Scrabble-Saarland-Cup Im Bann der Buchstaben

Saarbrücken · Am 22. und 23. Juni findet in Saarbrücken erstmals eine Scrabble-Meisterschaft statt. Unsere Autorin trat zum Warm-Up gegen die Profis an.

 Der Kopf qualmt: SZ-Redakteurin Fatima Abbas scrabbelt gegen den Saarbrücker Alex Dings, einen der besten Spieler in ganz Deutschland.

Der Kopf qualmt: SZ-Redakteurin Fatima Abbas scrabbelt gegen den Saarbrücker Alex Dings, einen der besten Spieler in ganz Deutschland.

Foto: Rich Serra

Das buchstäbliche Brett vorm Kopf. Ich sehe nur noch As, Os, ein paar Ns und einige Es. Der Salat ist leider nicht essbar. Gefressen wird vielmehr meine Energie. Von Minute zu Minute. Dieser Kopf, er raucht bis zum Himmel. Meine schockierende Erkenntnis: Digital ist nichts gegen analog. Sonst spiele ich diesen Irrsinn heimlich auf dem Handy, meist mit Unbekannten aus dem World Wide Web. Freunde zu fragen wäre peinlich, im besten Fall irritierend. Aber jetzt sitze ich mittendrin, quasi in „freier Wildbahn“, wie man so schön redundant formuliert. („Redundant“ wäre übrigens auch ein gutes Scrabble-Wort, vielleicht könnte man damit reichlich Punkte absahnen, aber alles nur Wunschdenken, die entsprechenden Buchstaben habe ich gerade nicht parat.)

Diese vielen Steinchen mit den As bis zu den Zetts, mit den Miniatur-Zahlen rechts unten. 102 an der Zahl, in einem grünen Scrabble-Säckchen, jeder Spieler muss sieben ziehen und sie hinter einer kleinen Stellwand aus Plastik vor sich aufbauen. Wenn ein Spieler Buchstaben legt, muss er in der nächsten Runde wieder welche ziehen, bis erneut sieben in einer Reihe stehen. Und in der Mitte liegt dieses grüne Brett, das so aussieht wie bei Mensch-ärgere-dich-nicht. Und ich ärgere mich – vor allem darüber, dass ich mich nicht besser vorbereitet habe auf dieses Brettspiel, das eigentlich nicht konzipiert ist für ungeduldige Menschen wie mich.

Eine harte Probe, dieser sonnige Scrabble-Nachmittag im Innenhof des Saarbrücker Café Kostbar. Was die anderen Gäste über den munteren Spiele-Tisch in der Mitte denken müssen, darüber habe ich keine Zeit nachzudenken. Denn das Grübeln konzentriert sich auf Buchstabenreihen. Und auf meinen viel zu schlauen Kontrahenten mit den schwarzgerahmten Brillengläsern. Auf Alex Dings. Ja, sein Nachname ist wirklich Dings. Und er ist als gültiges Wort sogar im dicken Buch von Scrabble Deutschland e.V. gelistet, das ich zur Einstimmung in die Hand gedrückt bekomme. Alex könnte also jederzeit seinen Nachnamen aufs Brett legen. Alleine dafür bekäme er sechs Punkte. Was er niemals machen würde. Sechs Punkte sind unter seiner Würde.

Während ich brüte, schaut er zu. So wie er vielen anderen gerne beim Denken zuschaut. Nicht nur weil er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologieinstitut einen Hang zur Beobachtung hat. Er will auch schauen, wie die anderen spielen.

Wir duzen uns, Scrabble-Nerds unter sich. In der Tasche hat er dutzende Blätter mit schier endlosen Wortlisten. Auf alles vorbereitet, mit allen Wort-Wassern gewaschen, es sprudelt. Sein Übungspensum: fünf bis zehn Stunden pro Woche. Auf der Rangliste von Scrabble Deutschland belegt der 26-Jährige Platz zwölf von 247. Am kommenden Wochenende, wenn das erste Scrabble-Turnier im Saarland ansteht, will er die Nummer eins auf der Liste, Timon Boer­ner aus Luxemburg, vom Scrabble-Thron stoßen. Alex ist jetzt schon der bestplatzierte Saarländer auf der Deutschland-Liste. Neugierig schielt er zu den Tischnachbarn nach links. Zu Monika Weber und Stephan Neuses. Die sich auch gegenseitig beim Denken beobachten und heimlich hoffen, dass der andere keine Üs, Ös oder Äs platziert. Oder gar ein Y. Umlaute bringen viele Punkte, ein Y gleich zehn auf einmal. Wenn so ein Y auf einem Feld mit „Dreifacher Buchstabenwert“, also Verdreifachung der Punktezahl, landet, dann ist das unter Scrabblern wie Weihnachten und Ostern auf einmal.

Alex langweilt sich, denke ich. Denn ich brauche immer eine gefühlte Ewigkeit für den nächsten Zug. Das Gefühl, so eine Art Analphabetin zu sein, beschleicht mich sonst eher selten. Jetzt bin ich kurz davor. Zur Beruhigung trinke ich Kaffee. Meine Scrabble-Sucht-Phase ist ein paar Jährchen her, meine Gegner: meist keine Präzisionsmenschen wie Alex, keine Menschen, die mal so eben „Hetärien“ legen, als wäre es ein Wort wie „Klo“ oder „Lappen“. Für alle, die es nicht wissen: Der Duden definiert „Hetärien“ als „eine altgriechische politische Verbindung“. Und der Duden hat das letzte Wort. Er ist die Scrabbler-Bibel, jedes Wort im gedruckten Duden, Auflage 27, gilt. „Mein Lieblingsbuch“, schwärmt Monika. Weil sich die Saarlouiserin nicht damit abfinden wollte, dass nur „Saarlouiser“ im Duden steht, bat sie kurzerhand die Redaktion darum, die weibliche Form aufzunehmen. Deshalb steht seit 2009, Auflage 25, „Saarlouiserin“ im Duden. Aber das ist nicht der einzige Stein, den Monika ins Rollen gebracht hat.

