Haftstrafe nach Familiendrama Viereinhalb Jahre für Todesschüsse auf Sohn

Saarbrücken · An Neujahr 2018 hat ein 66-Jähriger seinen drogenabhängigen Sohn erschossen. Dafür muss er nun ins Gefängnis. Das Strafmaß fiel dabei unüblich milde aus.

 Der Familienvater aus Beckingen (links) ist gestern vom Landgericht des minderschweren Totschlags an seinem Sohn schuldig gesprochen worden. Er muss nun für viereinhalb Jahre hinter Gitter.

Der Familienvater aus Beckingen (links) ist gestern vom Landgericht des minderschweren Totschlags an seinem Sohn schuldig gesprochen worden. Er muss nun für viereinhalb Jahre hinter Gitter.

Foto: BeckerBredel

Dass ein Angeklagter, der des Totschlags beschuldigt wird, als freier Mann zur Urteilsverkündung in den Gerichtssaal tritt, passiert höchst selten. Doch ziemlich alles an der Geschichte des 66-Jährigen aus Beckingen-Haustadt, der gestern vom Saarbrücker Landgericht zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, grenzt sich von einem üblichen Fall von Totschlag ab. Was bringt einen Vater dazu, seinen eigenen Sohn umzubringen? „Was war die Triebfeder zu dieser Tat?“, fragte der Vorsitzende Richter Bernd Weber bei der Urteilsverkündung. „Er fühlte sich hilflos“, heißt ein paar Minuten später die Antwort der Kammer auf diese Frage. „Er hatte tiefe Zukunftsangst, dass der Sohn ihm und seiner Familie das Leben zur Hölle machen würde.“ Doch wie konnte es so weit kommen?

Was sich in der mehrtägigen Verhandlung abzeichnete, ist die Leidensgeschichte einer ganzen Familie. Einerseits die des Opfers: Der 29-Jährige, der durch den Konsum von Cannabis, LSD und Amphetaminen immer mehr die Kontrolle über sein eigenes Leben verlor. Der durch mehrere Todesfälle – von seinem besten Freund bis zum Großvater –  immer sonderbarer und psychisch labiler wurde. Und schließlich auf der Treppe im Elternhaus vom eigenen Vater erschossen wird.

Deutlich wird in diesem Fall aber auch der andere Leidensweg. Jener der Eltern, die über Jahre immer wieder versuchten, ihren Sohn zu unterstützen und seinen Bitten nachzukommen – beispielsweise mit Startkapital für eine eigene Wohnung oder indem sie ihn nachts zum Friedhof fuhren, damit er stundenlang an dem Grab seines Freundes verbringen konnte. Was sie dafür ernteten, waren nicht nur Vorwürfe, sie würden ihn im Vergleich zu seiner Schwester benachteiligen, sondern bald auch Beleidigungen sowie die Zerstörung ihrer Möbel, Türen und Elektrogeräte. Mehrmals kam der 29-Jährige in Polizeigewahrsam. Doch das hielt ihn nicht davon ab, immer wieder bei seinen Eltern zu randalieren und sie Tag und Nacht telefonisch zu terrorisieren. Selbst ein Aufenthalt in der Forensik schien wirkungslos. Als zwischen Weihnachten 2017 und Neujahr 2018 die Drohungen – unter anderem das Elternhaus anzuzünden – immer ernster wurden und der Sohn gegenüber seinen Eltern, aber auch weiteren Menschen außerhalb des Familienkreises handgreiflich wurde, verlor der Angeklagte die Hoffnung, dass sich die Lage je wieder entspannen würde.

An diesem Neujahrstag hatte er sich in seinem Haus verbarrikadiert aus Angst, sein Sohn würde trotz Hausverbot wieder kommen. Und genauso kam es auch. Als dieser sich über den Balkon Zutritt verschaffte, griff der Rentner zur Waffe und bedrohte ihn, um ihn zum Gehen zu zwingen. Doch stattdessen provozierte ihn der Sohn und meinte zu ihm „Schieß doch!“. Und das tat der Vater auch. Drei Mal.  „Er hat mit Todesvorsatz geschossen, es war keine Notwehrsituation“, schilderte der Richter Weber weiter. Und so habe es der 66-Jährige in seinem umfangreichen Geständnis auch nie versucht darzustellen. Die Tat sei die rationale Entscheidung eines Mannes gewesen, der sich dennoch in einer psychischen Ausnahmesituation befand. „Durch diese Tat hat er sein eigenes Leben zerstört“, so der Richter. Strafmildernd und entscheidend für die Bewertung dieses Falles als minder schweren Totschlag wirke sich die echte Reue des Angeklagten aus, der unmittelbar nach der Tat selbst die Polizei verständigt hatte und sofort ein Geständnis ablegte. Auch aus diesen Gründen war seinerzeit eine Unterbringung des an Diabetes, Atem- und Nierenproblemen leidenden Mannes in der Untersuchungshaftanstalt verzichtet worden. Seit der Tat und bis zu seinem Haftantritt lebt der Mann noch in dem  Haus, das an jenem schicksalhaften ersten Januartag zum Tatort geworden war. Jeden Tag läuft er an dem Treppenhaus vorbei, in dem er keinen anderen Ausweg mehr sah, als seinen eigenen Sohn mit drei Schüssen zu töten.

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