"Tante Mathilde, bete für mich""Die eigene Schwäche sehen, ist ein Zeichen von Stärke"

Theley. Kaum hatte Papst Benedikt XVI. an Rosenmontag seinen Rücktritt bekannt gegeben, wurde über mögliche Nachfolger spekuliert. Kandidaten mit guten Aussichten auf den Heiligen Stuhl in Rom waren schnell gefunden, unter ihnen auch Kardinal Odilo Pedro Scherer aus Brasilien. Für eine Reihe von Menschen im Landkreis St

 Nachdenklich: Kardinal Odilo Pedro Scherer könnte Papst werden. Fotos: dpa/Helmut reuter/Evy

Nachdenklich: Kardinal Odilo Pedro Scherer könnte Papst werden. Fotos: dpa/Helmut reuter/Evy

Theley. Kaum hatte Papst Benedikt XVI. an Rosenmontag seinen Rücktritt bekannt gegeben, wurde über mögliche Nachfolger spekuliert. Kandidaten mit guten Aussichten auf den Heiligen Stuhl in Rom waren schnell gefunden, unter ihnen auch Kardinal Odilo Pedro Scherer aus Brasilien. Für eine Reihe von Menschen im Landkreis St. Wendel und insbesondere in der Gemeinde Tholey sorgte die Nachricht, dass Odilo Scherer Papst werden könnte, für Aufregung. Denn die Wurzeln des 63-jährigen Erzbischofs von São Paulo liegen in Theley. So könnte auf den Papst aus Deutschland ein Papst mit saarländischen Wurzeln folgen."Der Odilo - Nein!" - mit diesem Ausruf reagierte die 83-jährige Mathilde Ludwig aus Theley auf die Nachricht, dass Kardinal Scherer bald Papst sein könnte. "Nicht, dass er das nicht schaffen würde", sagt sie mit besorgtem Ton in der Stimme, "Aber es würde ein unglaublicher Druck auf ihm lasten." Vor 30 Jahren hat sie Odilo Scherer kennen gelernt. Damals war er noch Priester und kam nach Theley, um seine Wurzeln kennen zu lernen.

"Casa do Brasil" - dieses Schild am Haus der Familie Ludwig heißt Gäste aus aller Welt willkommen. Ende der 1950er Jahre sind es zunächst Verwandte von einstigen Auswanderer, die Quartier in Theley beziehen. Im 19. Jahrhundert gab es mehrere Auswanderungswellen. Viele zog es ins südliche Brasilien. Auch Odilo Scherers Urgroßvater verließ um 1880 das Saarland in Richtung Südamerika.

"1983 war Odilo zum ersten Mal zu Besuch", erinnert sich Mathilde Ludwig. Er kam damals zusammen mit Jacinto Bergmann, dem Großneffen der 83-Jährigen, nach Theley. Es folgten weitere Besuche im Jahr 1984, 1987 und 2003. Jedes Mal hat sich der heutige Kardinal ins Gästebuch der Familie eingetragen. Die zunehmende Verbundenheit zwischen dem Deutsch-Brasilianer und den Ludwigs wird in den Einträgen deutlich. "Liebe Tante Mathilde", schreibt er in Deutsch. "Die Zeit vergeht, aber die liebe Aufnahme bei Dir zuhause wird immer tiefer." Auch nachdem Odilo Scherer 2001 zum Weihbischof in São Paulo ernannt wurde, blieb der Kontakt bestehen.

Scherer kennt den Vatikan

Mathildes Sohn Herbert Ludwig wurde 2007 eine besondere Ehre zu Teil. Er zählte zu den 15 Angehörigen, die Odilo Scherer nach Rom eingeladen hatte, als er von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal ernannte wurde. "Ich war beeindruckt von den Räumlichkeiten des Vatikans, die man sonst nicht sehen kann", so Herbert Ludwig. Dass Odilo Scherer kurze Zeit nach seiner Weihe zum Bischof zum Kardinal ernannt wurde, habe damals für Spekulationen gesorgt. "Unter der Hand hieß es, der Papst habe das so arrangiert. Odilo galt als sein Ziehsohn und möglicher Nachfolger." Da Odilo Scherer zuvor im Vatikan gearbeitet hatte, kannten sich die beiden. "Ich habe Odilo mal gefragt: ,Was machst du im Vatikan?'", erinnert sich Mathilde Ludwig. ",Ich arbeite und helfe dem Papst ein bisschen', war seine Antwort".

Herbert Ludwig beschreibt den Kardinal aus Brasilien als einen bescheidenen Menschen, der sicher nicht "besonders scharf" auf den Papst-Titel sei. "Er würde lieber in São Paulo bleiben und sich um die Menschen in seiner Gemeinde kümmern", so Herbert Ludwig. In Deutschland seien die Menschen in hohen Ämtern - ganz gleich ob weltlich oder kirchlich - weit weg vom Volk. "In Brasilien ist das anders. Da leben die Bischöfe mit den Menschen zusammen."

