Beißattacke Was tun, wenn ein Hund angreift?

St. Wendel · Eine Expertin gibt Tipps, wie man sich bei einer Attacke verhalten sollte, um sich selbst und womöglich den eigenen Vierbeiner zu schützen.

Die 59-jährige Frau hat keine Chance. Als sie Mitte September mit ihrem Labrador in Reitscheid spazieren geht, greift plötzlich ein frei laufender Hund aus der Nachbarschaft an. Wie die Polizei berichtet, verbeißt er sich zunächst im Hals ihres Vierbeiners, der stark anfängt zu bluten. Anschließend attackiert der Hund, eine Old English Bulldogge, eine Bekannte und den Vater der 59-Jährigen. Beide wollen nur helfen. Doch das aggressive Tier zerreißt das T-Shirt der Frau und beißt in den Arm des Mannes.

Es ist wohl das Horrorszenario eines jeden Hundebesitzers. Vielen treibt allein der Gedanke daran den Schweiß auf die Stirn. Menschen, die tatsächlich in solch eine Situation geraten, verfallen meist in Panik. „Doch genau das ist der größte Fehler, den man machen kann“, sagt Hundetrainerin Richarda Theobald-Hoffmann. Sie hat sich ausführlich mit dem Thema Beißattacken beschäftigt und bereitet auch ihre Kunden auf diese Fälle vor. Denn wer sich bei einem Angriff an Regeln halte, könne oft Schlimmeres verhindern.

Kommt ein fremder Hund herangestürmt, sei es das Allerwichtigste, Ruhe zu bewahren. „Egal, wie schwer das in dem Moment fällt“, erklärt die Expertin. In einem Punkt kann sie schon mal beruhigen: Zu Beißattacken zwischen zwei frei laufenden Tieren komme es nur selten. Denn Hunde hätten ein sehr gutes Konfliktmanagement und würden Streitigkeiten meist unter sich klären – ohne anzugreifen. Anders sieht es aus, wenn einer der Vierbeiner angeleint ist. Er sei dadurch in seiner Kommunikation stark eingeschränkt, was zu Missverständnissen zwischen den Tieren führe.

Die Trainerin empfiehlt daher, in solch einer Situation die Leine auszuklinken oder fallen zu lassen. „Dadurch gebe ich meinem Hund mehr Bewegungsfreiheit. Mehr Raum, um mit seinem Artgenossen angemessen zu kommunizieren“, erläutert die Trainerin. Ein gut sozialisierter Hund wisse, wie er sich verhalten muss, um den Konflikt zu deeskalieren. Den eigenen Vierbeiner loszulassen, habe aber noch einen weiteren Sinn. „So nehme ich meinem Hund die Verpflichtung, auf mich aufzupassen zu müssen“, sagt Theobald-Hoffmann. Sie geht noch einen Schritt weiter, rät dem Halter, sich anschließend zügig zu entfernen. Das würden viele Menschen nicht übers Herz bringen. „Es ist aber das Beste, was sie tun können“, ist die Expertin überzeugt. Denn dann könne sich der Hund ausschließlich auf sein Konfliktmanagement konzentrieren. Hat sich die Lage entspannt, sollte der Besitzer seinen Liebling wieder zu sich rufen.

Aber was, wenn sich die Tiere trotz alledem ineinander verbeißen? Dann könne man nur noch Schadenbegrenzung betreiben, weiß die Trainerin. Wer alleine ist, müsse abwarten, bis die beiden Raufbolde fertig sind. „Danach sollte man sofort mit seinem Hund zum Tierarzt fahren, auch wenn er äußerlich keine Verletzungen zu haben scheint“, rät Theobald-Hoffmann. Tiere, die sich bereits gegenseitig am Hals hängen, zu trennen, sei nur eine Option, wenn beide Halter anwesend sind. Diese sollten sich kurz absprechen und möglichst gleichzeitig die Hinterbeine ihrer Vierbeiner greifen, um diese auseinander zu ziehen.

