Projekt Damit Todkranke zuhause besser versorgt sind

St. Wendel · Zwei Jahre dauerte das Modellprojekt „Allgemeine Ambulante Palliativ-Versorgung“ im Landkreis St. Wendel. Die Verantwortlichen zogen jetzt Bilanz. Da diese positiv ausfiel, wollen sie das Projekt etablieren — am liebsten im ganzen Saarland.

 Todkranke Menschen an die Hand nehmen, medizinisch begleiten und ihnen so ein Sterben zuhause ermöglichen, ist Ziel eines Projekts.

Todkranke Menschen an die Hand nehmen, medizinisch begleiten und ihnen so ein Sterben zuhause ermöglichen, ist Ziel eines Projekts.

Foto: picture alliance / dpa/Jens Wolf

Es gibt Themen, die jeden Menschen irgendwann beschäftigen. Dazu zählt auch der Tod. Über das Sterben zu reden, sei heutzutage glücklicherweise enttabuisiert, sagt Johannes Jäger, Leiter des Zentrums Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät der Saar-Uni. Studien zufolge wollten die meisten Menschen in einem vertrauten Umfeld, im eigenen Zuhause sterben. Wunsch und Wirklichkeit stimmen aber allzu oft nicht überein, was Jäger mit Zahlen belegt. Laut Faktencheck der Bertelsmann Stiftung starben im Jahr 2013 in Deutschland 900 000 Menschen, 414 000 davon in Krankenhäusern.

Damit künftig mehr Menschen der Wunsch erfüllt wird, in den eigenen vier Wänden aus dem Leben treten zu können, ist eine flächendeckende ambulante Palliativversorgung wichtig. Und genau die hat sich ein Modellprojekt im Landkreis St. Wendel zum Ziel gesetzt.

Es gebe eine gute stationäre Versorgung und ein gutes ambulantes System. So beschreibt Dr. Joachim Meiser, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland (KVS), die Ausgangssituation. Doch es gelte, Versorgungslücken zu schließen. So die Theorie.

Mitte 2015 ging es an die Umsetzung des Modellprojekts „Allgemeine Ambulante Palliativ-Versorgung“ (AAPV) im St. Wendeler Land. Als Partner hat sich die KVS die Christliche Hospizhilfe im Landkreis St. Wendel ins Boot geholt. So sollte ein engeres Zusammenwirken von Hausärzten, Palliativmedizinern, Hospizhilfe und Pflegediensten entstehen. Nach zwei Jahren haben die Partner nun Bilanz gezogen. Und die fällt durchweg positiv aus.

„Die Menschen, die Patienten stehen im Mittelpunkt“, erläutert Joachim Meiser. Nach deren Bedürfnissen finde sich das jeweilige Team zusammen. Es gebe keine festen Strukturen, sondern den konkreten Fallbezug. Dabei sei es wichtig, dass sich das Team, das sich aus Medizinern, Pflegefachkräften oder Ehrenamtlern zusammensetze, untereinander abstimme. Diese Abstimmung sei anfangs schwierig gewesen. „Es wurden Qualitätszirkel gebildet. Das sind regelmäßige Treffs, bei denen sich die Beteiligten austauschen konnten“, sagt Nikolaus Schorr, Vorsitzender der Christlichen Hospizhilfe im Landkreis St. Wendel.

In den zwei Jahren wurde das Modellprojekt auch wissenschaftlich begleitet. So beschäftigte sich Professor Martha Meyer vom Institut für Gesundheitsforschung- und technologie (igft) der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW), auch mit der Einschätzung der Angehörigen. Denn deren Belastbarkeit spiele eine große Rolle dabei, ob der Patient tatsächlich zuhause sterben kann. „Viele kamen zurück ins Krankenhaus, weil die Angehörigen überfordert waren“, sagt Meyer. Deshalb sei es wichtig, dass die Verwandten wissen, was mit dem geliebten Menschen in der Krankheit passiert. Es habe ein Lob der Angehörigen für die Hospizhilfe gegeben, die den Sterbeprozess am besten erklärt habe. Die Zeiträume, in denen die schwerstkranken Menschen versorgt wurden, waren recht unterschiedlich: von wenigen Tagen bis hin zu zwei Jahren.

Krebsleiden, Herz-Kreislauferkrankungen, Krankheiten aus dem psychischen Bereich (vor allem auch Demenz) sind die drei häufigsten Diagnosefelder jener Menschen, die palliativ betreut werden. Was erwarten diese von dem Programm? Symptomlinderung (85,7 Prozent), Lebensverlängerung (69,8 Prozent) und der Wunsch nach Selbstbestimmung war das, was am häufigsten genannt wurde. Wie Johannes Jäger vom Zentrum Allgemeinmedizin erläutert, machten im Landkreis St. Wendel von 39 Hausarztpraxen 22 bei dem Modellprojekt mit. 86 Patienten wurden von 33 Medizinern betreut. 61 Patienten sind inzwischen verstorben, 37 davon zuhause, elf in Pflegeheimen. Während des Modellprojektes kamen 69 Prozent der todkranken Menschen ohne einen Krankenhausaufenthalt aus, 16 Prozent mussten einmal in die Klinik. Das wertet Jäger als einen Erfolg des Projekts.

Profis aus verschiedenen Bereichen, die zum Wohle des Patienten zusammenarbeiten — darin sieht auch Martha Meyer die Zukunft. Finanziell wurde das Modellprojekt von der Christlichen Hospizhilfe im Landkreis St. Wendel und der KVS gestemmt. Letztere habe, wie Meiser es formuliert, „ein bisschen was für die Hausbesuche draufgelegt“. Bis zum ersten Quartal 2017 hat die KVS aus eigenen Mitteln die Finanzierung der ärztlichen Vergütung mit 30 000 Euro unterstützt. Die Förderung läuft noch bis Jahresende weiter. Die KVS rechne mit weiteren Kosten von zirka 15 000 Euro auch bedingt durch steigende Einschreibungen nach den positiven Erfahrungen der Beteiligten.

Die Verantwortlichen sind sich nach zwei Jahren Modellphase einig: Das Projekt soll weiterlaufen und mehr noch: Es soll landesweit etabliert werden. Laut KVS stehen bei der Gebührenordnung für Ärzte und dem Leistungsangebot bei der häuslichen Krankenpflege Änderungen an, die Grundlagen für das Projekt als Regelversorgung schaffen können. „Was allerdings nicht bezahlt wird, ist die Arbeit ohne Patient, die Teamkoordination“, bedauert Meiser. Doch gerade Austausch und Kommunikation sind wesentliche Bestandteile zum Gelingen des multiprofessionellen Betreuungskonzepts. Da müssten Regelungen her.

Meiser rechnet vor, dass durch Krankentransporte hohe Kosten für die Krankenkassen anfallen. Diese könnten eingespart werden, wenn Schwerstkranke zuhause optimal versorgt sind und somit Klinikaufenthalte wegfallen. Meiser kündigte an, dass die KVS einen Mediziner als Obmann für den Landkreis St. Wendel finanzieren will, der die Moderation zwischen den Ärzten, Pflegekräften sowie den Mitarbeitern und Ehrenamtlern der Christlichen Hospizhilfe vorantreiben soll. „Ich bin mir sicher, dass dieses Projekt Zukunft hat“, sagt Meiser.

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