Tränen flossen wegen des Edelstein-Rings

Nunkirchen. Eine zu Herzen gehende Geschichte erzählt SZ-Autorin Anne-Mie Puhl aus Nunkirchen: Für die SZ Merzig erinnert sich die 75-Jährige an ein ganz besonderes Weihnachtsfest, das sie vor genau 70 Jahren als kleines Mädchen im Kriegswinter 1943 erlebte.

 Anne-Mie Puhl (Mitte), damals fünf Jahre alt, mit ihrem Bruder Norbert Herbst und ihrer Mutter Amalie Herbst-Werding an Weihnachten 1943 – ein Fest, das sie bis heute nicht vergessen hat. Foto: Puhl

Anne-Mie Puhl (Mitte), damals fünf Jahre alt, mit ihrem Bruder Norbert Herbst und ihrer Mutter Amalie Herbst-Werding an Weihnachten 1943 – ein Fest, das sie bis heute nicht vergessen hat. Foto: Puhl

Foto: Puhl

Weihnachten und die Vorweihnachtszeit wurden damals, vor sieben Jahrzehnten, ganz anders gelebt als heute: Es war ein Warten auf das Christkind. Es gab noch keine elektrisch beleuchteten Weihnachtsbäume, Lichterketten und so weiter - obwohl ich dies heute sehr stimmungsvoll finde. Ebenso fehlten die hell erleuchteten und geschmückten Fenster, es fehlten im Vorgarten die beleuchteten Elche mit Schlitten. Ich überlege gerade, wann eigentlich die geschmückten Weihnachtsbäume und die Berieselung mit Weihnachtsliedern in Mode kamen? Von der Kriegszeit abgesehen war es damals ja auch eine arme Zeit, die man sich beim besten Willen nicht zurück wünscht.

Aber trotz aller Einschränkungen, trotz aller Armut war Weihnachten auch damals etwas Besonderes: Alles war geheimnisvoll. Das Christkind kam noch persönlich, als eine weißgekleidete Lichtgestalt (meist war das Gewand ein ausgemustertes Brautkleid aus der Familie). Begleitet wurde das Christkind von Knecht Ruprecht oder einem Schutzengel. Wir Kinder mussten singen und beten. Da es bei mir mit dem Singen haperte, durfte ich ein Gedicht vortragen. Und noch etwas war anders: Der Weihnachtsbaum blieb bis zur Bescherung unsichtbar. Diese wurde mit einem Glöckchen eingeläutet. Und dann dieser Anblick: Der Weihnachtsbaum, wie immer traditionell geschmückt, erstrahlte im Kerzenlicht. Auch möchte ich noch die Krippe mit dem Jesuskind erwähnen, die in keiner Stube fehlen durfte. Unsere Krippe hatte nicht den üblichen Stall: Mein Bruder hatte im Wald eine große Wurzel gefunden, aus der er die Krippe gestaltete hatte. Und zusammen mit Moos, Ästen und weißen Krippenfiguren war sie besonders schön.

Nun ein Wort zu den üblichen Geschenken in jener Zeit: Meine beiden "Schildkrötenpuppen" waren zu meinem Leidwesen schon Wochen vor Weihnachten verschwunden. Sie bekamen nämlich neue Kleider, die natürlich selbst genäht oder gestrickt worden waren. Die Holzwiege sowie der geschreinerte Puppenschrank wurden jedes Jahr in einer anderer Farbe gestrichen und erstrahlten im neuen Glanze. Ich war 1943 fünf Jahre alt und durch und durch eine Puppenmutter.

Sehnlichst hatte ich mir einen Kaufladen gewünscht, was aber ein unerfüllter Traum für mich blieb. Mit viel Fantasie funktionierte ich meinen Kindertisch in ein Laden-Geschäft um. Ein Kästchen mit Knöpfen war meine Kasse, eine Waage blieb mein Weihnachtswunsch. Um diese zu bekommen, fuhr meine Mutter seinerzeit mit der Kleinbahn nach Büschfeld, stieg dann um in die Bundesbahn nach Wadern. Von dort musste sie noch acht Kilometer weit nach Lockweiler marschieren. Denn nur dort konnte man mit einem Bezugsschein in einem Laden Weihnachtsgeschenke erwerben. Nach endlosem Schlangenstehen konnte sie dann den ganzen Weg noch einmal zurücklegen.

Wie verlief nun der Heilige Abend in diesem besonderen Jahr 1943? Ich erinnere mich noch ganz genau: Mein Bruder und ich warteten schon voller Ungeduld, meine Mama hatte endlich ihre Strickmaschine, die für unseren Lebensbedarf unerlässlich war, auf den Speicher gebracht. Es klopfte an der Tür, herein kam ein Nachbarsjunge, dessen Vater der Dorfbriefträger war. Er sagte: "Ich hab' ein Päckchen für euch aus Russland." Dort war mein Vater im Kriegseinsatz. Mein Vater hatte die Feldpost mit dem Vermerk "Bitte erst am Heiligen Abend zustellen" versehen. Völlig überrascht und neugierig öffneten wir das Paket. Was für meinen Bruder neben Schokolade noch in dem Paket war, weiß ich nicht mehr. Für mich gab es ein eisernes schwarzes Kinderbügeleisen mit einem großem Sowjetstern drauf, welches ich noch jahrelang besaß, bis es bei einem Umzug abhanden kam. Die Riesentafel Blockschokolade war ein Volltreffer. Ich war den ganzen Abend damit beschäftigt, teilte und wog die Schokolade mit meiner neuen Waage. Der echte Kaufladen war dadurch völlig unwichtig für mich geworden.

Meine Mutter bekam ein ganz besonderes Geschenk: einen wunderschön gearbeiteten Goldring mit einem großen rubinfarbenen Edelstein. Obwohl ich noch ein kleines Mädchen war, hat mich dieses Schmuckstück fasziniert. Und dann das: Meine Mutter fing darob so bitterlich zu weinen an, dass mein drei Jahre älterer Bruder das Weite suchte. Er lief ganz einfach weg, raus ins Freie. Wir mussten ihn suchen und erst auf unser Rufen kletterte er wieder vom Nussbaum runter.

Ich stand den Tränen meiner Mutter vollkommen hilflos gegenüber. Wie sollte ich es auch begreifen? Meine Mutter bekam einen so schönen Ring. Sie sollte sich doch darüber freuen - und weinte nur noch. Später sollte ich verstehen, warum: An Weihnachten zuvor - hiervon gibt es noch Fotos - war mein Vater noch auf Fronturlaub bei uns, an Weihnachten danach deckte ihn bereits Russlands kalte Erde zu.

Aber nun zurück zu dem roten Ring: Wie kam mein Vater überhaupt in dessen Besitz? Wir haben es noch herausgefunden. Mein Vater hatte einen Kriegskameraden aus Idar-Oberstein, dem er gegen Altgold den Ring in Auftrag gegeben hatte. Die Verarbeitung des Schmuckstückes ist ganz apart. Zu dem wunderschön leuchtenden Stein (ich habe ihn einmal prüfen lassen) sagte man mir, er stamme mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Iran und kam von dort nach Russland. Wie dem auch sei, seit meine Mutter tot ist, darf ich den Ring tragen. Er ist mein ganzer Stolz. Ich werde ihn in Ehren halten. Wenn ich einmal nicht mehr da bin, geht dieses Andenken an meine Enkelin, die auch Wurzeln im Iran hat.

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