Verständigung statt Vorurteile

Völklingen. Manche Vorurteile über andere Länder halten sich lang in den Köpfen - bis man selbst dort hinreist. "Viele hierzulande denken bei der Türkei ausschließlich an Negatives wie Ehrenmorde und halten das Land auch von seiner Entwicklung her für äußerst rückständig", hat Elisabeth Biehl vom Völklinger Verein "Baris - Leben und Lernen" beobachtet

 Bei einem Austausch lernten deutsche Fachkräfte in der Jugendhilfe viel über die Arbeit in der Türkei. Foto: Kadriye Eker

Bei einem Austausch lernten deutsche Fachkräfte in der Jugendhilfe viel über die Arbeit in der Türkei. Foto: Kadriye Eker

Völklingen. Manche Vorurteile über andere Länder halten sich lang in den Köpfen - bis man selbst dort hinreist. "Viele hierzulande denken bei der Türkei ausschließlich an Negatives wie Ehrenmorde und halten das Land auch von seiner Entwicklung her für äußerst rückständig", hat Elisabeth Biehl vom Völklinger Verein "Baris - Leben und Lernen" beobachtet. Seit fast 26 Jahren setzen sich die Mitglieder von Baris (gesprochen "Barresch", türkisch für "Verständigung") dafür ein, dass sich Zuwanderer im Saarland heimisch fühlen. Um helfen zu können, sei es auch wichtig, die andere Kultur zu kennen.Seit zwölf Jahren unterstützt Baris daher maßgeblich die Initiative Deutsch-Türkischer Jugend- und Fachkräfteaustausch. Mitarbeiter der Naturfreunde-Jugend Saar, des Deutsch-Ausländischen Jugendclubs Saarbrücken, des BürgerInnenzentrums Brebach, der Arbeiterwohlfahrt, ProFamilia, des Usak-Vereins sowie Baris und engagierte Einzelpersonen haben sich nun eine Woche in der türkischen Provinz Nevsehir mit dem Thema "Kinder und Jugendliche mit besonderen Problemlagen" befasst. Dabei besuchten sie unter anderem Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Polizeistationen, Jugendzentren und Volkshochschulen. Mit dabei waren auch Elisabeth Biehl und ihre Kolleginnen Ingrid Scholz und Kadriye Eker. "Wenn wir die Strukturen des Herkunftslandes kennen, können wir kompetenter und sensibler den Menschen helfen", findet Ingrid Scholz, die im Verein für die Frauenarbeit und psychosoziale Beratung zuständig ist. Die Türkei haben die Frauen auch bei früheren Austauschen als ein wirtschaftlich aufblühendes, junges Land kennen gelernt, dessen Bevölkerung sehr der modernen Technik zugewandt ist. Auch der Umgang mit hochbegabten wie behinderten Kindern im regulären Bildungssystem habe sie beeindruckt. In der Türkei werde versucht, die hochbegabten wie schwachen Schüler in Regelschulen zu lassen, nachmittags werde gezielt weiter gefördert oder durch Wiederholung Schwächen behoben.

Umgekehrt haben die Teilnehmer des Austauschs auch den türkischen Jugendarbeitern von der Arbeit in Deutschland erzählt. "Die Idee der Babyklappe und der anonymen Geburt war den Kollegen fremd. Andererseits würden sie sich eine Einrichtung wie ProFamilia in der Türkei wünschen", sagt Biehl. Nächstes Jahr soll eine türkische Fachgruppe ins Saarland kommen.

Seit fast 26 Jahren gibt es Baris. Seitdem sind die Probleme eher größer geworden - was aber nicht an der Migration liege, sondern an gesellschaftlichen Problemen wie gestiegener Armut. "Die Leute haben zu wenig Geld, vielen droht die Überschuldung und damit drohen psychosoziale Störungen", erklärt Geschäftsführer Eckhard Rothaar. "Schwierig ist nach wie vor, Selbstbewusstsein aufzubauen, sich als ein selbstverständlicher Teil dieses Landes zu sehen", sagt Hanne Kraus.

Der Verein sitzt im Interkulturellen Kompetenzzentrum in Völklingen-Wehrden und arbeitet dort eng mit der Arbeitskammer des Saarlandes zusammen (siehe Infokasten). Er beschäftigt eine Psychologin, eine Pädagogin und eine Soziologin. Inzwischen sei man im Ort fest verankert und auch Nicht-Migranten nutzten die Angebote des Vereins, sagt Kraus. Zwar habe sich in der Gesellschaft viel bewegt, doch es müsse noch mehr für die berufliche Integration von Migranten getan werden. Auch müssten weiterhin Vorurteile bei Deutschen wie Zugezogenen abgebaut werden. Das gehe manchmal schnörkellos, weiß Hanne Kraus: "Bei einem gemeinsamen Kochkurs haben die Frauen gemerkt: Bei allen Unterschieden sind viele unserer Probleme im Alltag und bei der Kindererziehung die gleichen."

Hintergrund

Das Interkulturelle Kompetenzzentrum in Völklingen-Wehrden ist Anlaufstelle für migrationsspezifische Probleme. Die Arbeitskammer bietet unter anderem Sozialberatung an und hilft beim Übergang von der Schule in den Beruf. Den Verein "Baris - Leben und Lernen" gibt es seit 1986. Er bietet interkulturelle Kinder- und Jugendarbeit, berufsorientierte Mädchenarbeit, soziale Integration von Migrantinnen, psychosoziale Beratung und organisiert kulturelle Feste. Ebenfalls im Haus untergebracht ist der Verein "Multikultur, Arbeitsstelle Migration und Fremdenfeindlichkeit". ukl

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