Bundeswehr Der lange Streit um die Zukunft der Hil

Das Verteidigungsministerium will drei Instandsetzungswerke verkaufen, auch St. Wendel ist betroffen. Die SPD hat sich gegen eine Privatisierung gestellt.

Bundeswehr: Der lange Streit um die Zukunft der Hil
Foto: dpa/Peter Endig

Die Panzerhaubitze in Halle I hat schon bessere Zeiten erlebt. Schwer beschädigt steht sie auf dem riesigen Werksgelände in St. Wendel. Ketten, Motor und Fahrerkabine liegen abmontiert neben dem Artilleriegeschütz. Ein Brückenkran fährt heran, um noch weitere Teile zu entnehmen. „Die Fahrzeuge werden hier oft komplett zerlegt“, erklärt Matthias Moseler. Manchmal dauere es mehrere Monate, bis sie durchgecheckt und erneuert sind.

Der 56-jährige Baltersweiler ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Heeresinstandsetzungslogistik GmbH (Hil). Die bundeseigene Firma beschäftigt deutschlandweit etwa 2000 Mitarbeiter. 410 davon sind in St. Wendel eingesetzt. Sie sorgen dafür, dass die Militärgeräte im Ernstfall funktionieren. Waschen, lackieren, schweißen und reparieren: Die Bundeswehr-Techniker warten hauptsächlich Rad- und Kettenfahrzeuge. Hinzu kommt die Instandsetzung von Baugruppen, Waffen, Motoren, Achsen und Getrieben. „Pro Jahr bringen wir in St. Wendel etwa 160 Fahrzeuge auf Vordermann“, weiß Moseler. Auf dem Werksgelände gibt es auch eine Teststrecke, unterirdische Schießkanäle, Waschanlagen, etliche Lager und eine Ausbildungswerkstatt der Bundeswehr. 132 Azubis lernen dort den Beruf des Feinwerkmechanikers oder des Kfz-Mechatronikers.

Damit steht in St. Wendel das größte von insgesamt drei solcher Werke. Die Hil muss garantieren, dass 70 Prozent der Heeresfahrzeuge jederzeit einsatzbereit sind. Diese Quote zu erfüllen, sei nicht einfach. „Im Moment haben wir zu wenig Instandsetzungskräfte und zu viele wartungsbedürftige Fahrzeuge“, erläutert Moseler. Es ist nur eines von vielen Problemen, mit denen sich der Betriebsratschef zurzeit herumschlagen muss. Seit sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für eine Privatisierung der Hil ausgesprochen hat, hat Moseler kaum noch eine ruhige Minute.

Doch von vorne. Früher hat die Bundeswehr die Instandsetzung der Militärfahrzeuge größtenteils selbst erledigt. Im Februar 2005 gründete das Verteidigungsministerium dann die Firma Hil GmbH und privatisierte die Werke. Drei deutsche Rüstungsfirmen – Rheinmetall, Diehl und Krauss-Maffei Wegmann – stiegen mit 51 Prozent ein. „Das Bundeswehr-Personal wurde zur sozialverträglichen Beschäftigungssicherung der Hil für die Tätigkeit in den Werken beigestellt“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Heißt: Die Hil übernahm Angestellte vom Bund, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Frei werdende Stellen zu besetzen oder Personal aufzustocken, sei nicht beabsichtigt gewesen. Laut Moseler fielen seitdem im St. Wendeler Werk fast 50 Prozent der Arbeitsplätze weg.

Im Jahr 2012 kamen dem Bundeskartellamt Zweifel an der Gesellschafterkonstruktion. „Es bestand die Gefahr, dass sich die drei Industriepartner gegenseitig die Aufträge der Hil zuschieben. Dadurch würden mittelständische Unternehmen oftmals bei der Vergabe von Instandsetzungsaufträgen zu kurz kommen“, erläutert der Betriebsratschef. Der Bund kaufte die Industrieanteile zurück und wurde wieder alleiniger Eigentümer. Die Werke erlebten einen Ruck im positiven Sinne. Ein wettbewerbsorientiertes Vergabeverfahren seitens der Hil habe dazu geführt, dass die Kosten für die industriell erbrachten Instandsetzungsaufträge sanken, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Die neuen Geschäftsführer hätten das Ministerium auch überzeugt, Personal einzustellen. Doch schon 2015 endete die positive Entwicklung. „Die beiden Führungskräfte mussten gehen, weil sie mit ihren Erfolgen dem damals noch nicht offen geäußerten politischen Willen zur Abgabe der Werke zuwiderliefen“, vermutet Moseler.

