dem bisher verdienten Geld „durchgebrannt“ seien.
Plötzlich ist „Cube World“ fertig – und floppt
2019 meldet sich Wolfram von Funck plötzlich mit einer unerwarteten Ankündigung: Das fertige „Cube World“ steht in den Startlöchern und kann bald auf der Spieleplattform Steam erworben werden – wer die Alpha-Version gekauft hat, soll die Vollversion kostenlos erhalten. In denselben Zeitraum fällt die bereits erwähnte Erklärung auf dem Blog.
Doch die Freude über diese Neuigkeit ist nur von kurzer Dauer. Nach acht Jahren Spannung und Hype kann das Spiel die aufgebauten Erwartungen nicht erfüllen und wird von Kritikern und Fans zerrissen. „Langweilig“ und „unfertig“ sind Worte, die häufig fallen. Beliebte Spielelemente, die bereits Teil der Alpha-Version waren, wie das allmähliche Freischalten von Fähigkeiten durch Erfahrungspunkte, sind nicht vorhanden – was bei vielen Fans zu Irritation führt und zu dem Urteil, dass eine Verschlechterung statt einer Verbesserung stattgefunden habe. Das deutsche Spielemagazin „Gamestar“ titelt: „Der einstige Youtube-Hit legt nach sechs Jahren eine Bruchlandung hin“.
Einen Tag nach Veröffentlichung löscht von Funck seinen Blog
Fast wirkt es, als habe Wolfram von Funck das geahnt, habe eine spielbare Version fertig programmiert und sie veröffentlicht, um die Belastung hinter sich zu haben. Einen Tag nach offiziellem Erscheinen von „Cube World“ löscht der Entwickler seinen Blog, veröffentlicht keinerlei Tweets oder Videos mehr. Der mehr als eine Million mal gesehene Trailer zur fertigen Version ist lange Zeit das letzte Video auf dem Youtube-Kanal – Kommentare deaktiviert.
Die von Funcks scheinen sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurück zu ziehen. In der saarländischen Entwicklerszene sind sie bekannt, aber lassen sich nie bei gemeinsamen Veranstaltungen wie dem monatlichen „Game Dev Saar“-Stammtisch blicken. Auf eine Interview-Anfrage der Saarbrücker Zeitung antwortet Wolfram von Funck: „Die negativen Erfahrungen waren psychisch sehr belastend für mich. Ein solches Interview wäre eine weitere solche Erfahrung.“
Nach vier Jahren Funkstille ein Neubeginn für „Cube World“
Hier könnte die tragische Erfolgsgeschichte des vielleicht berühmtesten Videospiels aus dem Saarland enden. Doch von Funck fügt seiner Antwort auf die SZ-Anfrage im Jahr 2023 – nachdem es fast vier Jahre lang keine Neuigkeiten zu „Cube World“ gab – hinzu: „Ich möchte mich lieber auf die Weiterentwicklung von Cube World konzentrieren.“
Und tatsächlich: Ende Mai 2023 meldet sich „Wollay“ plötzlich wieder bei seinen Fans. Mit „Cube World Omega“ wagt er einen Neubeginn – inklusive neuen Blogs, neuer Videos, reger Aktivität auf Twitter. Die „Omega-Version“ soll von Grund auf neu gebaut werden und sowohl Spielelemente aus der beliebten Alpha-Version als auch neue Elemente enthalten – wie etwa eine Vielzahl neuer zufallsgenerierter Kreaturen, wandelbares Wetter und eine frische Benutzeroberfläche.
Diese Neuigkeiten haben ein Beben unter den Fans des Spiels ausgelöst. Es wird wieder über „Cube World“ diskutiert und spekuliert. Von Funck offenbart zwar wieder regelmäßig Neuerungen, aber verrät nicht, wann „Cube World Omega“ erscheinen soll – nicht mal, ob es ein eigenständiges Spiel oder ein großes Update des bisherigen „Cube World“ wird. Ein neuer Hype regt sich bereits. Ob „Cube World Omega“ diesem gerecht werden kann, steht noch in den Sternen.