Die Expertin fordert dazu auf, solch einen Vorfall unbedingt zu melden. „Das passiert leider viel zu selten, ist aber extrem wichtig. Die Behörden können nur etwas unternehmen, wenn sie davon wissen“, sagt sie. Ein streunender Hund ohne Halter ist ihrer Meinung nach bereits Grund genug, bei Polizei oder Ordnungsamt anzurufen. Im Jahr 2017 wurden im Saarland insgesamt 72 Beiß- beziehungsweise sonstige Attacken (etwa Anspringen) von Hunden auf Menschen registriert. Elf davon im Landkreis St. Wendel. Das teilt das Innenministerium auf SZ-Anfrage mit.

Trainerin Theobald-Hoffmann ist überzeugt: „Oft ist ein Fehlverhalten des Menschen für einen Angriff verantwortlich.“ Er interpretiere die Hundesprache nicht richtig oder sende selbst die falschen Körpersignale aus. Ein Beispiel dafür: Immer wieder beugen sich Personen über einen Vierbeiner, um ihn zu streicheln. Dabei sehen sie dem Tier auch noch in die Augen. Gut gemeint, aber „in der Hundesprache ist das eine Drohung“. Die meisten Zwischenfälle ereignen sich laut der Expertin in diesen alltäglichen Situationen. Dass ein frei laufender Hund aus größerer Distanz auf einen Spaziergänger zuläuft und ihn aus heiterem Himmel anfällt, sei eine absolute Ausnahme. Aggressive Tiere sind oft krank, stammen aus schlechter Haltung oder haben negative Erfahrungen mit Menschen gemacht.

Wer solch einem Hund begegnet, müsse daher erst recht auf die richtige Körpersprache achten. Theobald-Hoffmann hat drei Tipps parat:

1) Jogger, Spaziergänger und Radfahrer sollten auf jeden Fall stehen bleiben. „Denn viele Hunde reagieren auf Bewegung“, erklärt sie.

2) Außerdem dürfe man den Vierbeiner nicht anschauen. Man sollte den Blick abwenden. „Wer das nicht schafft, kann versuchen, über den Hund hinwegzusehen und leicht nach unten zu schielen.“

3) Auch Schreien und wildes Gestikulieren seien absolut tabu. Am besten die Arme eng an den Körper lehnen.

Dass immer mehr Menschen Pfefferspray mitnehmen, um sich gegen frei laufende Vierbeiner zu verteidigen, beobachtet die Trainerin mit einem unguten Gefühl. Wer damit nicht richtig umgehen kann, könne sich und das Tier schwer verletzen. „Und wo kommen wir hin, wenn wir gegenseitig eine Aufrüstung betreiben?“, fragt sie. Die Expertin rät, stattdessen einen Schirm mitzuführen. „Auf die meisten Hunde hat es eine wahnsinnig einschüchternde Wirkung, wenn sich plötzlich vor ihrer Nase ein Knirps öffnet“, erklärt sie.

Vor allem aber appelliert Theobald-Hoffmann an die Hundebesitzer. Denn letztendlich sind sie dafür verantwortlich, dass es gar nicht erst zu solch brenzligen Situationen kommt. „Das hat einfach mit gegenseitigem Respekt zu tun“, sagt sie. Es gehöre sich nicht, seinen Hund überall frei laufen zu lassen. An bestimmten Orten muss ein Halter sein Tier immer anleinen, etwa auf öffentlichen Plätzen, Friedhöfen, Schulen und Kindergärten. Wer seinen Vierbeiner frei herumrennen lässt, sollte sich hundertprozentig sicher sein, dass er ihn jederzeit zurückrufen kann. „Und wenn mich jemand darum bittet, meinen Hund an die Leine zu nehmen, dann tue ich das auch“, sagt die Expertin und fügt hinzu: „Es gibt schließlich einen Grund dafür, warum mein Gegenüber keinen Hund bei sich hat.“

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Foto: SZ

Würde jeder Halter verantwortungsbewusst mit seinem Tier umgehen, würde es solche Vorfälle wie in Reitscheid nicht geben. Davon ist Theobald-Hoffmann überzeugt. Sie wünscht sich daher, dass ein Führerschein für Hundebesitzer Pflicht wird. Ein Kurs, in dem sie lernen, ihre Tiere besser lesen zu können und dadurch richtig mit diesen Lebewesen umzugehen. „Das ist das einzige, was wirklich helfen würde, Beißattacken zu reduzieren“, findet die Trainerin. Eine Maulkorbpflicht oder Listen mit angeblich gefährlichen Rassen hält sie hingegen für sinnlos und überflüssig.

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