Trommeln für die Fitness

Wiebelskirchen · Turnvereine und ihr Dachverband versuchen sich modern aufzustellen. Über neue Angebote und darüber, wie neu sie wirklich sind, sprach SZ-Redakteurin Claudia Emmerich mit Marion Schmidt (48), Pressefrau beim Saarländischen Turnerbund (STB).

 Seit Mai läuft beim TuS Wiebelskirchen ein Kurs Kantaera – ein Training, das Kampfkunst-Techniken und Aerobic-Elemente sanft verbinden will. Foto: Thomas Seeber

Seit Mai läuft beim TuS Wiebelskirchen ein Kurs Kantaera – ein Training, das Kampfkunst-Techniken und Aerobic-Elemente sanft verbinden will. Foto: Thomas Seeber

Foto: Thomas Seeber

128 Beats pro Minute - diese Schlagzahl wird die 14 Frauen die nächsten 60 Minuten begleiten. Die Musik aus dem CD-Player ist extra dafür abgemischt. Kantaera ist angesagt beim TuS Wiebelskirchen dienstagabends in der Schillerschule. Ein Fitness-Programm, das Herz-Kreislauf aktivieren will, Gelenke mobilisieren und Muskeln dehnen und kräftigen. Wollen auch andere, etwa Aerobic oder Tae Bo. Aber was ist anders bei Kantaera? Gleichbleibend "auf einem Level" arbeite der Körper während der Übungsstunde, hören wir von den Frauen und ihrer Trainerin Kerstin Rauenschwender, das mache dieses Programm so geeignet für Sport-Einsteiger und Sport-Wiedereinsteiger, es sei auch von Älteren oder Menschen mit einem Gewichtsproblem zu bewältigen. Und die Elemente ließen sich leicht lernen.

Sie arbeiten viel mit den Armen. Da heißen Übungen "Itamar Ibolu" oder "Gibouna". "Afrikanisch", erklärt Kerstin Rauenschwender (46) und reicht uns ein Info-Blatt. Hier ist erklärt: "Kan/Kant" stehe für den Namen des Erfinders "Sekou Kante" und dessen Geburtsort "Kankan". "Tae/Ta" stehe für die Koordination, die Balance und die Konzentration im Kampfsport sowie die Tanz- und Gymnastikelemente. Und "Ra" schließlich stehe für die Sonne, das Glück und die Freude an der Bewegung und die Motivation. Die TuS-Frauen sehen es pragmatischer, wollen einfach was für ihre Fitness tun und dabei Spaß haben.

Die Verpackung eines Angebots ist aber wichtig. Das wissen auch die Verantwortlichen beim TuS Wiebelskirchen. "Wir können nicht mehr mit Hausfrauenturnen bestehen", sagt Frank Karthein, stellvertretender Vorsitzender der Abteilung Turnen. "Wir müssen Trends aufspüren und aufnehmen."

Beispiel Kantaera: Kerstin Rauenschwender hat sich beim Saarländischen Turnerbund für Kantaera fortbilden lassen (sie bietet beim TuS auch Rückenfit und Bodystyle an). Dann hat sie dieses Programm getestet: "Ich habe Teile in meine anderen Übungsstunden eingebaut und auch in Stunden von Kolleginnen vorgestellt."

Der Verein entschloss sich dann, Kantaera ab Mai als Kurs anzubieten. Auf dem Ostermarkt rührten sie die Werbetrommel. 19 Frauen zwischen 35 und 50plus haben sich angemeldet, mehrheitlich bereits im TuS dabei, dazu ein paar neue Gesichter. Karthein: "Wir hoffen natürlich, dass über solche Kurse auch einige den Einstieg in unseren Verein finden." Welche Trends ein Verein aufgreifen kann, hängt auch von Lizenzen ab (siehe "Hintergrund").Da müssen Turner doch ganz neidisch werden: Der Deutsche Fußball-Bund hat gerade wieder Rekordzahlen bei Mitgliedern und Vereinen gemeldet. . .

Schmidt: Und die müssen noch nicht einmal was dafür tun. Aber Fußball ist eben auch eine klar greifbare Sportart. Der Turnerbund hat dagegen eine ganze Palette mit über 20 Sportangeboten. Wir versuchen diese mit drei Dachmarken modern zu ordnen: Kinderturnen, Turnen und Gymwelt.

"Gymwelt" bedeutet was . . . ?

Schmidt: Darunter fassen wir unsere Angebote im Fitness- und Gesundheitssport - von Aroha bis Wirbelsäulengymnastik. Zur Gymwelt gehört auch Natursport wie Nordic Walking. Bewegungskunst und Turnartistik wie Jonglieren oder Parkour haben hier ihren Platz. Und hier zu Hause sind auch Rhythmik, Tanz und Vorführung mit Angeboten wie Ballett, Showtanz und Drums Alive.

Aroha, Bokwa, Kantaera - da sind Angebote, die inzwischen auch von Vereinen vor unserer Haustür beworben werden. . .

Schmidt: Bei diesen Angeboten wie überhaupt den Angeboten unter der Dachmarke Gymwelt verzeichnet unser Verband Zuwachsraten. Das ist eine Chance für die Vereine .

Wen gewinnen Sie denn dazu?

