Border Studies an der Universität des Saarlandes Grenzraumforschung ist auch hochaktuell in der Ost-Ukraine

Saarbrücken · Grenzerfahrungen kennen alle. Um deren physische, politische, kulturelle und psychologische Dimensionen geht es in der Grenzraumforschung (Border Studies). Was das wiederum mit der saarländisch-ukrainischen Uni-Partnerschaft zu tun hat, lesen Sie hier.

 Bildungseinrichtungen wie diese Schule in einem Vorort von Mykoljiv sind Hauptziele der russischen Angreifer.

Bildungseinrichtungen wie diese Schule in einem Vorort von Mykoljiv sind Hauptziele der russischen Angreifer.

Foto: IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Vincenzo Circosta

Der Weg zum Europäischen Zentrum für Grenzraumforschung (Border Studies) am Saarbrücker Standort der Universität der Großregion führt quasi über die mexikanisch-amerikanische Grenze – jener Grenze, die Donald Trump mit einer Mauer befestigen wollte. Denn mexikanisch-amerikanische Literatur und Kultur („Chicano Studies“) sind Forschungsschwerpunkte von Astrid Fellner, Amerikanistik-Professorin an der Universität des Saarlandes, die das Zentrum 2014 mitgegründet hat.

Fellner beschäftigt sich schon lange mit Border Studies (Grenzraumforschung). Ihr Spezialgebiet führte sie über die DAAD-Ostpartnerschaften, die auch die Saar-Uni (UdS)mehr oder weniger pflegt, bis in die Ost-Ukraine – und macht sie jetzt zu einer wichtigen Ansprechpartnerin für mehr als zwei Dutzend geflohene ukrainische Studierende und 14 Dozentinnen der Petro Mohyla Schwarzmeer-Universität in Mikolajiv. Die 450 000 Einwohner-Stadt liegt im Südosten des Landes an der Dnepr-Mündung ins Schwarze Meer und damit derzeit direkt an der Frontlinie des Krieges. Sie blockiert gewissermaßen den Weg der russischen Invasoren nach Odessa. Mikolajiv ist zudem nur 50 Kilometer entfernt von Cherson, das jetzt russisch besetzt ist.

Deutsch-ukrainisches Forschungsprojekt

 Astrid Fellner, Professorin für Amerikanistik an der Saar-Uni, hat die „Border Studies“ mitbegründet.

Astrid Fellner, Professorin für Amerikanistik an der Saar-Uni, hat die „Border Studies“ mitbegründet.

Foto: Jörg Pütz

Fellner war seit 2015 schon sechs Mal dort, hält ebenso wie Hispanistik-Professorin Janett Reinstädler engen Kontakt zum dortigen Dekan der Philosophischen Fakultät, Oleksandr Pronkevych. Mit ihm und seinem wissenschaftlichen Team arbeiteten die Saarbrücker seit 2018 an einem dreijährigen Forschungsprojekt (“Bio-Politics of Borders in times of crisis“), das vor kurzem in Luxemburg vorgestellt wurde.

Wie kam es zum Schwerpunkt Border Studies? 2014 hatte Astrid Fellner das rotierende Amt der Vizepräsidentin für Europa und Internationales an der UdS inne. Damals war die Universität der Großregion mit insgesamt sechs vernetzten Standorten in Saarbrücken, Kaiserslautern, Trier, Luxemburg, Metz, Nancy und Liège in der Gründungsphase. Was fehlte, waren „Forschungs-Leuchttürme“ dieser neuen akademischen Kooperation über Grenzen hinweg. Die Grenzraumforschung bot sich an – ideal für eine grenzüberschreitende Uni im Herzen Europas. Die EU sagte Fördergelder aus dem Interreg-Programm zu und das „Center of Border Studies“ wurde aus der Taufe gehoben. „Im Sommer läuft die Interreg-Förderung aus, aber es ist gelungen, das Zentrum aus Landesmitteln zu verstetigen“, freut sich Astrid Fellner über „ihr Baby“.

Großes Interesse an Border Studies-Master-Programm

Seit 2014 haben rund 40 Absolventen und Absolventinnen ihren Master of Border Studies erworben – in einem auf vier Semester angelegten Aufbaustudium an Standorten in Lothringen, Luxemburg und Deutschland. Im ersten Jahr findet das Studium in Metz und Nancy statt, wo die meisten Studierenden dann auch wohnen. Im zweiten Jahr wird in Saarbrücken, Kaiserslautern und Luxemburg gelehrt. „Unterrichtssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch“, erläutert Fellner. Das Pensum sei „herausfordernd“ und verlange ein hohes Maß an Mobilität, man bewegt sich schließlich in der Großregion. Mittelfristig plant sie ein Doktoranden-Programm, denn der Studiengang sei begehrt und die Absolventinnen kämen „gut unter“.

Der Krieg hat nun die Forschungsergebnisse des deutsch-ukrainischen Teams in vielerlei Hinsicht überholt. Aber gerade vor dem Hintergrund der Kämpfe um Grenzen kann die Grenzraumforschung eine wichtige Rolle spielen. „Als ich in der Pandemie Online-Vorlesungen für die Studierenden in Mikolajiv gehalten habe zu kulturwissenschaftlichen Aspekten der Grenzraumforschung, stellten die Studierenden dort viele Analogien zu den Grenzkonflikten fest, auf die ich mich bezog“, erklärt Fellner.

Was in Deutschland oft vergessen wird: In der Ostukraine, im Donbass, herrscht nicht erst seit dem 24. Februar, sondern seit 2014 Krieg. Damals besetzten prorussische Separatisten mithilfe Russlands gewaltsam die Krim und Teile des Gebietes um Luhansk. Seitdem wird in der Ost-Ukraine gekämpft. Tausende sind dabei bereits ums Leben gekommen.

Fragen nach Ein- und Ausgrenzung

Und so ist die Grenzraumforschung mit ihren Fragestellungen nach Ein-, Aus-, Ab- und Entgrenzung, nach sprachlichen, kulturellen, politischen Grenzen und Grenzerfahrungen, nach Identität und Mobilität hochaktuell im Kontext des russisch-ukrainischen Krieges.

Beispielsweise wird in der Ost-Ukraine, vor allem im Donbass, überwiegend Russisch gesprochen. „Doch je länger der Konflikt dauerte, desto mehr hat sich der Sprachgebrauch dort gewandelt“, stellt Fellner fest. Heute sprechen viele Menschen in der Ost-Ukraine wieder vermehrt Ukrainisch, um sich bewusst von der russischen Kultur abzugrenzen. Eine gemeinsame Sprache als Brücke? Das funktioniert zurzeit leider nicht in der Ost-Ukraine.

Die ukrainischen Akademikerinnen sind für ein paar Monate bis zu einem Jahr mit verschiedenen Stipendien der Universität, des Akademischen Austauschdienstes (DAAD), von Erasmus oder mit Geldern von Forschungs-Stiftungen ausgestattet. Wie es mit ihrem Studium oder in der Lehre an ihrer Heimat-Universität weitergeht, das ist bei vielen ungewiss.

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