Untreue schafft Beratungsbedarf

Saarbrücken. Sex fristet ein merkwürdiges Dasein: einerseits die intimste Sache der Welt, andererseits käuflich und in den Medien omnipräsent. Und Sex ist immer noch ein Tabuthema: "Denn offen und ernsthaft wird selten darüber gesprochen", sagt Sozialpädagoge Peter Drastik (49). "Auch Paare meiden das Thema." Drastik muss es wissen

 Viele Paare reden miteinander nicht über ihren Sex - das hat der Sozialpädagoge Peter Drastik festgestellt. SZ-Archiv-Foto: dpa

Viele Paare reden miteinander nicht über ihren Sex - das hat der Sozialpädagoge Peter Drastik festgestellt. SZ-Archiv-Foto: dpa

Saarbrücken. Sex fristet ein merkwürdiges Dasein: einerseits die intimste Sache der Welt, andererseits käuflich und in den Medien omnipräsent. Und Sex ist immer noch ein Tabuthema: "Denn offen und ernsthaft wird selten darüber gesprochen", sagt Sozialpädagoge Peter Drastik (49). "Auch Paare meiden das Thema." Drastik muss es wissen. Gemeinsam mit seiner Kollegin Ute Müller betreut er seit zwölf Jahren die Sexual- und Paarberatungen im "Diakonischen Werk an der Saar gGmbH" (DWSaar) in der Großherzog-Friedrich-Straße 37. Die kostenlosen Beratungen sind sehr beliebt. "Wir sind immer voll", sagt Drastik. Bis zu sieben Paare wöchentlich kommen zu Drastiks Beratungssitzung. "Meist gehen die Gespräche eineinhalb Stunden." Genug Zeit, um über "Beziehung, aber auch über viel Sex zu sprechen."

Sexuelle Appetitlosigkeit

Es gibt viele Gründe, warum es im Bett nicht läuft: Erektionsprobleme, Orgasmusstörungen, sexuelle Appetitlosigkeit, Untreue oder auseinanderklaffende Sexfantasien. Drastik hat schon viel gehört. Er ist ein Kumpeltyp, der schnell Zugang zu Menschen findet. "Auch beim Thema Sex", sagt er. Und wie? "Ich rede einfach drauflos. Meine Sprache ist ungekünstelt und authentisch. Das baut Ängste ab. Die Paare merken dann, hier können sie ganz offen sein." Die Paare, die er berät, sind ganz unterschiedlich. "Meist aus der Mittelschicht, heterosexuell, aber auch schwul. Mein jüngstes Paar war um die 18, das älteste über 70 Jahre alt."

Und woran krankt das Sexleben der Saarbrücker Paare? "Ein großes Problem ist die sexuelle Lustlosigkeit, die sich bei Paaren einschleicht." Die Gründe: Stress im Alltag, "manche erzählen auch, dass der Sex nach dem ersten Kind drastisch abnahm oder schlicht Langweile, weil man sich lange kennt, eingespielt ist, nichts Neues probiert". Und was raten Sie? Ein romantisches Wochenende? "Nein, damit ist das Problem nicht behoben", lacht Drastik. "Paare neigen dazu, alles gemeinsam zu machen, sich anzugleichen. Dabei geht der Reiz flöten." Wichtig, sagt er, sei es die Sexfantasien miteinander zu besprechen, "das Repertoire zu erweitern, neue Stellungen oder Sexpraktiken zu testen. Das belebt das Sexleben."

Jeder Mensch trägt einen Köcher mit Sexfantasien auf seinem Rücken, "nur selten werden die Pfeile abgeschossen". Dabei ist häufig ganz einfach: "Eine Frau träumte ständig vom Sex mit einem Bauarbeiter", erinnert er sich, "ihr Mann sollte dreckig sein, nach Schweiß riechen. Der Mann wusste nichts von ihrer Fantasie. Sie haben hier zum ersten Mal darüber gesprochen und es ausprobiert. Hat geklappt", erinnert er sich. Viele Paarberatungen seien erfolgreich, sagt er, "immer dann, wenn die Liebe noch da ist."

Abgewälzte Verantwortung

Manche Paare aber kommen zu ihm, obwohl sie wissen, dass "die Beziehung am Ende ist. Da ist dann das Motto: Wir haben alles probiert. Nicht mal eine Paarberatung hilft. Die Verantwortung für das Ende will keiner von beiden tragen. Wenn die Liebe weg ist, hilft auch reden nicht mehr." Der häufigste Grund für eine Paarberatung sei aber die Untreue. "Das macht etwa 60, 70 Prozent aus. Und das ist ein schwieriges Problem, weil der Betrogene sehr verletzt ist." Seitensprünge fliegen aus Eitelkeit auf, weil SMS mit Liebesschwüren oder "Keiner ist so gut im Bett wie du" nicht gelöscht werden, beschreibt der 49-Jährige grinsend.

"Jeder muss selbst entscheiden, ob er einen Seitensprung beichtet. Meiner Meinung nach, versucht der Untreue mit seiner Beichte auch die Verantwortung abzugeben: Du weißt es jetzt und musst entscheiden wie es weitergeht." Also nicht beichten, wenn's nur eine heiße Nacht war? Drastik nickt. "Da will ich keinen Tipp geben." Aber er wirkt plötzlich ganz schweigsam.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort