Aus der Tüte in den Teller

Wellesweiler · Wenn die alten Linsensorten in unserer Region gedeihen, sollen sie auch für die Saar-Gastronomie interessant werden: als regionale Spezialität. Zudem versteht sich das Experiment als Beitrag zu biologischer Vielfalt.

 Neun alte Linsensorten, einzeln verpackt in Tütchen mit je rund 150 Exemplaren lentis culinaris, kamen gestern auf dem Integrationsbetrieb „Haseler Mühle“ in Wellesweiler an. Hier sollen sie sich vermehren. Foto: Willi Hiegel

Neun alte Linsensorten, einzeln verpackt in Tütchen mit je rund 150 Exemplaren lentis culinaris, kamen gestern auf dem Integrationsbetrieb „Haseler Mühle“ in Wellesweiler an. Hier sollen sie sich vermehren. Foto: Willi Hiegel

Foto: Willi Hiegel

Die Initiatoren des Projektes sprechen von einem "Experiment". Ausgang ungewiss. Wenn es aber glückt, das "Experiment", dann wachsen in unserer Region eines Tages wieder seltene Linsensorten. Solche, die wie andere alte Kulturpflanzen im Laufe der industriellen Umwälzungen in der Landwirtschaft verloren zu gehen drohen. Ein Beitrag zur biologischen Vielfalt also. Vielleicht auch ein Marketing-Effekt: Denn dieses wiederentdeckte Gemüse könnte als regionale Spezialität Einzug in die saarländische Gastronomie halten.

Der Startschuss für das "Experiment" fällt am Dienstagvormittag: Patric Bies, Leiter des Regionalbüros Saarbrücken der Rosa-Luxemburg-Stiftung, übergibt Linsen-Raritäten aus der Samenbank des Wawilow-Instituts im russischen St. Petersburg an Jürgen Michel, Leiter des Integrationsbetriebs Haseler Mühle bei Wellesweiler. Auftrag: Saatvermehrung.

Im grünen Schnellhefter sind zudem alle wichtigen Begleitpapiere wie Zollbescheinigung abgeheftet. Aber vor allem die Zertifizierung der wertvollen Gemüses, datiert vom 14. Januar 2014, Absender "Altrussisches Wissenschaftliches Forschungsinstitut für Pflanzenzüchtung". Überschrieben mit "Phytosanitäres Zertifikat Nr. 276780107140114044" weist das Papier aus, dass aus der Samenbank die Linsenart lentis culinaris, Unterart macrosperma mit der Katalogisierungsnummern 42 bis 46 sowie 1060, 1867, 2828 und 2829 verschickt wurde. Die 40er Nummern sind die ältesten Linsen, stammen aus Frankreich und kamen noch im Zarenreich nach Russland, wie Bies berichtet. Inzwischen mehrfach nachgezüchtet, das wird alle fünf bis sieben Jahre nötig, um die Keimfähigkeit zu erhalten. Solch eine Lieferung, sagt Bies, gibt das Wawilow-Institut kostenfrei raus.

"Wir haben sicher das Recht, für unsere Linsen wohlklingendere Namen als die Nummern zu geben", schmunzelt Bies. "aber damit wollen wir warten, wie sich das alles entwickelt." "Von einem Experiment, einem spannenden Thema" spricht auch Jürgen Michel. Eines mit "Unwägbarkeiten", etwa die Keimfähigkeit des Saatguts, eines mit derzeit noch offenen Fragen, etwa der konkrete Feldanbau.

Die "Stars" des Pressetermins hat Bies in einem hellbraunen DIN-A-5-Umschlag mitgebracht. Aus ihm holt er neun kleine weiße Tütchen für die neun Linsensorten aus St. Petersburg, von Hand mit blauer Tinte beschriftet. In jeder Tüte stecken etwa 150 Linsen. Die "Stars" sind braun. Mal heller, mal dunkler, mal gesprenkelt. Bies: "Es sind vergleichsweise wilde Sorten, deshalb auch nicht ebenmäßig."

"Jetzt kommen die Linsen in Töpfchen mit einem Torfballen", beschreibt Michel das weitere Vorgehen. "Wenn die Pflanzen kompakt sind, kräftig durchwurzelt, kommen sie aufs Feld." Sie werden gestützt und sollen sich vermehren: "Ich schätze, für unser Saatgut brauchen wir ein Ar Fläche. Bies hat sich erkundigt: 70 Kilo werden für einen Hektar als Saatgut benötigt. Bies verweist auf das Alblinsenprojekt auf der Schwäbischen Alb. Dort habe der Aufbau auf rentable Betriebsgröße fünf Jahre gedauert.

Wenn das in unserer Region mit der Vermehrung klappt, sollen diese neuen alten Linsen als Saatgut saarländischen Landwirten zur Verfügung stehen. Und als regionale Spezialität für die Gastronomie interessant werden. Aus der Tüte in den Teller.

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HintergrundInitiator des Projektes für die Neuentdeckung alter Lindensorten in unserer Region ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Kooperationspartner sind die Neue Arbeit Saar, Bliesgau Ölmühle, Bliesgau Genuss und Slowfood Saarland. Partner für die Saatgutvermehrung ist der im Aufbau befindliche Integrationsbetrieb Haseler Mühle bei Wellesweiler, Tochter der NAS. Neben Pferdehof und Imkerei ist regionaltypisches Saatgut der Kernbereich des Betriebs.Das Wawilow-Institut ist die drittgrößte Genbank in der Welt Ihre Bestände sind wichtig bei der Züchtung von neuen Pflanzen und beim Erhalt der traditionellen Vielfalt von Kulturpflanzen. Insgesamt bewahrt das Institut 330 000 Nutzpflanzen und Wildpflanzen. cle

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