Die neuen Chefs vergaben 75 Prozent ihrer Instandsetzungen an Rüstungsfirmen und führten fort, was wohl schon in den Anfangsjahren der Hil beschlossen wurde: Personal abzubauen. Eine Sprecherin des Ministeriums betont, es gebe bereits seit langem Pläne zum Verkauf der Werke. Sie würden auf die strategische Ausrichtung des Ministeriums Anfang der 2000er-Jahre zurückgehen. Auf diese Pläne berief sich auch Katrin Suder. Im Januar 2016 sprach die damalige Staatssekretärin von einer „vor mehr als einem Jahrzehnt getroffenen Grundentscheidung, dass es nicht Aufgabe der Bundeswehr und der Hil sein kann, selbst und bis in alle Ewigkeit Instandsetzungsleistungen zu erbringen, für die wir auch eine hochqualifizierte Industrie haben“. Vonseiten des Verteidigungsministeriums heißt es, die Werksinstandsetzungen „zählen nicht zu den Kernfähigkeiten der Streitkräfte“.

Moseler erinnert sich an eine Sitzung des Hauptpersonalrates beim Verteidigungsministerium im Januar 2016. Dort habe Suder erstmals gesagt, dass man sich von den drei Werken trennen wolle. Der Weiterbetrieb in Eigenregie sei nicht mehr wirtschaftlich. Daraufhin habe das Ministerium die Hil beauftragt, eine Ausschreibung für juristische und betriebswirtschaftliche Beratung zu veranlassen. Externe Experten sollten ein Konzept erarbeiten, welches die altersbedingte Reduzierung des beigestellten Bundeswehr-Personals im Hinblick auf den wirtschaftlichen Betrieb der Hil prüfen sollte. „Das Ministerium wollte eine bestimmte Kanzlei“, sagt Moseler. Diese habe bei der Hil-Vergabe jedoch nicht berücksichtigt werden können, weil deren angebotenen Stundensätze zu teuer gewesen seien. Stattdessen überzeugte eine andere Großkanzlei mit dem günstigsten Angebot für die Rechtsberatung. Daraufhin habe das Ministerium die Geschäftsführung der Hil angewiesen, das Vergabeverfahren zu beenden, so der Betriebsratschef.

Ab sofort organisierten hohe Beamte des Ministeriums – die Task-Force-Hil – den Verkauf der Werke. Sie entschieden sich für eine freihändige Vergabe der Beraterverträge, ohne europaweite Ausschreibung. Den Zuschlag erhielten eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und die anfänglich vom Ministerium empfohlene Firma. Für Moseler absolut unverständlich: „Die teurere Kanzlei bot ihre Mitarbeiter laut Spiegel-Bericht für 450 Euro pro Stunde an. Unser Ausschreibungssieger lag bei 240 Euro.“ Moseler witterte Untreue und Korruption. Er erstattete Strafanzeigen gegen zwei Ministerialbeamte wegen Haushaltsuntreue und Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe. Doch die Verfahren wurden mangels Tatverdacht eingestellt. Wie Moseler mitteilt, soll die Task-Force-Hil insgesamt Aufträge in Höhe von 42 Millionen Euro an Unternehmensberater vergeben haben. Die Mittel dazu würden aus dem Instandhaltungstopf der Hil stammen. Statt von dem Geld die Militärgeräte auszubessern, sei es auf die Konten der Berater geflossen.

Die nahmen ihre Arbeit auf und erstellten eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Laut Ministerium kamen sie zu dem Ergebnis, dass der Bund durch den Verkauf der Werke rund 180 Millionen Euro in 20 Jahren einsparen könnte. „Das Gutachten zielt darauf ab, dem politischen Willen gerecht zu werden. Danach richten sich auch die Zahlen aus“, ist Moseler überzeugt. Diese These unterstütze auch eine andere, interne Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, die ein langjähriger Mitarbeiter des Ministeriums auf Eigeninitiative erstellt habe. Hier sei genau das Gegenteil herausgekommen: Die Privatisierung der Werke würde Mehrkosten von bis zu 142 Millionen Euro verursachen. Wie kann das sein? „Dieser Vorschlag enthielt zum großen Teil veraltete Daten und unzulässige Grundannahmen“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Sie bestätigt, dass die Ausschreibung des Projektes mittlerweile läuft. Die Abgabe der Werke sei aber nicht vor 2020 abgeschlossen.

