Unter Nestbeschmutzern

Saarbrücken. Vorbei die Zeiten, da er Saarbrücken als "die verschissenste deutsche Stadt, die ich kenne" bezeichnete. Dass er über die Laienhaftigkeit der hiesigen freien Szene ätzte, übers "Festefeiern als legitimierte Lebenshaltung", übers saarländische Harmoniebedürfnis, übers Klein-Klein und Gequatsche statt Taten

Saarbrücken. Vorbei die Zeiten, da er Saarbrücken als "die verschissenste deutsche Stadt, die ich kenne" bezeichnete. Dass er über die Laienhaftigkeit der hiesigen freien Szene ätzte, übers "Festefeiern als legitimierte Lebenshaltung", übers saarländische Harmoniebedürfnis, übers Klein-Klein und Gequatsche statt Taten. 1998 kehrte der freie Regisseur Stefan Schön Saarbrücken den Rücken und lebt und arbeitet nun in Augsburg. Von wo aus er nicht mehr so recht mitkriege, was hier im Gärdsche passiere. Doch wenn er dann seiner Heimat mal einen Besuch abstattet, so am Freitag anlässlich seiner Lesung auf Einladung des Kulturzentrums am Eurobahnhof (KuBa), stellt er fest: "Saarbrücken hat gewonnen, seit ich weg bin" - ein Schelm, wer einen Zusammenhang vermutet. Dass es jetzt Blumen auf den Brücken und ein paar renovierte Häuser mehr gebe, wertet er als deutlichen Fortschritt. Aber: keine verbalen Zeugnisse einstiger wütender Hassliebe, keine Forderung mehr, dass "ein Sehender in dieser Stadt täglich rund um die Uhr Amok laufen müsste." Ein plötzliches Harmoniebedürfnis? Wenn man aus seiner Zurückhaltung folgern wolle, dass das einstige Enfant terrible milde geworden sei: bitte. "Er hat sogar Tränen der Rührung in den Augen gehabt, als wir auf der Anreise das erste Saarbrücken-Schild gesehen haben", foppt sein Bühnenpartner Tom Gratza, Begleiter an Keyboard und Synthesizer: "Augsburg ist viel schlimmer." Schön stimmt zu, lobt im Vergleich beispielsweise das wesentlich motiviertere und begeisterungsfähigere Saarbrücker Publikum. Den Einwand, dass seine gut besuchte Rezitation im KuBa ja auch ein Heimspiel vor Freunden sei, mag er nicht gelten lassen: "Mir sind hier vielleicht eine Handvoll Leute bekannt!" Nun, im Beschimpfen von Städten, im Provozieren und passionierten Granteln war auch der Schriftsteller Thomas Bernhard groß. Just um selbigen ging's dann auch am Freitag: Anlässlich von dessen 20. Todestag haben Schön und Gratza im vergangenen Jahr die literarische Collage "... es ist alles so schrecklich" konzipiert. Schön las mit Emphase aus ausgewählten Werken Bernhards, streute O-Töne und Erläuterungen ein, während Gratza musikalisch kommentierte. Von Bernhard stammt übrigens auch der Satz übers Amoklaufen, bezogen auf Wien - in den 1990er Jahren hatte Schön ihn auf Saarbrücken umgemünzt. kek

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