Treff Das Leben mit Literatur vergolden

St. Wendel · Vor 23 Jahren wurde der Literaturgesprächskreis St. Wendel gegründet. Und er erfreut sich großer Beliebtheit.

 Die Teilnehmer des Literaturgesprächskreises: Helga Harig, Ida Zimmer, Wilma Ganz, Josef Ohlmann und Magda Spaniol (sitzend von links) sowie Maria Spaniol, Christina Schreiber und Elfie Bettinger (stehend, von links).

Die Teilnehmer des Literaturgesprächskreises: Helga Harig, Ida Zimmer, Wilma Ganz, Josef Ohlmann und Magda Spaniol (sitzend von links) sowie Maria Spaniol, Christina Schreiber und Elfie Bettinger (stehend, von links).

Foto: Evelyn Schneider

Bücher und Notizblöcke liegen in Reichweite. Kannen mit Kaffee und Tee sind vorbereitet, ebenso Teller mit Süßigkeiten. Nervennahrung. Denn hier wird ambitioniert diskutiert – über Literatur. Auch ein Mini-Koffer ist auf dem Tisch platziert. Und mit dessen Inhalt geht es manchmal auch tatsächlich auf Reisen. Aber eigentlich ist er das schmucke Kässchen des Literaturgesprächskreises. „Jeder wirft einen Euro hinein. Davon zahlen wir Kaffee, Milch und die Süßigkeiten“, erklärt Wilma Ganz. Und Helga Harig ergänzt lachend: „Was übrig bleibt, verprassen wir bei unseren gemeinsamen Aktivitäten.“ Die Osterbrückerin ist bereits seit mehr als 20 Jahren im Literaturgesprächskreis, ist der „Finanzier“ der Truppe.

An diesem Donnerstagnachmittag haben sich sieben Frauen und ein Quotenmann eingefunden. Oft sind sie sogar zu elft oder zwölft. Wilma Ganz hat am Kopf des Tisches Platz genommen. Sie ist mit 84 Jahren die Älteste im Bunde und leitet die Treffen. Sie war es auch, die vor 23 Jahren die Idee zu dem Literaturgesprächskreis hatte, der in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbüro des Landkreises St. Wendel angeboten wird. Neun Personen kamen zur ersten Zusammenkunft im September 1995, damals noch in Räumen der Stiftung Hospital. Inzwischen treffen sich die Literaturfreunde im Landratsamt und fühlen sich hier sichtlich wohl. Dass ihnen der Raum kostenlos vom Landkreis zur Verfügung gestellt wird, empfindet Wilma Ganz als großes Glück.

Seit der Gründung treffen sich die Teilnehmer alle 14 Tage, immer donnerstags, jeweils zwischen 16 und 18 Uhr. In 23 Jahren haben die Literaturfreunde 249 Bücher gelesen und miteinander darüber diskutiert. Dabei geht es um den Inhalt, handelnde Figuren, Schauplatz der Geschichte oder darin geschilderte Themen und Konflikte. Gelesen werden Klassiker von Goethe, Schiller oder Brecht, aber auch moderne Werke. Auch spielt es keine Rolle, ob das Buch von einem deutschen, französischen, russischen oder amerikanischen Autor stammt. Die Gruppe ist offen für die Welt der Bücher. „Wir haben beispielsweise auch ,Der Pfau’ gelesen. Das ist ganz prima zum Amüsieren“, sagt Christiane Schreiber. Sie ist durch einen Hinweis in der Zeitung auf den Literaturgesprächskreis aufmerksam geworden. Bis 2010 hat die Bliesenerin gearbeitet und hatte für solche Treffen keine Zeit, jetzt genießt sie den literarischen Austausch. Zu Beginn eines jeden Jahres erstellt Wilma Ganz eine Bücherliste. Diese müsse aber nicht abgearbeitet werden. Jeder Teilnehmer kann ein Werk vorschlagen. Dann wird demokratisch abgestimmt.

