Für Neubaugebiete braucht es gute Gründe

„Wohnungsleerstand – eine wirtschaftspolitische Herausforderung“ – darüber spricht heute um 19 Uhr im Sitzungssaal der ATSV-Halle in Alt-Saarbrücken Professor Michael Voigtländer vom Institut für deutsche Wirtschaft Köln. Nach einer neuen Studie des Instituts stehen vor allem im Saarland und in den ostdeutschen Bundesländern besonders viele Wohnungen leer. Und die Nachfrage nach Wohnraum werde in den nächsten Jahrzehnten weiter sinken. Warum das so ist, darüber sprach SZ-Redakteurin Dörte Grabbert mit Voigtländer.

Warum stehen im Saarland und im Regionalverband Saarbrücken so viele Wohnungen und Häuser leer?

Voigtländer: Das Saarland ist genauso wie die ostdeutschen Bundesländer besonders stark vom demografischen Wandel betroffen. Allein zwischen 2012 und 2030 wird die Bevölkerung um rund zehn Prozent abnehmen. Dementsprechend weniger Wohnraum wird benötigt. Bereits jetzt (Stand Ende 2011) stehen etwa im Regionalverband Saarbrücken 6,3 Prozent der Wohnräume leer. Und die Nachfrage wird weiter sinken.

Trotz des Leerstandes fehlen nach Angaben des Regionalverbands vor allem Wohnungen für arme Menschen und Studenten. Also bezahlbarer Wohnraum und Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen. Es gibt hier vor allem alten Wohnungen aus den 60er und 70er Jahren in einem sehr schlechten energetischen Zustand, die oft leer stehen. Was ist besser: Neubau oder Modernisierung?

Voigtländer: Neubaugebiete richten sich in erster Linie nicht an diejenigen, die wenig Geld haben. Es sollte also eher überlegt werden, den bestehenden Wohnungsbestand umzubauen. Die Kommunen sollten im Zweifelsfall lieber das Geld, das sie für die Erschließung eines Neubaugebiets benötigen, in den bestehenden Bestand investieren. Aber da muss jeder Einzelfall genau geprüft werden.

Trotz leer stehender Wohnungen und Häuser werden weitere Neubaugebiete geplant. Ist das sinnvoll?

Voigtländer: Das große Problem ist die Zersiedlung. Neubaugebiete entstehen ja seltener im Ortskern, sondern am Ortsrand. Da muss neue Infrastruktur geschaffen werden, Abwasserkanäle, Stromleitungen, Straßen. Die Kosten für zusätzliche Infrastruktur werden dann auf den Bürger umgelegt. Und man hat zwar Neubaugebiete, aber auf lange Sicht trotzdem weniger Menschen. Vor allem in strukturschwachen Regionen. Das rechnet sich für die Kommunen in der Regel nicht. Aber es kann natürlich auch gute Gründe für ein Neubaugebiet geben. Da muss man sich den Einzelfall anschauen.

Welche Handlungsempfehlungen geben Sie Politikern und Stadtplanern?

Voigtländer: Bevor neue Baugebiete entstehen, sollte man sich genau überlegen, ob man damit nicht den Leerstand von morgen fördert. Denn Neubaugebiete garantieren nicht, dass mehr Menschen in einen Ort ziehen. Das kann den Bevölkerungsschwund auf lange Sicht nicht aufhalten. Und man muss überlegen, was man mit leer stehenden Flächen macht. Denn Leerstand hat unangenehme Nebeneffekte wie Verwahrlosung und Vandalismus. Dadurch werden ganze Stadtgebiete unattraktiv. Zur Not sollte abgerissen werden. Insgesamt kann man sagen, dass man schon sehr gute Argumente haben muss, wenn man in Saarbrücken oder im Saarland Neubaugebiete erschließt.

Zum Thema:

Auf einen Blick"Wohnungsleerstand - eine wirtschaftspolitische Herausforderung", Vortrag von Prof. Michael Voigtländer vom Institut für deutsche Wirtschaft Köln heute, 19 Uhr, Sitzungssaal der ATSV-Halle, Am Lulustein in Alt-Saarbrücken. Veranstalter: BUND Saar und Bürgerinitiative Franzenbrunnen. Der Eintritt ist frei. red

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