Olympia-Siegerin in Plauderlaune

St Wendel · Natalie Geisenberger im Gespräch mit St. Wendeler Nachwuchssportlern

Die europäische Fahne weht im Wind. Takte der deutschen, indischen und kanadischen Hymne schallen über den Schlossplatz. Es ist der Vorabend des Powerman, der Europameisterschaft im Duathlon. Einige der Sportler sind gekommen, um beim Einmarsch der Nationen ihr jeweiliges Land zu repräsentieren.

Wie sich das anfühlt, das weiß eine, die an diesem Abend unter den Zuschauern steht, ganz genau: Natalie Geisenberger. Die erfolgreiche Rennrodlerin hat bereits mehrfach Gold geholt. Lächelnd verfolgt sie das Geschehen, lässt sich mit Passanten fotografieren. Entspannt wirkt sie. Und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon ein ordentliches Programm absolviert hat.

Dass die 29-Jährige nach St. Wendel gekommen ist, hängt nicht nur mit ihrer Karriere als Sportlerin, sondern auch mit ihrem gelernten Beruf zusammen: Sie ist Polizeiobermeisterin, wurde 2006 bei der Bundespolizeisportschule in Bad Endorf eingestellt. Ihre Kollegen waren es, die sie nach St. Wendel lockten, allen voran Dieter Schwan, Sprecher der Bundespolizei Bexbach. Es sollte ein Dankeschön an die Kreisstadt sein. "Wir arbeiten in einer Ordnungspartnerschaft zusammen, um gemeinsam für Sicherheit zu sorgen. Diese Zusammenarbeit läuft sehr gut", lobt Peter Fuchs, Chef der Bundespolizeiinspektion Bexbach. Dass das Geschenk ankommt, zeigt das Lächeln auf den Lippen des St. Wendeler Bürgermeisters Peter Klär: "Sie ist die erste Doppel-Olympiasiegerin auf St. Wendeler Boden. Das passt zur Sportstadt."

Mit einem Wagen der Bundespolizei, eskortiert von einer Beamtin auf dem Motorrad, fährt Natalie Geisenberger auf dem Schlossplatz vor. Programmpunkt zwei des Tages steht an: eine Gesprächsrunde mit Nachwuchssportlern. Dazu geht es ins Luise-Zimmer im alten Rathaus. Ein Dutzend Jugendlicher vom Cusanus-Gymnasium, dem TV Bliesen und dem TV St. Wendel nehmen im Rund Platz, sind der Sportlerin ganz nah. Nach anfänglicher Scheu entsteht ein angeregtes Gespräch, in dem es um Beruf, Leistung und Trainingsfleiß geht.

Zum Rodelsport ist Geisenberger, wie sie sagt, auf eher untypische Art und Weise gekommen. Denn sie wohnte als Kind nicht wie viele ihrer Kollegen nahe einer Rodelbahn. Die war 150 Kilometer entfernt. Einer ihrer Lehrer lud sie zum Schnuppertraining. Das war der Beginn einer Karriere. Doch, so gesteht sie, wegen des Sports habe sie auf vieles in der Kindheit verzichten müssen, auch auf Freundschaften. "Dafür war ich mit 14 alleine in Kanada. Das hat mich geprägt. Ich würde alles noch einmal so machen."

Im Winter ist die Sportlerin auf Wettkämpfen unterwegs, teils auch in Übersee. Weltweit gibt es 18 Bahnen. Da sie auf ihrem Sportgerät, dem Schlitten, liegt, kann sie die kommenden Kurven nicht sehen. Muss sie auch nicht. Denn, so erzählt Geisenberger, sie merke sich die Kurven, könne jede Bahn im Kopf durchgehen. Außerdem orientiere sie sich an Fixpunkten oder dem Abstand zum Bahnrand. Beim Fahren erreicht sie Spitzengeschwindigkeiten von etwa 140 Kilometer pro Stunde. Macht das Angst? Angst nicht, aber sie habe Respekt. Im Sommer trainiert die 29-Jährige zwischen 20 und 25 Stunden in der Woche. In dieser Zeit stehen auch Termine im Windkanal an. Darin testet sie beispielsweise neue Kleidung. Aerodynamik ist in ihrem Sport wichtig, es geht um Schnelligkeit.