Die 66-Jährige füllt seit fast 20 Jahren die Scrabble-Felder der Wochenzeitung „Die Zeit“, reicht die jeweiligen Lösungen ein. Irgendwann, nach zehn Jahren, kam der entscheidende Anruf, die Einladung zum ersten „Zeit“-Scrabble-Turnier. „Fortuna war Ihnen hold“, habe man ihr am Telefon gesagt.

Wenn Monika spricht, muss man schon fast einen Redeslot beantragen, um wieder zu Wort zu kommen. Es sei denn, sie scrabbelt. Aber selbst dann denkt sie laut darüber nach, wie ihr ein „Bingo“ gelingen kann, also gleich alle sieben Buchstaben zu legen, das gibt 50 Extrapunkte. Monika ist Kinderärztin im Ruhestand, sie nennt sich „Quartal-Scrabblerin“, findet, dass Scrabblen in den Schulunterricht oder zumindest in irgendeiner Form an die Schulen gehört. Sie will am liebsten alle Saarländer von der analogen Wortspielerei begeistern. „Ich habe auf die Deutschland-Karte der Meisterschaften geschaut und gesehen, dass da im Saarland noch ein weißer Fleck war.“ Und in der Tat: Hier gab es bisher weder einen Verein noch Turniere. Monika hat ersteres vergangenen Herbst gegründet. Mit zehn aktiven Mit-Scrabblern ist die Saar-Gemeinde noch überschaubar. Jeden letzten Samstag im Monat trifft sie sich im Nauwieser Viertel zum Üben. Für die große Turnier-Premiere kommende Woche, 22. und 23. Juni, hätten sich schon 18 Spieler angemeldet, darunter auch der Deutschlandmeister Timon Boerner. Welche Chancen sie sich selbst ausrechnet? „Ich liege in der Rangliste ungefähr so wie der FC Saarbrücken. Aber: Bis ich 80 bin, werde ich mich in die Top Ten hocharbeiten.“ Was ihr aber definitiv am Herzen liegt: „Der Cup darf nicht nach Luxemburg.“ Bisher stünden fünf Saarländer bereit, um das zu verhindern. Einer davon ist Stephan. Von ihm hört man an diesem Tag eher wenig. Der 48-Jährige ist „Newcomer“, wie er sagt, zum dritten Mal dabei, spielt aber seit 30 Jahren analog, übt eine Stunde pro Tag zu Hause am Computer, ist im „wahren Leben“ Krankenpfleger. Oder „Krankenschwester“, wie er sagt. Und überhaupt: Wenn er etwas sagt, sagt er Kurioses. Monika nennt ihn „unsere Geheimwaffe“. Der Newcomer, der gleich die erste Meisterschaft gewinnt? Das wäre eine kleine Scrabble-Sensation. Aber Stephan ist tiefenentspannt. Er tritt nicht an, um irgendjemandem irgendetwas zu beweisen. Er, der sich selbst neben „Krankenschwester“ auch „Quoten-Nichtakademiker“ nennt, liebt das Spiel, den Überraschungseffekt, das Unvorhersehbare. Auf die Frage, was Scrabble ihm gebe, sagt er: „Ich höge mich.“ Lacht dann laut und erklärt, dass er auch durch das Scrabblen das norddeutsche Verb „sich högen“ (für Nicht-Scrabbler: „sich freuen“) gelernt habe. Auch Alex sind „normale Kreuzworträtsel zu statisch“, sein Lieblingswort ist „Pomuchel“. Wenn er Hermann Hesse liest, högt er sich über Wörter wie „Unstern“.

Mit solch erlesenem Vokabular kann ich an diesem Nachmittag nicht dienen. Mein sprachkreativer Höhepunkt ist „Dildo“. Immerhin: 14 Punkte. Mein Kontrahent staunt und schmunzelt. Ich ärgere mich, weder das Ä noch das Ö gewinnbringend einsetzen zu können.

Am Ende kommt es, wie es kommen muss: 214 Peanuts-Punkte für mich gegen 521 Profipunkte für Alex. Er ist der Beste. Aber ich fühle mich trotz Niederlage bereichert. Vielleicht sollte ich wieder mehr scrabblen und dabei von digital auf analog umsteigen. „Scrabble-Queen“ Monika hat ja so Recht, wenn sie, um zu erklären, wie ein Leben ohne Scrabble wäre, den großen Loriot bemüht: „Wie ein Leben ohne Möpse. Möglich, aber sinnlos.“

 Seltsame und seltene Wörter: Zwischenstand auf dem Scrabble-Brett. 

Seltsame und seltene Wörter: Zwischenstand auf dem Scrabble-Brett. 

Foto: Rich Serra
 Ein eingespieltes Team: (v.l.) Stephan Neuses, Monika Weber und Alex Dings. Alle drei werden kommende Woche um den Saarland-Pokal kämpfen.

Ein eingespieltes Team: (v.l.) Stephan Neuses, Monika Weber und Alex Dings. Alle drei werden kommende Woche um den Saarland-Pokal kämpfen.

Foto: Rich Serra

Anmeldungen zum Saarland-Scrabble-Cup noch bis Dienstag, 18. Juni, unter Tel. 0171 4562745 oder per E-Mail an: scrabblesaar@t-online.

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