Seniorin aus St. Wendel kämpft „Gleiches Recht für alle“

St. Wendel · SZ-Leser-Reporterin aus St. Wendel ärgert sich, dass Brücke über den Todbach nicht barrierefrei ist.

 Hella Riotte vor den Stufen der Brücke über den Todbach. Mit ihrem Rollator kommt sie nicht darüber. Unterstützt wird sie in ihrem Kampf von Dieter Witzak.

Hella Riotte vor den Stufen der Brücke über den Todbach. Mit ihrem Rollator kommt sie nicht darüber. Unterstützt wird sie in ihrem Kampf von Dieter Witzak.

Foto: Thorsten Grim

„Ganz ehrlich, wenn ich dort vorbei gehen würde und nicht wüsste, worum es ging, und mir Frau Riotte ihre Sicht schildern würde, ich würde vermutlich auch unterschreiben“, macht Volker Schmidt, Sprecher der Stadt St. Wendel, aus seinem Herzen keine Mördergrube. Denn Hella Riotte, die sich als Leser-Reporterin an die Saarbrücker Zeitung gewandt hat, ist nicht nur bekannt in der nordsaarländischen Kreisstadt. Sie wird auch geschätzt. Das ist allein schon daran zu erkennen, dass neben Schmidt auch Bürgermeister Peter Klär (CDU) und Daniel Fuchs, Fachbereichsleiter Tiefbau der Kreisstadt, sich Zeit genommen haben, um dem Autoren dieser Zeilen die Sicht aus dem Rathaus zu vermitteln.

Derweil sammelt die frühere Wirtin des Goldenen Esels in der Nähe des St. Wendeler Kinos fleißig Unterschriften – ihr geht es um die nahe Brücke über den Todbach, die den alten Wog sozusagen mit der Jahnstraße verbindet. Die Brücke ist vor wenigen Monaten erneuert worden. Allerdings nicht behindertengerecht. Und nun fühlt sich die frühere Gastronomin, die auf einen Rollator als Gehilfe angewiesen ist, benachteiligt. „Behinderte können nicht über die Brücke, sondern sollen außen herum gehen. Das finde ich diskriminierend“, empört sich die Seniorin.

Schon mehrfach habe sie die Stadtverwaltung auf das Problem aufmerksam gemacht, doch geholfen hat ihr niemand. Auch Bürgermeister Klär nicht. „Der Bürgermeister hat mir zwar Recht gegeben, aber der Mann vom Bauhof nicht.“ Deshalb sei nichts geschehen.

Mit dem Mann vom Bauhof ist Daniel Fuchs gemeint. Der hat Riotte in der Tat eine Absage erteilt – oder erteilen müssen. Denn an dieser Stelle sei es schlicht und ergreifend unmöglich, eine Rampe zu installieren, die es Behinderten ermöglichen würde, die Bachüberquerung so zu nutzen wie Nichtbehinderte.

„Frau Riotte war mehrfach hier“, erklärt Fuchs gegenüber der Saarbrücker Zeitung. „Ich habe auch versucht, ihre Wünsche umzusetzen, aber es geht einfach nicht.“ Bürgermeister Klär erläutert beim Gespräch im Rathaus zunächst kurz die Historie der Brücke. Die wurde vor rund 30 Jahren vom Technischen Hilfswerk errichtet. Der Belag war zunächst aus Holz. An dem nagte der Zahn der Zeit: „Irgendwann war das Holz marode“, berichtet Klär. Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres musste die Brücke gesperrt werden. „Die Frage war nun: Beseitigen oder erneuern?“ Die Entscheidung fiel letztlich pro Erneuerung – auf den alten Trägern. Hätte man diese im Zuge der Sanierung tiefer legen können, hätte es mit einer behindertengerechten Brücke wohl geklappt. Doch der Übergang überspannt ein Hochwassergebiet. Daher darf der an dieser Stelle für den Todbach vorhandene Raum nicht verkleinert werden. Diese Option kam also nicht infrage.

Rampen für Behinderte im öffentlichen Bereich dürfen nach DIN 18040-1/2 maximal sechs Grad Steigung haben. Da die Straße Alter Wog abschüssig ist, müsste daher alleine die Rampe eine Länge von rund 18,30 Metern haben. Bei der Länge sind Zwischenpodeste vorgeschrieben. Drei Stück à 1,50 Meter. Letztlich wäre die Rampe fast 23 Meter lang geworden und hätte bis vor das Kino gereicht.

Ein weiteres Problem: Die Rampe hätte mindestens 1,50 Meter breit sein müssen. Doch auf dieser Seite der Straße gibt es gar keinen Bürgersteig, an den die Rampe hätte anschließen können, sondern nur ein sogenanntes Schrammbord. „Das dient nur der Verkehrsführung. Eigentlich hat dort kein Fußgänger zu gehen“, sagt Klär. Aber selbst wenn man das ändern wollen würde: 40 Zentimeter ist das Schrammbord breit. Um auf 1,50 zu kommen, hätte man mindestens 1,10 Meter von der Straßenbreite abknapsen müssen. „Eher mehr, denn man braucht ja noch einen gewissen Sicherheitsraum von der Fahrbahn weg“, erklärt Fuchs.

Raus aus dem Rathaus und zurück zur Brücke. Dort steht Hella Riotte mit Uschi Keller und Dieter Witzak. Beide unterstützen die frühere Wirtin in ihrem Kampf gegen die Windmühlen. Beide sind der Ansicht, dass etwas machbar gewesen wäre – wenn gewollt. Die Argumente aus der Verwaltung laufen bei ihnen jedenfalls ins Leere. Witzak sagt: „Ein Architekt war hier vor Ort und hat sich das Ganze angesehen. Und der sagte, eine Rampe sei machbar.“ Keller wirft ein: „Man könnte ja auch so eine Art Hilfsrampe bauen, damit man wenigstens einen Rollator oder Kinderwagen hochschieben kann. Dann wäre die Brücke zwar noch immer nicht für Rollstuhlfahrer geeignet, aber immerhin.“ Dazu sagt Fuchs: „An dieser Lösung haben wir tatsächlich überlegt. Aber letztlich ist die Treppe dafür zu schmal. Zumal Kinderwagen andere Reifenabstände haben als Rollatoren. Und wenn wir für jeden Behelfsrampen einbauen, ist kein Platz mehr für Treppenstufen.“ Das gehe also auch nicht.

Witzak sieht das alles nicht ein. „Dann hätte man die Rampe eben steiler bauen sollen. Zwischen dem St. Wendeler Rathaus und dem Wäschegeschäft Hallauer gibt es auch eine Rampe für Behinderte, die hat sicher auch über sechs Prozent Gefälle. Da kann man im Winter Schlitten runter fahren.“ Das mit dem Gefälle stimme, räumt Fuchs ein. Allerdings sei diese Rampe gar nicht für Behinderte gedacht. Der barrierefreie Eingang ins Rathaus von dieser Seite aus führt vom Parkplatz unterhalb des Gebäudes in die Verwaltung – nicht von der Schloßstraße aus. Und überhaupt: „Wenn wir hingehen und eine Rampe an die Brücke bauen würden, wie es gerade passt, wären wir auch verantwortlich, wenn etwas passiert und könnten haftbar gemacht werden“, sagt Klär und macht deutlich, dass das nicht passieren werde. Natürlich wolle man St. Wendel von Seiten der Stadt so barrierefrei wie möglich machen. „Aber es geht auch um Verhältnismäßigkeit.“

Verhältnismäßig einfach sind zwei weitere Kritikpunkte zu beseitigen. Erstens soll der zu hoch angebrachte Handlauf des Brückengeländers abgesenkt werden. „Da habe ich schon mit unserem Schlosser gesprochen“, sagt Fuchs. Zweitens soll auf der anderen Seite der Brücke ein anderer Bodenbelag aufgebracht werden. Aktuell liegt hier recht grober Schotter, der Rollatoren oder sonstige Wägelchen einsacken lässt.

Die Aussicht macht Hella Riotte nicht glücklich. Wenn keine Rampe gebaut werden könne, dann müsste die Stadt die Brücke eben komplett sperren oder abreißen. „Dann sollen alle wie ich auch außen rum gehen müssen. Gleiches Recht für alle!“ Diese Forderung weist Bürgermeister Klär zurück: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im Interesse unserer Bürger wäre.“

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