Annika möchte wissen, wie es um das Verhältnis der Sportlerinnen untereinander bestellt ist: Konkurrenz oder Freundschaft? "Im Wettbewerb sind wir Konkurrenten, aber die Stimmung im Team ist gut", so Geisenberger. Wichtig sei es, den Kampf auf der Bahn auszutragen. Viele Titel hat die Spitzensportlerin geholt. Zu den größten Erfolgen zählt das Doppel-Gold bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Der Schlitten, mit dem sie 2014 in Russland erfolgreich war, hatte gemessen an Material und Arbeitsaufwand einen geschätzten Wert von 25 000 Euro. Ihr Sportgerät hat sie nicht mit nach St. Wendel gebracht, zur Freude der Jugendlichen aber eine Medaille. Diese dürfen sich die Nachwuchssportler aus der Nähe betrachten, denn sie lässt das glänzende Metall rumgehen. "Bei einer kleinen Gruppe geht das", sagt sie später und gesteht lächelnd: "Ich hatte sie schon im Auge. Aber ich dachte, in einem Raum mit Polizisten kann nichts schief gehen."

Je erfolgreicher eine Sportlerin, desto größer das Interesse der Öffentlichkeit. Kommt sie damit gut klar, will der Bürgermeister wissen. "Ich bin Sportlerin und wenn ich davon leben möchte, dann braucht es einen gewissen Bekanntheitsgrad", weiß Geisenberger. Die Sponsoren schauen beispielsweise auf die Zahl der Facebook-Likes. Die 29-Jährige erinnert sich an die Anfänge zurück: "Es war schon komisch, als ich das erste Mal im Supermarkt oder im Schwimmbad auf eine Autogrammkarte angesprochen wurde. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt."

Hannah fragt nach den Zielen der Athletin für die nächsten Olympischen Spiele. Mit konkreten Zielen sei sie vorsichtig, sagt Geisenberger. Sie habe alles erreicht. "Das, was noch kommt, ist Zugabe. Und ich mache es, weil mir mein Sport Spaß macht und der Körper noch mitspielt." Wenn sie bereits alles erreicht habe, wie motiviere sie sich dann vor der Saison, hakt Florian nach. "Ich kenne das Gefühl, wie es ist, oben auf dem Podest zu stehen und die Hymne zu hören. Und ich möchte wieder da oben stehen." Der Druck sei weg, aber der Erfolg mache süchtig nach mehr. "In erster Linie mache ich das für mich", gibt sie zu. Aber man fühle sich schon stolz, wenn man das Deutschland-Outfit trage.

Und was kommt nach dem Sport? Das ist schon geregelt. Momentan ist Geisenberger von der Bundespolizei freigestellt, um sich um ihre Rennrodel-Karriere zu kümmern. Im Anschluss daran ist sie Polizistin, wird wieder an diesen Beruf herangeführt. Wie Peter Fuchs im SZ-Gespräch erklärt, müssen auch die Sportler die Ausbildung bei der Bundespolizei regulär durchlaufen und die jeweiligen Prüfungen bestehen. "Das wird ihnen nicht geschenkt." Außerdem stünden sie unter Leistungsdruck. Es müssten Erfolge her. Das bestätigt auch Geisenberger. Denn an der Bundespolizeisportschule gebe es nur 85 Plätze für Spitzensportler.

Auf dem Tisch im Luisen-Zimmer liegt das Goldene Buch der Stadt. Hierin soll sich die Olympia-Siegerin verewigen. Das Unterschreiben hat sie zuvor schon trainieren können, startete ihre Stippvisite in St. Wendel doch mit einer Autogrammstunde. Die 29-Jährige greift zum Stift und formuliert einen Gruß an die Bewohner der Stadt. Und beweist dabei Humor. Als PS notiert sie: "Ich soll schreiben, dass der Bürgermeister super ist." Das hatte dieser zuvor scherzhaft als Text vorgeschlagen.

 Sportler beim Einmarsch der Nationen am Samstag als Auftakt zum Duathlon-Wettbewerb Powerman. Foto: B&K

Sportler beim Einmarsch der Nationen am Samstag als Auftakt zum Duathlon-Wettbewerb Powerman. Foto: B&K

Foto: B&K

Training, Autogrammstunden, Termine für die Sponsoren. Was macht eine Spitzensportlerin als Ausgleich? Auch Sport? Geisenberger lächelt. Privat gehe sie gerne mit ihrem Hund, einem Eurasier-Husky-Mischling, auf den Berg oder fahre Kajak auf dem See. Außerdem, so gesteht sie, gebe sie gerne Geld aus beim Shoppen. Für einen Einkaufsbummel ist in St. Wendel keine Zeit, denn noch an diesem Abend geht es zurück in die bayrische Heimat. Zuvor schenkt sie Passanten noch ihr Lächeln oder Autogrammkarten. "Sportler wie sie sind ein Aushängeschild für die Bundespolizei. Und sie hat auch noch eine unglaubliche Ausstrahlung", schwärmt Fuchs.

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