Derweil hat sich die SPD gegen eine Privatisierung der Hil-Werke gestellt. Sie befürchtet unter anderem, dass die Bundeswehr weitere eigene Fähigkeiten auf dem Gebiet der Instandsetzung verliere. In einem Positionspapier begründen die Sozialdemokraten ihren Entschluss so: „Die sicherheitspolitische Lage 2018 hat sich gegenüber 2005 grundlegend verändert. Was damals richtig war, passt heute nicht mehr.“ Die Hil brauche eine Neukonzeption, aber keine Privatisierung. Die SPD rät daher dem Verteidigungsministerium: „Statt Geld für externe Berater aus dem Instandsetzungsetat zu nehmen, sollten wieder Neueinstellungen und Investitionen in die Werke vorgenommen werden.“ Auch die Grünen und Linken haben sich bereits kritisch zur geplanten Privatisierung geäußert. Somit sieht es mit einer Mehrheit für das Projekt – das der Zustimmung des Verteidigungsausschusses, des Haushaltsausschusses und des Hauptpersonalrates bedarf – schlecht aus. Ursula von der Leyen lässt sich davon aber nicht beeinflussen. Die öffentliche Kritik an der Abgabe der Hil-Werke habe man zur Kenntnis genommen. Dennoch: „Das Ministerium führt das Vergabeverfahren bis auf Weiteres fort“, betont eine Sprecherin.

Betriebsratschef Moseler kann das nicht verstehen. Er freut sich umso mehr über den Kurswechsel der SPD und glaubt, dass die Privatisierung vom Tisch ist. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Ausschüsse und der Hauptpersonalrat dem Vorhaben noch zustimmen. Dazu seien zu viele Fragen offen. Etwa, wie nach einer Privatisierung die arbeitsrechtliche Situation der Beschäftigten geregelt werden soll. „Die Bundeswehr hat sie schon zur Hil abgeordert. Man kann sie ja schlecht noch einmal weiterreichen“, sagt Moseler. Er geht auch davon aus, dass viele Mitarbeiter gar nicht für die Industrie arbeiten wollen. Denn seines Wissens dürfen Rüstungsfirmen auch Drittgeschäfte erledigen. Heißt: Die Werke könnten nach einer Privatisierung nicht mehr nur Fahrzeuge der Bundeswehr instand setzen, sondern auch Militärgeräte ausländischer Truppen. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was hier los ist, wenn in St. Wendel etwa ein türkischer Panzer repariert wird, der zuvor gegen Kurden im Einsatz war“, sagt Moseler.

Er wünscht sich, dass der Verkauf direkt gestoppt und nicht noch mehr Geld „verbraten“ wird. Eine Abgabe der Hil führe zu einer Monopolstellung der Rüstungsindustrie zulasten der Steuerzahler, befürchtet der Betriebsratschef. Eine Kooperation mit den Firmen hält er jedoch auch in Zukunft für eine tragbare Lösung. Dann dürfe man aber nicht nur große Betriebe als Partner werben, sondern müsse auch mittelständische Unternehmen berücksichtigen. „Wir könnten voneinander profitieren“, ist er überzeugt.

Moseler weist auch darauf hin, dass die Bundeswehr bisher noch keine guten Erfahrungen mit der kompletten Auslagerung von Instandsetzungsleistungen an Monopolisten gemacht habe. Als Beispiel nennt er den Puma-Schützenpanzer, um dessen Wartung sich die Industrie kümmert. „Die Rüstungsfirmen bekommen das Fahrzeug nicht zum Laufen. Nur vereinzelt sind die Pumas überhaupt einsatzbereit“, weiß der Betriebsratschef. Er ist sich sicher, dass für die Instandsetzung von Militärfahrzeugen das Fachwissen von Experten benötigt wird. Von Mitarbeitern, die schon seit Jahrzehnten mit diesen Geräten zu tun haben.

 Im St. Wendeler Hil-Werk arbeiten rund 410 Beschäftige. Sie warten und reparieren Militärfahrzeuge. Auf dem Gelände gibt es auch eine Ausbildungswerkstatt, in der 132 Azubis lernen.

Im St. Wendeler Hil-Werk arbeiten rund 410 Beschäftige. Sie warten und reparieren Militärfahrzeuge. Auf dem Gelände gibt es auch eine Ausbildungswerkstatt, in der 132 Azubis lernen.

Foto: Bonenberger & Klos/B&K

In der Halle I des St. Wendeler Hil-Werkes gibt es davon gleich mehrere. Sie kümmern sich unter anderem um die in Einzelteile zerlegte Panzerhaubitze. „Einige Kollegen können das Fahrzeug aus dem Kopf zusammenbauen“, sagt Moseler. Er betont, was bei all dem Hin und Her in der Politik scheinbar vergessen werde: „Wir müssen sicherstellen, dass sich unsere Soldatenkollegen im Einsatz auf ihr Gerät verlassen können. Ist das nicht der Fall, bezahlt das irgendwann ein Mensch mit seinem Leben.“

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