Zwangsarbeit bei den Nazis

Alsweiler · Während der Nazi-Zeit wurden auch im St. Wendeler Land Zwangsarbeiter ausgebeutet. Ein Vortrag im Alsweiler Hiwwelhaus beleuchtete diesen Aspekt der Diktatur.

 Viele Zwangsarbeiter wurden von den Nazis ausgebeutet. Fotos: Sammlung Roland Geiger

Viele Zwangsarbeiter wurden von den Nazis ausgebeutet. Fotos: Sammlung Roland Geiger

Die Nazi-Zeit fand nicht nur an weit entfernten Orten, in Berlin oder München, statt. Verführung, Verblendung, Verbrechen, Widerstand - das gab es auch im ländlichen Raum, auch im St. Wendeler Land. Im neu erschienenen Buch "Die Nazis aus der Nähe" beleuchten daher zwei Dutzend Historiker uns Heimatforscher verschiedene Aspekte der Diktatur, und zwar aus regionaler Perspektive. Dazu gehört unter anderem das Zwangsarbeitersystem der Nazis. Denn auch das St. Wendeler Land war Teil dieses Systems. Die Historikerin und Autorin Inge Plettenberg, die ebenso mit einem Beitrag im neu erschienenen, von ihr mitherausgegebenen Buch vertreten ist, referierte zu diesem Thema im Alsweiler Hiwwelhaus.

Pervertierter Arbeitsbegriff

"Die Nazis pervertierten den Arbeitsbegriff. Zum einen gab es eine romantische Überhöhung der Arbeit. Andererseits auch ‚Vernichtung durch Arbeit' in Konzentrationslagern", sagte Plettenberg vor über 50 Besuchern. Zudem holte das Regime Kriegsgefangene und ausländische Zivilpersonen als Zwangsarbeiter nach Deutschland.

Denn Arbeitskraft wurde an der ‚Heimatfront' Mangelware. Nicht nur, weil aus vielen Arbeitern Soldaten wurden. Sondern auch, weil die eroberten Gebiete ökonomisch ausgeplündert, weil dort Polizisten, Verwaltungsfachleute und eben Arbeiter gebraucht wurden. "Einer der vielen Widersprüche während dieser Zeit", ergänzte Plettenberg.

Gemäß der rassistischen Ideologie des Regimes wurden strikte Vorschriften für den Umgang mit Zwangsarbeitern eingeführt. Polen mussten ein Kennzeichen, ein P, auf ihrer Kleidung tragen, Menschen aus der Sowjetunion das Abzeichen ‚Ost' für Ostarbeiter. "Dadurch wurde jedem deutlich gezeigt: Hier kommt ein Untermensch, haltet euch fern. Wie die weiteren vielen Vorschriften im Alltag griffen, ist schwer einzuschätzen. Dass die Bevölkerung zum Wahren eines großen Abstands extra aufgefordert werden musste, das bezweifle ich aber", sagte Plettenberg.

Jedoch war nicht jeder arbeitende Ausländer Zwangsarbeiter. Plettenberg: "Menschen aus neutralen oder verbündeten Staaten galten als freie Arbeitskräfte." Jedoch sei mit der Freiwilligkeit oft nicht weit her gewesen: So verpflichtete ab 1943 beispielsweise das mit dem Deutschen Reich kollaborierende Vichy-Regime in Frankreich seine Bürger zur Arbeit in Deutschland. Ein in Europa einmaliger Vorgang. "Viele Arbeiter wurden auch mit falschen Versprechungen gelockt", ergänzte Plettenberg.

Im St. Wendeler Land kam ab 1942 der größte Teil der Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. 1943 wurden die Kreise St. Wendel und Ottweiler zusammengelegt.

Das zuständige Arbeitsamt Neunkirchen verzeichnete mit rund 12,6 Prozent 1944 den höchsten Anteil ausländischer Beschäftigter; im ehemaligen Kreis St. Wendel waren es von 1942 bis 1945 schätzungsweise etwa 10,7 Prozent aller Beschäftigten. "Während des Krieges gab es kaum einen Betrieb, der keine Zwangsarbeiter hatte", erklärte Plettenberg.

Reichsbahn in St. Wendel

In St. Wendel dominierte die sich in Staatshand befindende Reichsbahn, wenn es um den Einsatz von Zwangsarbeitern ging. Aber auch landwirtschaftliche Höfe in der Stadt und Bauunternehmen profitierten. Diese errichteten auch die Baracken-Lager für die Zwangsarbeiter, in St. Wendel etwas das Lager "Bergeshöh" am Ortsausgang Richtung Oberlinxweiler, ein anderes auf dem Gelände der Ziegelei Halseband oder in der Ostertalstraße. Im ländlichen St. Wendel Land wurden zudem viele Zwangsarbeiterin den vielen kleinen Dörfern in der Landwirtschaft eingesetzt. Ende 1940 produzierten im Kreis auf etwa 22000 Hektar Nutzfläche 7904 Betriebe, zum Großteil kleiner als 5 Hektar. 1942 waren 16 von 1016 Beschäftigten in der Landwirtschaft Ausländer, zwei Jahre später 915 von 2063 - über 44 Prozent.

Auch öffentliche Einrichtungen, Handwerker, Geschäfte und Privatpersonen beuteten ausländische Arbeiter aus. "Viele konnten sich so zum ersten Mal eine Haushaltshilfe leisten", sagte Plettenberg. Das Regime band dadurch die einfache Bevölkerung an sich, gewann Sympathien.

Mit dem Kriegsende wurden die Zwangsarbeiter befreit. Einige blieben, viele gingen zurück in ihre Heimat. Plettenberg: "Und etwa 200 kehrten nie wieder zurück. Diejenigen nämlich, die die Zwangsarbeit hier nicht überlebt haben."

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