„Derjenige, der ein Buch vorschlägt, erstellt eine Biografie des Autors“, erläutert Josef Ohlmann. So hat er sich mit Dan Brown beschäftigen müssen. Denn er hatte unlängst dessen Roman „Origin“ als Lesestoff angeregt. Zunächst reagierten die Damen mit Skepsis. Ein Thriller? „Ich hätte das Buch selbst nie gekauft“, gesteht Maria Spaniol, die seit fünf Jahren im Literaturgesprächskreis ist. „War dann aber begeistert.“ In „Origin“ beschäftigt sich ein Symbolforscher mit den zentralen Fragen der Menschheit. Das Thema kam auch bei Wilma Ganz an. „Ich bin stolz, dass wir den einen Mann haben, er hat eine andere Sicht auf die Dinge.“ Bisher habe es drei „Alibi-Männer“, wie Helga Harig es formuliert, gegeben.

Ohlmann, der nicht nur Hahn im Korb, sondern auch mit 66 Jahren das Nesthäkchen der Gruppe ist, genießt den Austausch. „Meine Frau und ich lesen sehr viel, reden auch darüber. Aber hier gibt es viele unterschiedliche Sichtweisen. Das ist interessant.“ Helga Harig stimmt ihm zu und sagt lachend: „Wenn wir das Buch besprechen, ist es, als hätte jeder ein anderes Buch gelesen.“

Aber nicht nur über den Inhalt wird diskutiert, sondern auch über die Form. Überwiegend bevorzugen die Damen Bücher aus Papier. Meist bestellen sie Taschenbücher, da diese günstiger sind. „Ich fühle mich wohl, wenn ich zu Hause von meinen Büchern umgeben bin“, sagt Elfie Bettinger aus Ottweiler. Im Hause Ohlmann hat dagegen inzwischen das E-Book Einzug gehalten. Ein entsprechendes Gerät bekam er geschenkt, jetzt lädt er auch mal Bücher runter. Neben der Papier-Lektüre im Bett ist Ida Zimmer aus Fürth ein Fan von Hörbüchern. Denen lauscht sie auch gerne mal beim Autofahren.

Hin und wieder zieht es den Literaturkreis auch raus aus dem Besprechungsraum im Landratsamt. Dann werden Ausflüge ins Kino, Theater oder Museum unternommen. In Erinnerung geblieben ist Wilma Ganz beispielsweise eine Fahrt nach Oestrich-Winkel ins Brentano-Haus. Ein Nachfahre des Schriftstellers Clemans Brentano habe die Gruppe durch das Gebäude geführt.

„Ich habe hier schon viel dazugelernt“, sagt Elfie Bettinger. Beispielsweise, wenn sie gerade mal historische Romane lesen. Aber die Teilnehmer lernen auch voneinander, denn jeder hat eine andere Biografie und interpretiert Geschichten unterschiedlich. Sehr genossen haben die reifen Leseratten ein Projekt mit Oberstufenschüler des Arnold-Jansen-Gymnasiums, das es einmal gab. „Das war ein ganz tolles Erlebnis“, schwärmt Wilma Ganz. Die Schüler seien mit einer Lehrerin vorbeigekommen und hätten Bücher zur Lektüre vorgeschlagen. „Es war eine schöne Möglichkeit der Verständigung zwischen den Generationen.“ Helga Harig nickt lächelnd. Das gleiche Interesse habe sie verbunden – trotz des großen Altersunterschieds. Die Gesichter strahlen beim Gedanken an die Diskussionsrunden mit den jungen Leuten. „Es wäre schön, wenn so etwas noch mal möglich wäre“, findet Wilma Ganz.

Fast sind die zwei Stunden schon wieder vorbei. Doch die Gruppe muss noch entscheiden, welches Werk als nächstes gelesen wird. Mehrere Vorschläge stehen im Raum. Am Ende hat das Buch „Stein bedeutet Liebe“ von Eveline Hasler die Nase vorn. Draußen dämmert es langsam, Zeit, den Tisch abzuräumen. Doch ehe es soweit ist, gilt es noch eine Tradition einzuhalten. Magda Spaniol, die Wilma Ganz als die Gedichtexpertin in der Runde vorstellt, liest stimmungsvolle Verse, passend zum Herbst. An diesem Nachmittag hat sie Theodor Storms „Oktoberlied“ für ihre Literaturfreunde ausgewählt. „Wir wollen uns den grauen Tag vergolden, ja, vergolden“ heißt es darin. Vielleicht  mit einem Buch?

Der nächste Treff ist am Donnerstag, 8. November, 16 bis 18 Uhr, in den Räumen des Seniorenbüros im St. Wendeler Landratsamt (Mommstraße).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort