Selbsthilfegruppen im Landkreis St. Wendel Mit Cannabis zurück in ein schmerzfreies Leben

St. Wendel · Hanf, lateinisch Cannabis, führt als Heilmittel in der Schmerztherapie ein ambivalentes Dasein. Eine Selbsthilfegruppe gibt Tipps zum Umgang.

 Andreas Brill aus St. Wendel gründete im Juli aus eigener Betroffenheit eine Cannabis-Selbsthilfegruppe.

Andreas Brill aus St. Wendel gründete im Juli aus eigener Betroffenheit eine Cannabis-Selbsthilfegruppe.

Foto: Marion Schmidt

Eine der ältesten Heilpflanzen führt hierzulande ein ambivalentes Dasein – als Teufelskraut und Wunderblüte. Fällt das Wort Cannabis, denken viele zuallererst an ein Rauschmittel, das verbunden mit erheblichen Nebenwirkungen abhängig machen kann. Cannabis, das ist der lateinische Begriff für die Hanfpflanze. Hanf blickt als Nutz- und Heilpflanze auf eine Jahrtausend alte Tradition zurück. Er war von unseren Vorfahren bereits 4000 vor Christus als Wunderpflanze bekannt und wurde bei der Herstellung von Lebensmitteln, Textilien sowie in der Heilkunde verwendet.

Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (kurz: ACM) versucht, die Heilpflanze aus ihrem Schattendasein neben den Vorurteilen zu befreien und stellt den medizinischen Nutzen in den Mittelpunkt. Andreas Brill aus St. Wendel hat im Juli aus eigener Betroffenheit die Selbsthilfegruppe „Cannabis Patientenhilfe St. Wendel“ gegründet. Bei den Treffen soll der Austausch von Erfahrungswerten zwischen Patienten im Mittelpunkt stehen. Als Selbstbetroffener kann der Fachinformatiker die Runde ergänzen durch eine sachliche Aufklärung rund um das Thema Cannabis als Medizin und die Möglichkeiten einer Therapie.

Für den heute 39-Jährigen war vor 13 Jahren nach einem schweren Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich der Griff zu Cannabis die letzte Chance, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Die Schmerzen waren so groß, dass ich an Aktivitäten mit Familie und Freunden kaum noch teilnehmen konnte. Auch die körperliche Beziehung zu meiner Frau litt darunter. Herkömmliche Medikamente halfen nicht mehr weiter. Irgendwann habe ich dann entschieden, dass es mein Leben ist und ich darüber entscheide“, erinnert sich Andreas Brill an die qualvolle Zeit. Zuhause baute er selbst illegalerweise Cannabis-Pflanzen an und startete einen Selbstversuch: „Nachdem ich eine Zeit lang Cannabis eingenommen hatte, ließen die Schmerzen nach. Ich konnte wieder schlafen und am sozialen Leben teilnehmen. Nebenbei bemerkte ich, dass sich die Pflanze auch positiv auf mein ADHS auswirkt.“

Eine anonyme Anzeige deckte seinen Cannabis-Anbau auf. Mit der rechtskräftigen Verurteilung verlor er auch den Führerschein und war seit Anfang Mai bis kürzlich als Fußgänger unterwegs. Seit Januar nimmt Andreas Brill Cannabis nun unter ärztlicher Obhut ein: „Es ist schwer, einen Arzt zu finden, der Cannabis verschreibt. Die Ärzte sind da sehr zurückhaltend. Dass Cannabis ein gutes Substitut zu klassischen Schmerzmitteln ist, wird allenfalls in der Ausbildung von Suchtärzten gelehrt.“ Dabei könne die Einnahme von Cannabis chronische Beschwerden wie Einschlafstörungen, monatliche Regelschmerzen oder rheumatische Schmerzen lindern. Wenn der behandelnde Arzt in schwerwiegenden Fällen entscheidet, dass Cannabis das einzige Mittel sei, das wirklich helfe, wird Cannabis auch von den Krankenkassen gefördert. Die Bundesregierung beschloss 2016 durch eine Änderung im Betäubungsmittelgesetzt, Cannabis als Medizin leichter zugänglich zu machen. Die Gesetzesänderung trat im März 2017 in Kraft. Mit dieser Änderung sollte der medizinische Nutzen von Cannabinoiden der Bevölkerung zugänglich gemacht werden und somit dem privaten Anbau ein Riegel vorgeschoben werden. Cannabis und darauf basierende Arzneimittel wurden somit für eine Vielzahl von Erkrankungen verschreibungsfähig.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Cannabis einzunehmen. „Die Blüten können beim Verdampfen inhaliert werden, in Form von Gebäck oder Tabletten aufgenommen werden. Alternativ gibt es zur Einnahme wirkstoffhaltige und alkoholische Lösungen in Form von Tropfen“, erklärt Brill und weiter: „Die Unsicherheit rund um das Thema ist groß. Bei unseren Treffen fokussieren wir uns ausschließlich auf den medizinischen Nutzen von Cannabis. Da tauchen Fragen auf zu Themen wie Verkehrstauglichkeit und Führerschein oder auch die Frage nach einer Abhängigkeit von den Cannabis-Mitteln. Als Experte in eigener Sache will ich in der Selbsthilfegruppe die Teilnehmer von meinen Erfahrungen profitieren lassen.“

Brill selbst arbeitet eng mit der ACM zusammen. Jeden zweiten Dienstag im Monat trifft er sich mit seiner neu gegründeten Selbsthilfegruppe von 18.30 bis 20.30 Uhr im Landratsamt St. Wendel. Das erste Treffen fand mit sieben Teilnehmern statt. Interessierte können ohne vorherige Anmeldung das kostenfreie Angebot besuchen. Ein ganz wichtiger Aspekt der Gruppe ist der Verschwiegenheitsaspekt: „Nichts, was während unseres Treffen gesagt wird, verlässt den Raum, dazu verpflichtet sich jeder Teilnehmer.“

  Hanf (Cannabis) kann nach einer Gesetztesänderung als Heilmittel in der Schmerztherapie Anwendung finden – allerdings mittels ärztlicher Verschreibung.

Hanf (Cannabis) kann nach einer Gesetztesänderung als Heilmittel in der Schmerztherapie Anwendung finden – allerdings mittels ärztlicher Verschreibung.

Foto: picture alliance / dpa/Oliver Berg

Weitere Informationen gibt es auf www.selbsthilfe-saar.de. Ansprechpartner der Cannabis Patientenhilfe St. Wendel ist Andreas Brill, andreas.brill@acm-patientenhilfe.de. Infos auch auf www.arbeitsgemeinschaft-cannabis.de.
Aktionstag: Diesen Samstag, 8. September, gibt’s von 10 bis 14 Uhr einen Selbsthilfe-Tag auf dem Schlossplatz in St. Wendel.

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