Schmidt: Das ist ganz klar die Gruppe der über 60-Jährigen. Hier weist die aktuelle Bestandserhebung 2014 im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von sechs Prozent aus.

Fitte Senioren - das ist also ein Wachstumsmarkt. . .

Schmidt: Wir haben noch ein zweites Wachstumssegment, das ist das Kinderturnen von null bis sechs Jahre. Obwohl in diesem Bereich oft händeringend Übungsleiter gesucht werden. Da erreichen uns oft Anfragen von Vereinen, wenn fürs Kinderturnen wieder jemand gesucht wird.

Nun gibt es offenbar aber auch eine Hemmschwelle für eine Mitgliedschaft, man will sich nicht binden.

Schmidt: Deswegen gehen Vereine auch neue Wege. Sie präsentieren ein Angebot wie beispielsweise Kantaera erstmal als Kurs und hoffen, dass darüber der eine oder die andere den Weg in den Verein findet.

Kantaera, Ahora, Bokwa - klingt ja immer leicht exotisch. Und der Inhalt?

Schmidt: Nicht alles ist immer ganz neu. Oft verbindet sich Altes mit Neuem. Manchmal ist es vielleicht auch nur eine neue Verpackung. Aber nehmen wir mal Crosstraining. Dazu haben wir im Frühjahr einen ersten Lehrgang für Übungsleiter angeboten. Es geht hier darum, speziell auch den Männern ein Angebot zu machen, die sonst um Fitness im Verein eher einen großen Bogen machen. Fitness ist in Frauenhand.

Und was macht der Mann da beim Crosstraining?

Schmidt: Also zunächst mal: Es ist ein Angebot für Frauen und Männer. Crosstraining ist ein Ganzkörpertraining - es verbindet Turnen, Gewichtheben und Leichtathletik. Die Übungen selbst gibt es schon lange, der Mix der Übungen ist das Neue. Und jeder Turnverein hat in seiner Halle, was gebraucht wird, etwa einen Kasten oder einen Medizinball.

Wird Crosstraining bereits in unseren Vereinen angeboten?

Schmidt: Die Resonanz auf unseren ersten Lehrgang war groß. Der TV Illingen und der TV Wemmetsweiler bieten Crosstraining bereits an. Ich gehe davon aus, dass in diesem Jahr weitere Vereine dazukommen. Spätestens nach unserem Kongress Gymwelt am 27. September an der Sportschule. Da bieten wir auch wieder Workshops zu Crosstraining an.

Überhaupt: Nicht alles behauptet sich doch am Markt. . .

Schmidt: Also Aerobic ist inzwischen schon zum Klassiker geworden. Auch Pilates und Yoga beispielsweise behaupten sich. Indian Balance wiederum war ganz schnell wieder weg.

Und Zumba?

Schmidt: Zumba wird zwar viel in Fitness-Studios und auch bei Zumba-Events angeboten, aber in der Breite in unseren Vereinen eher weniger. Zumba war auch in unserem Fortbildungsprogramm kein großes Thema.

Stichwort Fitness-Studios: die große Konkurrenz?

Schmidt: Das ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung und eine Frage nach dem Mehrwert. Vereine sind günstiger, aber auch weniger flexibel. Sie sind abhängig von Hallenzeiten oder Zeiten der Übungsleiter. Aber sie bieten auch lebenslanges Sporttreiben und Gemeinschaft.

Zum Thema:

HintergrundKantaera gehört zu den geschützten Trendprogrammen wie auch Aroha, Drums Alive oder Zumba. Die Entwickler solcher Trendprogramme lassen ihr Konzept und den Namen rechtlich schützen, wie beim Deutschen Turnerbund (DTB) nachzulesen ist. Oft sei es lediglich eine Kombination von schon vorhandenen Inhalten und Ideen: "Der DTB beobachtet diesen Markt . . . genau, da es auch darum geht, überdauernde, lohnende Trends und Entwicklungen für die Vereine aufzuspüren und sie ihnen zur Verfügung zu stellen." Um neue Mitglieder zu gewinnen. Für Kantaera etwa hat der DTB die Lizenz. Damit können Vereine Kantaera mit ausgebildeten Übungsleitern anbieten. Für Zumba hat der DTB diese Lizenz nicht. Die Rechte liegen bei der weltweit operierenden Zumba Fitness LLC. Vereine können Zumba also nicht anbieten. Eine lizenzierte Zumba-Instructorin kann lediglich auf eigene Rechnung ein Angebot machen. cle

 Fitmacher für die Vereine: Der Kongress Gymwelt am 27. September in Saarbrücken stellt Trends wie Drums Alive (Trommeln auf Balance-Bällen, unser Foto) und auch Bewährtes vor. Foto: STB

Fitmacher für die Vereine: Der Kongress Gymwelt am 27. September in Saarbrücken stellt Trends wie Drums Alive (Trommeln auf Balance-Bällen, unser Foto) und auch Bewährtes vor. Foto: STB

Foto: STB

Zum Thema:

Auf einen BlickIm Kreis Neunkirchen gibt es aktuell 8496 Mitglieder in 36 Turnvereinen. Vor zehn Jahren waren es laut STB 10 287 Mitglieder in 37 Vereinen. cle

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