Interview Jörg Schönenborn „Ich glaube nicht, dass Demokratie in Gefahr ist“

Saarbrücken · TV-Moderator Schönenborn plädiert bei Vortrag in Saarbrücken für Austausch mit Andersdenkenden, um die politische Spaltung zu überwinden.

  Jörg Schönenborn ist bekannt aus ARD-Wahlsendungen.

Jörg Schönenborn ist bekannt aus ARD-Wahlsendungen.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Im Rahmen der Reihe „Demokratie in Gefahr!“, veranstaltet vom Kulturforum der Sozialdemokratie Saarland, der Stiftung Demokratie Saarland und der Arbeitskammer des Saarlandes, ist am morgigen Mittwoch, 27. März, um 18.30 Uhr WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn zu Gast in der Saarbrücker Congresshalle (Anmeldung unter gegen-rechts@arbeitskammer.de). Die Saarbrücker Zeitung sprach vorher mit dem unter anderem aus den ARD-Wahlsendungen bekannten Journalisten über die Lage der Demokratie in Deutschland.

Was sind Ihre Gründe, sich an der Veranstaltungsreihe „Demokratie in Gefahr!“ im Saarland zu beteiligen?

SCHÖNENBORN Ich glaube nicht, dass Demokratie in Gefahr ist. Aber ich glaube, dass Demokratie anstrengender geworden ist. Dass wir uns dafür engagieren müssen. Dass in Zeiten, in denen sich unsere Welt so schnell verändert, sich auch unsere Gesellschaft und unsere demokratischen Spielregeln verändern. Deswegen finde ich das ein wichtiges und spannendes Thema.

Auf dem Titel des Flyers für die Veranstaltung steht „Demokratie in Gefahr“ mit Ausrufezeichen, bei der Ankündigung Ihres Auftritts zwei Seiten weiter steht ein Fragezeichen dahinter. Wie stufen Sie die Gefahr ein?

SCHÖNENBORN Ich bin aufgewachsen in der alten, westlichen Bundesrepublik. Die Globalisierung verändert alles: den Arbeitsmarkt, die Familien, wie wir miteinander reden und umgehen, welche Menschen bei uns leben. Das erzeugt einen ungeheuren Druck darauf, wie der Staat arbeitet, wie wir Gesellschaft gestalten. Das kann man als Gefahr bezeichnen. Ich finde, es ist eine Herausforderung.

Haben Sie schon persönlich Drohungen von Rechtsextremisten erlebt? Und wie gehen Sie damit um?

SCHÖNENBORN Ich werde viel von Zuschauerinnen und Zuschauern angesprochen. Ich habe auch oft Begegnungen. Die meisten sind interessiert oder positiv. Aber ich habe auch Beschimpfungen erlebt. Ich versuche, ins Gespräch zu kommen. Manchmal gelingt das. Es gibt aber auch Anwürfe, wo ich merke, da gibt es überhaupt kein Interesse an Kommunikation. Dann versuche ich auch, eine klare Grenze zu ziehen. Es gibt Regeln des Anstands. Wer die nicht einhält, will eben nicht sprechen.

Aber Sie mussten noch keine Anzeige bei der Polizei stellen deswegen?

SCHÖNENBORN Nein. Aber ich lese auch nicht alles, was über mich im Netz steht. Ich bin da auch ein Stück weit gelassen. Das, was in manchen Blogs passiert, ist Pöbelei, ist unanständig, ist sicher manchmal auch Gesetzesbruch. Aber ich versuche, dort gelassen zu sein.

Was ist denn gefährlicher für die Demokratie? Wenn Rechtsextremisten von der AfD die meisten Stimmen bei der nächsten Landtagswahl in Sachsen erzielen oder die Straßengewalt wie in Chemnitz oder Freital?

SCHÖNENBORN Mir ist wichtig, die AfD nicht als rechtsextremistisch zu bezeichnen. Denn das sind sie nicht. Wir haben klare Definitionen dafür, was rechtsextrem und was rechtsradikal ist. Die AfD ist eine Partei, die sehr schillernd ist, wo sehr viele zusammenkommen und wo sicher ein paar rechtsextreme Figuren dabei sind. Es geht aber darum zu verstehen: Warum gibt es so viele Menschen, die die Partei wählen? Dahinter steckt bei den allermeisten Wählern nicht Begeisterung für die AfD, sondern Enttäuschung über die anderen Parteien. Das ist das zentrale Problem. Für den Umgang mit Gewalt gibt es Regeln, für den Umgang mit Extremismus gibt es Regeln. Für alles haben wir gute Gesetze. Da bin ich dafür, dass die hart angewendet werden. Das Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen, ist die Unzufriedenheit vieler Menschen mit den anderen Parteien. Und deren Entschluss, diese nicht zu wählen.

Wie lassen sich die Ursachen für Rechtsextremismus am besten bekämpfen? Es gibt bereits Kommunen im Osten, da sind Demokraten in der Minderheit.

SCHÖNENBORN Das weiß ich nicht. Rechtsextremisten sind ja Menschen, die aktiv die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen. In der Tat haben ja einige Regionen dort deutliche Probleme. Wo Gesetze gebrochen werden, ist es eine Aufgabe für Polizei und Gerichte. Die allermeisten Menschen halten sich an Recht und Gesetz, haben aber politische Überzeugungen, die vielen von uns nicht passen. An der Stelle ist die Aufgabe, Probleme zu erkennen und in Debatte zu treten. Ich war bei einer Veranstaltung im Vogtland, in einer 1500-Einwohner-Gemeinde. Vieles, was Menschen dort denken, ist mir fremd. Aber ich habe verstanden, das ist eine Region, wo täglich Menschen wegziehen, wo die Schulen zusammenbrechen, weil es keine Kinder mehr gibt, wo hunderte Kilometer gependelt werden, weil es keine Arbeitsplätze gibt. Das ist ein Leben, das unzufrieden macht. Und dann verstehe ich, wenn man den Staat kritisch sieht.

Muss denn diese kritische Haltung zum Staat zwangsläufig dazu führen, sich auf die rechte Seite zu stellen?

SCHÖNENBORN Naja, rechts ist das Gegenstück von links. Es gibt die eine Hälfte, die Veränderungen positiv sieht, die sich freut über technische Entwicklungen und Multikulturelles. Und es gibt eine andere Hälfte, die Angst hat, dass deutsche Kultur sich verändert, die Angst hat vor einer großen, fremden Religion. Das ist die Hauptkonfliktlinie, die wir da haben. Die lösen wir nur mit Austausch, Debatte und Diskussion.

In der Flüchtlingspolitik verfolgt die Bundesregierung inzwischen eine harte Linie mit Abschiebungen und dem Ende der humanitären Hilfe im Mittelmeer. Hilft das gegen das Anwachsen der Rechten oder ist das schädlich für unsere Demokratie?

SCHÖNENBORN Wenn die eine Hälfte der Gesellschaft tendenziell sagt, lasst uns helfen, wir können uns das leisten, lasst uns mehr Menschen reinlassen, und die andere Hälfte tendenziell sagt, ich habe Angst vor Fremden, ich möchte kontrollieren, wer ins Land kommt, dann kann es da nur einen gesellschaftlichen Kompromiss geben. Den hat die große Koalition gefunden, mit der Richtgröße von 200 000 Menschen pro Jahr, die kommen sollen. Und mit der Verständigung auf ein Einwanderungsgesetz, das die Botschaft sendet: Wir wollen Leute aufnehmen, wir wollen aber aussuchen, wer kommt. Ich glaube, das ist ein gesellschaftlicher Kompromiss, der vernünftig ist.

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