Der letzte Saartalk von SR und SZ in diesem Jahr Es gibt auch Gutes in dieser Corona-Zeit

Saarbrücken · „Alles anders – unser Leben im Corona-Jahr 2020“ war das Thema des letzten Saar-Talks von SR und SZ in diesem Jahr.

 Die Gesprächsrunde von links: SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst, Polizist und Polizei-Gewerkschafter David Maaß, SR-Chefredakteurin Armgard Müller- Adams, Neurobiologin Susanne Schreiber, Linken-Politiker Oskar Lafontaine und Psychologin Tanja Michael (vorne).

Die Gesprächsrunde von links: SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst, Polizist und Polizei-Gewerkschafter David Maaß, SR-Chefredakteurin Armgard Müller- Adams, Neurobiologin Susanne Schreiber, Linken-Politiker Oskar Lafontaine und Psychologin Tanja Michael (vorne).

Foto: Oliver Dietze

Als im Frühjahr die ersten Bilder aus Italien kamen, mit überfüllten Kliniken und toten Menschen, da machte sich Oskar Lafontaine die ersten großen Sorgen wegen Corona. „Ein Aha-Erlebnis“ sei das gewesen, gefolgt von Angst, sich vielleicht angesteckt zu haben – war der Fraktionsvorsitzende der Linken im Saar-Landtag doch kurz zuvor beim Berlinale-Filmfestival, „in einem Saal mit fast 1000 Menschen“, bei der Premiere der Dokumentation „Wagenknecht“ über seine Ehefrau.

Corona war das Thema des jüngsten Saartalks „Alles anders – unser Leben im Corona-Jahr 2020“ am Donnerstagabend, der letzte in diesem Jahr. Welche Erfahrungen hat man in diesem Pandemie-Jahr gemacht? Wie wird das Leben mit dem Virus weitergehen? Und wie wird es sein, wenn wieder eine Art neuer Normalität einkehrt? Dazu befragten die Gastgeber auf dem Halberg, SR-Chefredakteurin Armgard Müller-Adams und SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst, neben Lafontaine die Neurowissenschaftlerin Susanne Schreiber, stellvertretende Vorsitzende des deutschen Ethikrates, David Maaß, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Saarland, und die Psychologin Tanja Michael von der Saar-Uni.

Die Psychologin berichtete über die Zunahme von Angstzuständen und depressiven Verstimmungen in der Corona-Zeit, die seltener Menschen mit gesichertem Lebensunterhalt träfen – öfter natürlich jene, die wegen Corona um ihre Arbeitsstelle fürchten müssen. Tanja Michaels Rat: konstruktiv über Lösungen nachdenken und „Katastrophendenken vermeiden“. Die Psyche sei schlecht vorbereitet auf komplexe, „multidimensionale Probleme“ wie Corona, da drohe eine Spirale der Angst, wobei die Leugnung der Pandemie für manche einfach eine Bewältigungsstrategie sei.

Das sah auch Lafontaine so: „Die Leute sind ja nicht nur blöd, das sind ja nicht nur Covidioten.“ Für viele sei die Leugnung eine Form der Bewältigung – zumal die Politik oft an ihrer Aufgabe scheitere, den Bürgerinnen und Bürgern die Ängste zu nehmen. „Und wenn die Angst sehr stark ist, dann hat der Populismus ein Einfallstor“, sagte er in Richtung der „Querdenker“, aber auch in Richtung von Polit-Kollegen, die auf Angst setzten – er spielte auf den Corona-Flugzeugabsturz-Vergleich von CSU-Chef Markus Söder an.

Dass die Gewaltbereitschaft bei Demonstrationen zunimmt, besorgt den Polizisten Maaß sehr. „Viele Leute nutzen diese Bewegung, um ihrem Frust über den Staat freien Lauf zu lassen“, sagte er. „Die Querdenker hießen einfach vor Corona anders – das war Pegida.“ Die Polizistinnen und Polizisten hätten bei solchen Einsätzen Angst, denn es gebe für sie eben keinen Mindestabstand, „wenn wir getreten, geschlagen oder angespuckt werden“.

Immerhin: Die Krise habe nicht nur Schlechtes mit sich gebracht, darüber war man sich in der Runde einig. Mit dem Fehlen der Normalität, sagte Maaß, habe er sie umso mehr schätzen gelernt, und es müsste jetzt wohl vielen klar geworden sein, „dass es sich in Deutschland ganz gut leben lässt“. Wissenschaftlerin Schreiber zeigte sich überrascht, „wie flexibel“ die Gesellschaft sein könne, mit Videokonferenzen und Home-Office, die viele Fahrten und Flüge unnötig machten und die Umwelt entlasteten. Auch die oftmals spürbare Solidarität zwischen den Menschen habe ihr Zuversicht gegeben. Sie hofft, dass man da einiges „in die neue alte Zeit“ mitnehmen könne.

Könnte uns die Krise also zu besseren Menschen machen, sozialer, konsumkritischer, umweltbewusster? Er habe immerhin eine „sehr vorsichtige Hoffnung“, sagte Lafontaine, auch wenn es eben „Idioten“ gebe wie den brasilianischen Präsidenten, der einen Urwald zerstöre, der wichtig sei für die ganze Welt. „Wir können manches nur zusammen als Gemeinschaft meistern. Hoffentlich verstehen das die Leute.“

Wie wird die Priorisiserung aussehen, wenn der Impfstoff kommt? „So viele ethische Varianten gibt es nicht“, sagte Schreiber vom deutschen Ethikrat. Da der Impfstoff nicht vor Ansteckung schütze, sondern vor schweren Krankheitsverläufen, sollten gesunde jungen Menschen ersteinmal nicht an der Reihe sein; sondern Risikogrupen, vor allem alte Menschen, dann die Menschen in den Kliniken, „die für uns sorgen“ und generell Menschen, die das „öffentliche Leben aufrecht erhalten“, in Behörden etwa.

Eine ethische Impf-Verpflichtung gibt es in den Augen von Oskar Lafontaine nicht, das solle man „nicht moralisch bewerten“, man wisse ja noch nichts von möglichen Langzeit-Auswirkungen. „Ich werde das aber machen“, sagte er, schließlich sei er 77 Jahre alt und gehöre zur Risikogruppe.

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