Vermisstenfälle Spurlos verschwunden

St. Wendel · Immer wieder werden Menschen im St. Wendeler Land als vermisst gemeldet. Wir haben bei der Polizei nachgefragt, wie viele Fälle sie pro Jahr registriert und wie eine Suche abläuft.

 Mitglieder der Bereitschaftspolizei durchkämmen ein Gebiet in Bayern auf der Suche nach einem vermissten Mädchen.

Mitglieder der Bereitschaftspolizei durchkämmen ein Gebiet in Bayern auf der Suche nach einem vermissten Mädchen.

Foto: dpa/dpaweb/Marcus Führer

Alles deutete auf einen kurzen Ausflug hin. Schließlich hatte der 32-Jährige weder Geld noch Papiere mitgenommen, als er sich auf sein Motorrad schwang. An diesem Samstag im Mai 1998 wurde der Mann aus dem St. Wendeler Land zum letzten Mal lebend gesehen. Fast acht Monate lang bangten die Eltern um ihren Sohn, von dem zunächst jede Spur fehlte.

Es war einer der spektakulärsten Vermisstenfälle in der Region. Der auch für die Polizei ungewöhnlich verlief. Denn die Mehrzahl der vermissten Personen taucht rasch wieder auf. Zwar gebe es zur durchschnittlichen Vermisstendauer im Saarland keine Statistik. „Aufgrund hier durchgeführter Berechnungen kann jedoch konstatiert werden, dass sich im Jahr 2017 rund 94 Prozent aller Fälle innerhalb eines Monats erledigt hatten“, sagt ein Sprecher des Landespolizeipräsidiums (LPP) Saarbrücken.

Damit die Polizei einen Erwachsenen überhaupt als vermisst registriert, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Die Personen müssen ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthaltsort darf nicht bekannt sein. Zusätzlich muss die Annahme vorliegen, dass Gefahr für ihr Leib oder Leben besteht. Dieser letzte Faktor fällt bei Minderjährigen weg. Hier gehen die Ermittler von vornherein davon aus, dass sie in einer bedrohlichen Lage stecken.

Die Familie des Motorradfahrers wendete sich bereits einen Tag nach seinem Verschwinden an die Polizei. Denn der zuckerkranke Mann war nicht nur ohne Papiere losgefahren, sondern auch ohne Insulin. Die Suche begann. Freunde und Bekannte fragten in den Krankenhäusern der Umgebung nach. Freiwillige flogen mit einem Ultra-Leichtflugzeug die Hauptverkehrswege ab. Die Polizei veranlasste eine Öffentlichkeitsfahndung in den Medien. Und auch ein Hubschrauber kam zum Einsatz. Die Eltern des Vermissten kritisierten damals die Arbeit der Polizei. Sie warfen den Ermittlern unter anderem vor, erst richtig aktiv geworden zu sein, nachdem sie Druck gemacht hätten.

Doch wie läuft so eine Suchaktion überhaupt ab? Laut LPP erfolgt die Entscheidung darüber von Fall zu Fall – „unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten, der Bedeutung sowie des hohen Koordinierungs- und Kräfteaufwandes“. Die Suche mit einem Großaufgebot sei keine Standardmaßnahme. Sie komme in Betracht, wenn die Vermutung besteht, dass die vermisste Person verunglückt ist, Opfer einer Straftat geworden sein könnte oder Freitod-Absichten hat. „Hinzukommen sollten weiterhin Hinweise auf einen abgrenzbaren räumlichen Bereich, in dem der Vermisste möglicherweise aufgefunden wird“, erklärt der LPP-Sprecher. Um zu klären, warum ein Mensch verschollen ist und wo er sich aufhält, greift die Polizei auch noch zu anderen Maßnahmen. So schauen sich die Ermittler zum Beispiel private Gegenstände des Vermissten an wie Papiere, Computer und Tagebücher. Sie versuchen, das Mobiltelefon zu orten, überprüfen Bankkarten, kontrollieren bevorzugte Aufenthaltsorte und hören sich im sozialen Umfeld um.

Vermisste zu suchen und Vermisstenmeldungen aufzunehmen, gehört in Polizeiinspektionen zum alltäglichen Geschäft. Laut Bundeskriminalamt (BKA) gelten in der Bundesrepublik insgesamt 13 400 Menschen (Stichtag: 1. Februar) als vermisst. Darunter auch deutsche Staatsbürger, die im Ausland verschwunden sind. Täglich erfassen Ermittler bundesweit etwa 250 bis 300 Fahndungen. Genauso viele löschen sie jeden Tag auch wieder. Zahlen, welche die Situation in den einzelnen Landkreisen im Saarland widerspiegeln, gibt es laut Polizei nicht. Sie werden nur für das gesamte Bundesland erhoben.

Wie das LPP auf SZ-Anfrage mitteilt, wurden im vergangenen Jahr im Saarland 1925 Vermisstenfälle registriert. Davon sind derzeit (Stichtag: 7. September) 1900 Fälle erledigt und 25 offen. Insgesamt bearbeiten die Beamten noch 180 offene Vermisstenfälle, die sich auf den Zeitraum von 1972 bis heute verteilen. Die aus der polizeilichen Kriminalstatistik bekannten Begriffe Aufklärung/Aufklärungsquote wenden Experten im Bereich Vermisste übrigens nicht an. Es ist vielmehr von erledigten Fällen die Rede. Der Grund dafür: Erreichen verschwundene Minderjährige das Erwachsenenalter, so entfällt die Vermissteneigenschaft – sofern es keine neuen Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie in Gefahr sein könnten. „Der Fall gilt somit als erledigt, auch wenn keine tatsächliche Klarheit über den Aufenthaltsort vorliegt“, heißt es vonseiten des LPP.

Und es sind vor allem Jugendliche, die besonders gerne untertauchen. 73,6 Prozent der Vermisstenfälle, die im vergangenen Jahr im Saarland registriert wurden, gehen auf diese Altersgruppe zurück. 14,8 Prozent auf Kinder und 11,6 Prozent auf Erwachsene. Die Gründe, warum Menschen sich aus dem Staub machen, sind dabei ganz verschieden. Zu den 1925 Fällen hat die Polizei insgesamt 1936 Motive erfasst. Angst vor einer Strafe, Kindesentziehung, Drogensucht, Hilflosigkeit, Freitod-Absicht und Streit mit der Familie oder den Arbeitskollegen sind einige davon. Der Polizei-Sprecher weist darauf hin, dass eine Demenzerkrankung nur in sieben Fällen Grund für das Verschwinden war und lediglich ein Vermisstenfall auf eine Straftat zurückzuführen ist. In 223 Fällen (zwölf Prozent) hatten es die Ermittler mit unbegleiteten Flüchtlingen zu tun. 334 Mal (17 Prozent) war Abenteuerlust der Grund für das Verschwinden. Und in 857 Fällen (44 Prozent) seien laut LPP Personen ohne festen Wohnsitz als vermisst registriert worden.

Die Polizei unterscheidet übrigens zwischen Vermisstenfällen und vermissten Personen. Denn eine größere Anzahl – vor allem Jugendlicher – verschwindet mehrfach. Laut LPP standen den 1925 Vermisstenfällen des vergangenen Jahres lediglich 859 unterschiedliche Personen gegenüber. Falls ein Mensch nicht mehr auftaucht, bleibt die Fahndung laut BKA bis zu 30 Jahren bestehen.

 Die Hundenase ist mindestens 40 Mal so effektiv wie die eines Menschen. Bei der Suche nach verschollenen Personen sind speziell ausgebildete Vierbeiner daher oft eine große Hilfe.

Die Hundenase ist mindestens 40 Mal so effektiv wie die eines Menschen. Bei der Suche nach verschollenen Personen sind speziell ausgebildete Vierbeiner daher oft eine große Hilfe.

Foto: dpa/Bodo Marks
 Bei der Vermissten-Suche setzt die Polizei auch Hubschrauber ein. Dieses Foto ist bei einem Einsatz in Nordrhein-Westfalen entstanden.

Bei der Vermissten-Suche setzt die Polizei auch Hubschrauber ein. Dieses Foto ist bei einem Einsatz in Nordrhein-Westfalen entstanden.

Foto: dpa/Wolfram Kastl

Die Suche nach dem verschollenen Motorradfahrer endete Anfang Januar 1999. Fast acht Monate nach seinem Verschwinden bestätigten sich die schlimmsten Befürchtungen der Eltern. Ihr Sohn wurde tot neben der Bundesstraße 41 gefunden. Nur wenige Fahrminuten von seiner Wohnung entfernt.

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