Schwangerschaft Wo sollen Frauen künftig entbinden?

St. Wendel · Nach Schiedsspruch befürchten Ärzte und Hebammen Versorgungs-Probleme im Saarland.

 Hebamme Selina Buchner untersucht eine schwangere Frau. Kaum eine Hebamme weiß derzeit, wie es weitergehen soll.

Hebamme Selina Buchner untersucht eine schwangere Frau. Kaum eine Hebamme weiß derzeit, wie es weitergehen soll.

Foto: bonenberger/Bonenberger/

Kampfbereit zeigen sich die Verantwortlichen im Marienkrankenhaus St. Wendel nach dem Schiedsspruch für Hebammen und Krankenkassen (siehe Info). Denn dieser Schiedsspruch bedeute massive Einschnitte. Nicht nur für die Hebammen, sondern vor allem für die Schwangeren. Da sind sich Thomas Gärtner (kaufmännischer Direktor Marienkrankenhaus), Dr. Eberhard Müller (Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe), Birgit Lenhardt (Neugeborenen-Abteilung), Ruth Schwan (Gynäkologie/Geburtshilfe) sowie die beiden freiberufichen Hebammen Marion Leidinger und Nadine Andes einig.

„Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, dass dieser Schiedsspruch geändert wird“, so Gärtner.  Über verantwortliche Gremien, über Fachverbände und über die Öffentlichkeit werde in den nächsten Wochen Druck gemacht. Die Bevölkerung müsse gerade bei so einem emotionalen Thema sensibilisiert werden. Das sei laut Müller „alternativlos“.  Ansonsten sieht er nicht nur die Geburtshilfe in Gefahr, sondern früher oder später die gesamte Abteilung, inklusive dem Aushängeschild Brustzentrum.  Denn die Sache ist ganz einfach: Wenn jede freiberufliche Hebamme nur noch zwei Frauen gleichzeitig betreuen darf, wird es zwangsläufig weniger Geburten im St. Wendeler Krankenhaus geben. Liegt etwa eine Frau 20 Stunden in den Wehen, darf in diese Zeit nur noch eine weitere Frau beraten oder ein Telefonanruf entgegen genommen werden.

Gärtner rechnet damit, dass sich in Neunkirchen — für den Kohlhof ist er ebenfalls zuständig —  die Geburtenzahl halbiert. Für St. Wendel sei es nicht ganz so dramatisch. Aber mit deutlich weniger Geburten sei auch hier zu rechnen. Da ergibt sich ein zusätzliches Problem. Gärtner: „Bei weniger als 300 Geburten im Jahr würde die Geburtshilfliche Abteilung geschlossen.“ Das zöge weitere Konsequenzen nach sich, wie Müller ankündigt: „Dann dauert es noch eine Weile und die ganze Abteilung ist weg.“ Dadurch könnten viele Frauen nicht mehr versorgt werden, längst nicht nur Schwangere. Und jede Menge Ärzte säßen auf der Straße.

Aber derzeit geht es  in erster Linie um die werdenden Mütter. Die Gesprächsteilnehmer befürchten allesamt eine große Versorgungslücke in der gesamten Region. Denn die meisten Krankenhäuser im Umfeld seien betroffen. Gärtner spricht von einer „signifikanten Versorgungslücke“ im schlimmsten Fall.  Der Kohlhof platze schon jetzt aus allen Nähten, im benachbarten Birkenfeld gebe es eine ähnliche Situation. Auch die Kliniken in Trier oder Homburg seien am Limit – und das schon ohne diesen Schiedsspruch.

„Aber wo sollen die Frauen entbinden?“, fragt Schwan. „Wenn eine Frau mit Wehen vor der Tür steht, werde ich den Teufel tun und sie abweisen – aber auf Dauer ist dieser Zustand nicht tragbar“, sagt Andes. Steigende Geburtenzahlen seien in der Gesellschaft zwar erwünscht, aber genau das sei jetzt ein Problem. Dazu Müller: „Die Rahmenbedingungen sind ein gesellschaftspolitisches Drama.“

Für ungerecht halten die Freiberuflerinnen die Tatsache, dass fest angestellte Hebammen so viele Frauen nebeneinander betreuen dürfen wie sie wollen. Da gibt es keine Einschränkungen. Ist also eine Festanstellung die Lösung? Gärtner winkt ab:  „Wir haben allen Hebammen angeboten, sie fest anzustellen.“ Insgesamt arbeiten in St. Wendel 14 Hebammen, davon neun im Kreißsaal.  Es gebe mehrere Gründe, die dagegen sprechen, erklären die Hebammen. Zum einen sei die familiäre Situation. Viele Hebammen haben sich ihr Leben so eingerichtet, dass sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen können. Außerdem: „Wir müssten viel mehr arbeiten für weniger Geld“, sagt Leidinger.  Sie und ihre Kollegin arbeiten in einer Hebammen-Gemeinschaft in St. Wendel; sie teilen die Dienste untereinander auf, was gut funktioniere. Hinzu komme, dass festangestellte Hebammen nicht auch für die Vor- und Nachsorge der werdenden Mutter zuständig sein können. Aber gerade das werde von den Frauen gewünscht.

Statt eine Festanstellung anzustreben, überlegten viele Hebammen, den Beruf zu wechseln. Leidinger: „Einige junge Kolleginnen gehen, machen was Neues.“ Aber schon jetzt gebe es zu wenige Hebammen. Daher sei die Möglichkeit, mehr Arbeitskräfte einzustellen, auch keine Option, sagt Gärtner. Sie stehen dem Arbeitsmarkt einfach nicht zur Verfügung. Für die Hebammen ist eine andere Lösung denkbar. Die „2:1“-Betreuung sollte ihrer Meinung nach nur für Entbindungen gelten. Andere Beratungen sollten herausgenommen werden. Mit diesem Kompromiss könne man arbeiten.

Ansonsten sieht Müller „amerikanische Verhältnisse“ auf uns zukommen? Nämlich, dass ganze Landstriche ohne Versorgung sind. Gärtner ergänzt: „Ich habe die Sorge, dass werdende Mütter in der Region mangelhaft versorgt sind.“

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