Nach 70 Jahren haben sie ihren Namen zurück

Urweiler · Einfach verscharrt, ohne einen Hinweis auf die Menschen, die ihr Leben verloren. Anonym in die Erde geworfen, fern der Heimat. Diesen Vergessenen ihre Würde zurückgeben, den Auftrag hatten sich Heimatfreunde in Urweiler auferlegt.

 Nicht ganz korrekt: Am Rande des Judenfriedhofs nahe Urweiler liegen nicht nur russische Opfer. Auch von den Nazis hierher verschleppte Polen wurden zwischen 1942 und 1945 anonym beigesetzt. 32 weiße Kerzen sollen an sie erinnern. Foto: B&K

Nicht ganz korrekt: Am Rande des Judenfriedhofs nahe Urweiler liegen nicht nur russische Opfer. Auch von den Nazis hierher verschleppte Polen wurden zwischen 1942 und 1945 anonym beigesetzt. 32 weiße Kerzen sollen an sie erinnern. Foto: B&K

Foto: B&K

Die Lage ist alles andere als einfach. Nicht explosiv, so dramatisch wollte es am Donnerstag dann doch niemand titulieren. Aber vor dem Hintergrund einer "politisch angespannten Situation in der Welt", in der Versöhnung nicht unbedingt zum Tagesgeschäft gehört, sei dieser Tag ein großes Zeichen. So zeigte sich der stellvertretende Generalkonsul Russlands, Vladimir Pyatin, wahrlich berührt von dem, was dort in Urweiler entstanden war und nun eingesegnet wurde: eine Gedenkstätte für 32 während der Nazi-Diktatur ins St. Wendeler Land verschleppte Menschen, die hier starben. 24 Männer und acht Frauen. Darunter 28 seiner Landsleute. Vier weitere in der Fremde ums Leben Gekommene stammen nach Recherchen der Initiatoren des Vereins Heimatfreunde Urweiler aus Polen.

Russlands amtlicher Vertreter in Bonn sprach die Spannungen zwischen seiner Regierung in Moskau und den Nato-Staaten, zu denen auch Deutschland gehört, nicht direkt an. Indes deutete viel darauf hin. Denn er nannte das neue Mahnmal eine "gemeinsame Geste der Erinnerung über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg". Und diese Grenzen sind zuweilen ideologisch wie eine Mauer unüberwindbar gesichert.

Und trotz alledem entstand gerade jetzt eine Erinnerung an jene Opfer, die auf Geheiß der Nationalsozialisten, auf Anweisung des Berliner Reichsinnenministeriums auch hier zwischen 1942 und 1945 "in abgelegene Gebiete zu beerdigen" waren, wie es Heimatfreunde-Vorsitzender Franz Josef Marx beschrieb. Völlig anonym. Ohne einen noch so mickrigen Hinweis auf Namen, Lebensdaten, Todesursache.

Eine Arbeitsgruppe seines Vereins sei während ihrer Spurensuche darauf gestoßen, woran jene Zwangsarbeiter zugrundegegangen waren, die hier beim Urweiler Judenfriedhof am Rande der Stadt St. Wendel verscharrt worden sind. An Tuberkulose oder Typhus starben die Opfer. Nahmen sich selbst das Leben. Oder wurden bei Fliegerangriffen getötet. Denn während Deutsche in Luftschutzbunkern Unterschlupf gefunden hätten, sei Zwangsarbeitern der Zutritt verwehrt geblieben, erinnerte Urweilers Ortsvorsteher Peter Zeyer (CDU ).

Diesen fern ihrer Heimat gestorbenen Menschen ihren Namen zurückgeben bedeute gleichfalls, ihre Menschenwürde zurückzuerlangen, sagte St. Wendels Landrat Udo Recktenwald (CDU ). Welch aktuellen Bezug diese Erinnerungskultur habe, unterstrich auch St. Wendels Bürgermeister Peter Klär (CDU ). Denn Vergessen führe zu Intoleranz. Hierbei komme der Jugend eine "besondere Rolle" zu, sagte Pyatin. Junge Menschen allerdings waren an diesem Tag fernab.

Zum Thema:

Hintergrund Die Heimatfreunde Urweiler , nach Angaben ihres Vereinsvorsitzenden Franz Josef Marx 2009 gegründet, erforschen die Ortsgeschichte. 2012 entschieden sich die Mitglieder nach Recherchen, den heutigen Standort des Zwangsarbeiter-Mahnmals auf dem Judenfriedhof am Rande des St. Wendeler Stadtteils näher untersuchen zu wollen. Die Arbeitsgruppe Zwangsarbeitergräber des Vereins mühte sich ab Juli 2015 darum. Den Lokalhistorikern ging es dabei um Hintergründe der Zwangsarbeiter , die in Urweiler eingesetzt waren, deren Namen, Geburts-/Sterbedaten sowie Todesursache. Gleichzeitig ging es um die Gestaltung der Gedenkstätte auf dem Judenfriedhof. Dieser gehört der saarländischen Synagogengemeinde, die dem Projekt zustimmte. Hilfe erhielten die Heimatfreunde von der Stadtverwaltung, die von Mitarbeitern des Bauhofs das Gelände herrichten ließ. Inschrift der Tafel auf dem Gedenkstein: "Hier ruhen 32 russische Soldaten und Arbeiter, die in der schweren Zeit 1942 - 1945 fern der Heimat starben." Vereinschef Marx konkretisierte während seiner Rede zur Einsegnung, dass es sich um Zwangsarbeiter aus Russland und Polen gehandelt habe. Eine weitere hölzerne Standtafel gibt Informationen zu den hier begrabenen Opfern in zwei Sprachen: auf Deutsch und Russisch (kyrillische Schrift). hgn

Zum Thema:

Auf einen Blick Deutschlandweit gibt es nach Angaben des russischen Vize Generalkonsuls Vladimir Pyatin aktuell 344 Gedenkstätten für 800 000 im Zweiten Weltkrieg umgekommene Sowjetbürger. Das Dritte Reich verschleppte 8,5 Millionen Zwangsarbeiter , 70 000 mussten im Saarland ihren Dienst verrichten. Wiederum 900 von ihnen waren in St. Wendel (Quelle: Landrat Udo Recktenwald ). Einsatzorte laut Urweiler Ortsvorsteher Peter Zeyer waren unter anderem das St. Wendeler Werk der damaligen Reichsbahn, aber auch Werkstätten und Haushalte in Urweiler . hgn

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort