Vom Traum eines geeinten Europas

Oberlinxweiler · Als der Kontinent während des Ersten Weltkriegs am Abgrund stand, formulierten sechs deutsche Soldaten ihre Vorstellung eines geeinten Europas. Der Politologe Ingo Espenschied brachte mit seiner Live-Dokumentation die Friedensbotschaft von Fiquelmont in die Oberlinxweiler Kulturscheune.

 Ingo Espenschied zeigte im Rahmen seiner Live-Dokumentation auch eine zeitgenössische Karikatur vom europäischen Kontinent vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Foto: Daniel Ames

Ingo Espenschied zeigte im Rahmen seiner Live-Dokumentation auch eine zeitgenössische Karikatur vom europäischen Kontinent vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Foto: Daniel Ames

Foto: Daniel Ames

Im Jahr 1981 fand Ferand Boulanger auf dem Dachboden seines Bauernhofes eine lang versteckte Botschaft. In einem alten Schnapsfläschchen eingerollt, wartete eine bemerkenswerte Friedensbotschaft auf ihre Entdeckung. "Utopie und mögliches Eden ist ein vereintes Europa " stand darin geschrieben, unterzeichnet von sechs Soldaten des zweiten deutschen Husarenregiments der Reserve.

Die Soldaten waren dereinst im lothringischen Fiquelmont untergebracht, vierzig Kilometer von Verdun entfernt, wo eine der erbittertsten Schlachten des Ersten Weltkriegs stattfand. "Europa hatte alles. Es war auf dem Höhepunkt seiner Macht", sagte der Politologe Ingo Espenschied in der Oberlinxweiler Kulturscheune. Doch die Großmachtgedanken der Staaten, die sich "wie Duellanten gegenüberstanden" forderten ihren Tribut: Zwischen 1914 und 1919 starben fast zehn Millionen Soldaten und sieben Millionen Zivilisten.

In der zusammen mit Richard Stock, Direktor des Centre européen Robert Schuman , entwickelten Live-Dokumentation "Europa und der Erste Weltkrieg. Die Friedensbotschaft von Friquelmont", zeichnete der Mainzer Espenschied die Geschehnisse nach, die zur Urkatastrophe des europäischen Kontinents führte.

Ausgehend von der rasanten Entwicklung Europas durch die Industrialisierung und der daraus resultierenden Vormachtstellung in der Welt, rief er die Geschehnisse mit eindringlichen Fotografien, Karten und Dokumenten auf einer 30 Quadratmeter großen Leinwand den 40 Besuchern ins Gedächtnis.

Am Ende des Krieges stand ein zerrüttetes Europa . Doch die sechs deutschen Soldaten zeigten, dass der Traum eines gemeinsamen und friedlichen Zusammenlebens immer schon da war. Bevor die Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg der Nationalsozialisten den Zweiten Weltkrieg heraufbeschworen, sorgten die Außenminister von Frankreich und Deutschland - Aristide Briand und Gustav Stresemann - für eine Annäherung der Völker. Ein dauerhafter Friede schien möglich, doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete Briands Vorstoß zur europäischen Einigung nachhaltige Wirkung.

Espenschied: "Nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa alleine nicht mehr lebensfähig." In dieser Zeit formierte sich wieder der Wille, Europa zu einigen: Mit der von Robert Schumann vorangebrachten Römischen Verträge von 1957 formierte sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Ihr gehörten neben Deutschland und Frankreich auch Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg an. Aus der EWG entwickelte sich schließlich die Europäische Union; aus sechs Mitgliedern sind mittlerweile 28 geworden.

"Obwohl das Projekt Europa wieder am Wackeln ist, sorgt die Einigung seit Jahrzehnten für Frieden", sagte Espenschied. Er betonte die Bedeutung des Saarlandes und seiner Bewohner im Herzen Europas beim Einigungsprozess; denn ohne Lösung der Saarfrage wäre diese nicht möglich gewesen. Auch der Nachhall der Vision aus der Flaschenpost vor fast Hundert Jahren lebt weiter: 2014 las der französische Präsident François Hollande die Erklärung der deutschen Soldaten bei der Gedenkfeier zum Beginn des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren.

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