Als Papst wäre Odilo Scherer eine Mischung aus Karol Wojtyla und Joseph Ratzinger, sagt Herbert Ludwig. "Das würden sicher viele Gläubige gut finden. Aber die Lobbyisten nicht." Der 63-jährige Kardinal wisse aus eigener Erfahrung, wie es im Vatikan zugeht. "Ich weiß nicht, ob er sich dem Druck des Machtgefüges dort beugen würde. Er ist jemand, der etwas verändern möchte - aber von Innen heraus."

Mit sorgenvollen Augen verfolgt Mathilde Ludwig jede Nachricht über ihren Odilo. "In seinen Briefen schreibt er immer: Bete weiterhin für mich und meine Aufgabe in São Paulo." Das tut die 83-Jährige. "Ich bete zum Heiligen Geist, er soll die Sache richtig entscheiden." St. Wendel/Rom. Landtagspräsident Hans Ley (CDU) aus St. Wendel gehörte am 7. Februar zu der letzten deutschen Delegation, die Papst Benedikt XVI. im Vatikan zu einer Privataudienz empfing, wenige Tage vor der Ankündigung seines Rücktritts. An sich war diese Audienz schon ein bewegendes und historisches Ereignis. Das aber für Ley noch mehr an Bedeutung gewann, als sich herausstellte, dass der Papst und die Familie Ley einen gemeinsamen Bekannten hatten, den Leipziger Priester und Buchautor Josef Gülden.

Jeden Teilnehmer der saarländischen Delegation begrüßte der Papst persönlich, jeder durfte ein paar Worte mit ihm wechseln. Im Verlaufe des kurzen Gespräches habe er den Papst gefragt: "Heiliger Vater, kannten sie Josef Gülden?" So erinnert sich Hans Ley. Mit leuchtenden Augen habe der Papst geantwortet: "Natürlich, ich habe ihn gut gekannt. Und wir haben freundschaftlich beim zweiten Vatikanischen Konzil zusammengearbeitet." Benedikt XVI. habe des Weiteren gesagt, dass er ein Buch von Gülden gelesen hat. Der Titel: In den Tagen des Alters.

Wie aber kommt es, dass Leys Familie und Papst Benedikt einen gemeinsamen Bekannten haben, der bis zu seinem Tod 1993 weit weg von Rom und St. Wendel in Leipzig lebte? Ley erzählt: "Meine Mutter Rosemarie studierte nach dem Krieg in Leipzig Sprachen. Dort traf sie einen Studentenpfarrer, nämlich Josef Gülden. Mit diesem entwickelte sich im Laufe des Lebens eine enge Freundschaft." Leys Mutter heiratete Joseph Ley, gründete mit ihm eine Familie, zog nach Tholey. Insgesamt sieben Kinder hatte die Familie. Der Kontakt zu Josef Gülden in Leipzig riss nie ab. Auch nicht, als die Mauer gebaut wurde.

Die Leys schickten Gülden Päckchen und Briefe, darin auch in Silberpapier eingewickeltes Geld. In Silberpapier eingewickelt, damit der DDR-Zoll es nicht entdeckte. Gülden selbst war beim Zweiten Vatikanischen Konzil, das von 1962 bis 1965 in Rom stattfand, Berater des damaligen Bischofs von Meißen, Otto Spülbeck. Joseph Ratzinger wiederum war Berater des Kölner Kardinals Josef Frings. Während des Konzils lernten sich Gülden und Ratzinger kennen. Josef Gülden war Priester und Buchautor, unter anderem Lektor des St. Benno-Verlages in Leipzig, des einzigen katholischen Verlages in der DDR. Mit 65 Jahren durften DDR-Bürger freier reisen. Gülden nutzte dies auch, um in Tholey bei den Leys vorbeizuschauen. Sein Buch "In den Tagen des Alters" hat Gülden 1980 geschrieben. 1993 starb er in Leipzig.

Wie hat Hans Ley den scheidenden Papst erlebt: "Das ist ein hoch intelligenter und hoch intellektueller Mensch. Der sein Amt jederzeit im Vollbesitz seiner Kräfte wahrnehmen wollte." Er habe wohl erkannt, dass dies zunehmend nicht möglich war und seine Konsequenzen gezogen. Ley: "Die eigene Schwäche zu sehen, ist ein besonderes Zeichen von Stärke." Der Besuch und des Gespräch werden dem Katholiken Ley in Erinnerung bleiben: "Das war für mich eine einmalige Geschichte." vf

 Hans Ley

Hans Ley

Foto: Becker&Bredel

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